Der Chef war zufrieden: „Note 10“ gebe er Justizminister Sérgio Moro für seinen Auftritt im Senat, lobte Präsident Jair Bolsonaro, das entspricht in Deutschland einer Eins.
Neun Stunden lang befragten Senatoren am Mittwoch Moro zu dem Justizskandal um die Verurteilung von Ex-Präsident Lula. Der Politiker war im vergangenen Jahr wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Er sitzt seit über einem Jahr in einer Zelle im Hauptquartier der Bundespolizei im südbrasilianischen Curitiba ein.
Der brasilianische Ableger der Investigativplattform „The Intercept“ hatte jüngst enthüllt, dass Moro und die ermittelnden Staatsanwälte während des Prozesses gegen Lula miteinander gekungelt hatten, um den Ex-Präsidenten so schnell wie möglich ins Gefängnis zu bringen. Sie schufen damit die Grundlage, um den beliebten Lula von der Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr auszuschließen.
Fröhliche Kumpanei zwischen Staatsanwälten und Richter
Moro war als Richter eigentlich zu Neutralität und Distanz verpflichtet. Die Chat-Aufnahmen, die „The Intercept“ zugespielt wurden, zeigen jedoch, dass zwischen Richter Moro und den Staatsanwälten fröhliche Kumpanei herrschte. Moro gab Tipps zu den Ermittlungen und besprach mit den Anklägern, wie sich die Presse dafür einspannen ließe, Lula zu verurteilen. Selbst in die personelle Besetzung des Ermittlerteams mischte Moro sich ein: Er kritisierte eine Staatsanwältin, die ihm nicht kompetent erschien. Prompt wurde sie bei den Verhören abgezogen.
Bei seinem Auftritt im Senat gelang es Moro nicht, die Vorwürfe zu entkräften. Doch darum ging es ihm offenbar auch nicht: Der Auftritt war ein politisches Manöver, um Rufe nach seinem Rücktritt verstummen zu lassen und seine politische Basis zu stärken. Moro versuchte, „The Intercept“ und ihre anonyme Quelle zu kriminalisieren und so vom Inhalt der Mitschnitte abzulenken.
Eine „Gangsterbande“ habe die Smartphones der Staatsanwälte gehackt, sagte Moro. Er selbst sei sich keiner Schuld bewusst, deshalb werde er auch nicht zurücktreten.
Brasilien: Politische Schicksalsgemeinschaft
Das war ganz im Sinne seiner Anhänger. Sie bedrohen Glenn Greenwald, den Chef des brasilianischen „Intercept“-Ablegers, als Volksverräter. Auf Twitter riefen rechte Fanatiker sogar zu seiner „Deportation“ auf – ein Wort, das im Zusammenhang mit einem Journalisten aus einer jüdischen Familie schreckliche Assoziationen weckt. Auch Greenwalds Ehepartner David Miranda, Abgeordneter für eine Linkspartei im Kongress, wurde mit einer Hass- und Schmähkampagne überzogen.
Moro, der sich gern als unbestechlicher Vorkämpfer gegen Korruption feiern lässt, ficht das nicht an. Er erweist sich jeden Tag mehr als gewiefter Machtpolitiker. Moro hat sein politisches Überleben an Bolsonaro geknüpft, die beiden befinden sich in einer Art politischer Schicksalsgemeinschaft.
Bolsonaro verdankt Moro indirekt die Präsidentschaft, denn gegen Lula hätte der rechtsradikale Außenseiter kaum eine Chance gehabt, das zeigten alle Umfragen. Auch Moros Berufung zum Minister erscheint jetzt in einem anderen Licht: Ist sie als Dank dafür zu verstehen, dass Moro Lula aus dem Weg geräumt hatte? Oder war sie womöglich ein Preis, den Bolsonaro lange vor den Wahlen mit Moro ausgehandelt hatte?
Sollte es bereits vor der Wahl Absprachen zwischen Moro und Bolsonaro gegeben haben, wäre der Skandal noch weitaus größer. Dann hätte der Richter sein Amt missbraucht, um die politische Zukunft Brasiliens zum eigenen Vorteil zu manipulieren. Indem er Lula verurteilte, warf er eben nicht irgendwen aus dem Wahlrennen, sondern den unbestrittenen Favoriten und immer noch beliebtesten Staatschef der jüngeren brasilianischen Geschichte.
Lula und seine Anhänger haben von Anfang an behauptet, der Prozess sei ein abgekartetes Spiel gewesen, um seine Rückkehr an die Macht zu verhindern. Der Prozess gegen ihn lief ungewöhnlich schnell; die Berufungsrichter, die Moros Urteil bestätigten, hatten nach eigenem Bekunden nicht einmal die Prozessakten gründlich gelesen.
„Intercept“-Chef Greenwald gibt die wichtigsten Enthüllungen aus dem umfangreichen Material nur scheibchenweise frei. Sollten sie Indizien für eine langfristige Absprache zwischen Moro, den Staatsanwälten und der damaligen politischen Opposition oder Bolsonaro enthalten, würde das bedeuten, dass die Legitimität des gesamten Wahlprozesses auf dem Spiel steht.
„In Fux we trust“
Doch selbst wenn diese Beweise ausbleiben, steht fest: Moro hat der brasilianischen Demokratie und ihrem Rechtssystem schweren Schaden zugefügt. Der Provinzrichter hat mit seinen Tricks und Kungeleien Fakten geschaffen, die der Geschichte Brasiliens eine dramatische Wendung gaben. Zumindest juristisch müsste der Skandal Folgen haben: Der Prozess gegen Lula müsste eigentlich annulliert und neu aufgerollt werden.
Am kommenden Dienstag will das Oberste Bundesgericht über einen entsprechenden Antrag von Lulas Anwälten entscheiden. Ob die Enthüllungen Lula helfen, ist jedoch offen: Das Gericht ist ebenso politisiert und gespalten wie die gesamte brasilianische Gesellschaft. Während politischer Krisen haben die Richter sich oft als Opportunisten erwiesen. Moro und die Staatsanwälte haben das einkalkuliert. „In Fux we trust“, scherzen sie in einem der „Intercept“-Mitschnitte.
Luiz Fux heißt einer der Richter. Er gilt als besonders willfährig gegenüber der Moro-Fraktion.
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