Der Sieger steht schon fest: Italiens rechtsnationale Lega-Partei des Chefpopulisten Matteo Salvini dürfte bei den Europawahlen den größten Sprung nach vorne machen. Er wird, wenn nicht alle Prognosen falsch liegen, die stärkste italienische Parlamentariergruppe ins Parlament schicken.
Das sah bei der Europawahl 2014 noch anders aus: Abgeschlagen auf Platz vier lag die kleine, auf Norditalien konzentrierte, Lega Nord damals im Italien-internen Vergleich. Die Sozialdemokraten holten fast sechsmal so viele Stimmen, die 5-Sterne-Bewegung dreimal so viel, und selbst Silvio Berlusconi brachte noch mehr als doppelt so viele Italiener hinter sich.
Dann krempelte der neue Parteichef Salvini alles um, warf den Nord-Bezug aus dem Parteinamen, brachte die neue Lega auf einen streng rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Kurs, schimpfte über „die in Brüssel“ und reduzierte die Migration übers Mittelmeer mit brachialen Methoden. Und hatte Erfolg auf ganzer Linie.
Nicht unerheblichen Anteil daran haben die großen europäischen Anführer, wie der Luxemburger Jean-Claude Juncker, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Sie haben die Italiener geradezu in Salvinis Arme getrieben.
Bis es kein Zurück mehr gibt
Mit ihrem „Das geht ja gar nicht“-Gezeter haben sie sich überboten, als die neue Koalitionsregierung in Rom das Volk mit einer Steuersenkung, einem Mindestlohn und einer Mindestrente beglücken wollte. Italien sei zu hoch verschuldet, für solche Geschenke kein Geld da.
„Wir sind als Europäische Union nicht gewillt, die (…) Schulden für Italien zu übernehmen“, so Österreichs Kanzler Kurz. Merkel forderte die EU-Kommission auf, mit der Regierung in Rom einen „Dialog“ zu beginnen, der „zu einem guten Ergebnis“ führen möge.
Aber hat einer dieser Europapolitiker mal den Italienern erklärt, warum die Pläne der Regierung so riskant für sie selbst sind? Oder haben sich alle nur in die gleichen, fürs normale Volk völlig unverständlichen Floskeln geflüchtet? Oder gar die Maxime verfolgt, die Jean-Claude Juncker schon vor vielen Jahren als Credo der EU-Politik ausgab:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ (Der SPIEGEL 52/1999 vom 27. Dezember 1999)
An dieses bürgerferne Konzept halten sich viele EU-Politiker bis heute. Und verkörpern damit genau das Europa, das jetzt in Gefahr gerät, weil die Bürger sich dann lieber Verführern wie Salvini zuwenden.
Italien: Arme Nettozahler
Italien ist – wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Schweden – ein Nettozahler in der Gemeinschaft. Die Italiener zahlten zuletzt 3,6 Milliarden Euro mehr in die Kasse ein, als sie bekamen. Umgekehrt profitieren viele Italiener weit weniger von den ökonomischen Vorteilen der EU als etwa die Deutschen. Ein Bundesbürger verdient im Mittel 1732 Euro netto im Monat. Ein Italiener deutlich weniger, 1404 Euro im Mittelwert – bei in etwa gleichen Lebenshaltungskosten.
Der Anteil der Arbeitslosen, zumal unter den jungen Leuten, der Menschen mit Niedrigstrente oder einem Lohn, der das Lebensminimum nicht deckt, ist weit größer als in Deutschland. Und wenn die Regierung in Rom den Armen „endlich helfen“ will, dann „darf sie das nicht“. Weil Brüssel und Berlin und Paris es nicht wollen. So stellen es die Populisten dar – und bedanken sich für die Wahlkampfhilfe.
Salvinis „europäischer Frühling“
Über „Italien entscheiden die Italiener, nicht Berlin, nicht Paris, nicht Brüssel“, hatte Salvini denn auch schon vor der Parlamentswahl im vorigen Jahr getönt. Nun bastelt er an einer Koalition der EU-Kritiker gegen „die Achse Macron-Merkel“.
Sein „europäischer Frühling“ soll die EU allerdings nicht mehr zerstören, so wie er das früher gefordert hatte. Weil derart radikale Töne aber bei den Italienern nicht ankamen, will er Europa jetzt lieber umbauen: weniger Flüchtlinge, mehr Law and Order – Salvini fordert zum Beispiel die Einführung der chemischen Kastration für Vergewaltiger – mehr Polizei, mehr Überwachung. Seine Partner könnten Ungarns rechtsnationaler Regierungschef Viktor Orbán, Frankreichs Marine Le Pen, und Jaroslaw Kaczynski mit seiner Pis-Partei in Polen sein.
Der „einzige Grund“, dass ihr Rassemblement National nicht mehr den Austritt Frankreichs aus der EU fordere, jubelt schon Madame Le Pen, sei die Aussicht, „dass wir zum ersten Mal die Möglichkeit haben, die EU von innen zu verändern.“ Denn überall in der EU seien nationalistische, EU-skeptische Parteien im Aufwind.
Das stimmt zwar. Trotzdem rechnen sich die radikalen Rechten ihre Zukunft vermutlich auch ein wenig zu schön. Selbst wenn sich die drei Sammelbecken,
- das „Europa der Nationen und der Freiheit“, wo bisher Le Pens Partei, die italienische Lega und die österreichische FPÖ sich gefunden haben,
- die „Europäischen Konservativen und Reformer“, mit den britischen Tories und den polnischen Pis-Abgeordneten,
- und das „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“, mit dem AfD-Abgeordneten Jörg Meuthen, den britischen EU-Gegnern der UK Independece Party und der „5-Sterne-Bewegung“ aus Italien,
zusammenschlössen, kämen sie im Idealfall kaum weit über 200 Sitze hinaus. Bei 751 EU-Parlamentariern reicht das nicht, um die Gemeinschaft umzukrempeln. Allein die Christdemokraten können – trotz herber Verluste – mit 180 Sitzen rechnen, die Sozialdemokraten mit knapp 150, die Liberalen mit deutlich über 70, die Grünen mit 50 plus.
Dazu kommt: Es sind nicht alle gleich Freunde, nur weil sie einen gemeinsamen Gegner haben. So findet Pis-Vormann Kaczynski die Russenfreundschaft von Salvini und anderen EU-Rechten unerträglich. Zudem wettert er gegen Deutschland, was die AfD in Schwierigkeiten brächte, wenn sie sich mit dem zusammentäte.
Umgekehrt punkten viele Rechtspopulisten daheim, wenn sie gegen die Geld-Transfers der EU an den größten Nettoempfänger Polen meckern. Manche Rechts-Skandinavier wiederum wollen mit der AfD nichts zu tun haben. Und so weiter. Einigkeit sieht anders aus.
Für Europa kann das nur gut sein.
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