Herr Habeck, Tofu oder Schnitzel?
Ich esse kein Fleisch, Extremsituationen ausgenommen.
Wenn Sie zu verhungern drohen?
Quatsch. Einmal war ich zu Besuch auf einer Hallig. Die Leute dort hatten extra für mich ein Lamm geschlachtet. Da stand ich vor der Gewissensfrage: Gastfreundschaft oder Tierliebe?
Braucht man als grüner Parteichef eigentlich eine saubere Ökobilanz?
Es ist ziemlich freudlos, moralisch perfekt einzukaufen, perfekt zu essen, perfekt zu leben, immer alles ökologisch korrekt. Das gilt auch für grüne Vorsitzende. Man sollte sich aber auch nicht zu sehr in moralische Widersprüche verstricken.
Aber man darf sie aushalten?
Jedenfalls sollten wir diese Widersprüche nicht leugnen. Ein politisch durchgestyltes, spaßbefreites Leben halte ich nicht für erstrebenswert. Engel sind fehlerfrei, aber geschlechtslos. Als Landwirtschaftsminister kann ich das Loblied auf den Ökolandbau singen. Wenn Sie mich fragen, zu welchen Bedingungen mein T-Shirt hergestellt wurde, muss ich passen. Es geht nicht darum, dass wir bessere Menschen werden, sondern eine bessere Politik machen.
Sie haben mal behauptet, dass Ihnen ein ökologisch korrekter Lebensstil politisch sogar schadet.
Es steckt eine Gefahr darin, als abgehoben zu gelten. Ich kaufe meine Biomilch schon mal bei Aldi. Wer immer nur in Bioläden geht und in vegane Cafés, trifft immer nur die gleichen Leute. Diese Selbstbezüglichkeit ist nicht gut. Bei Aldi sehe ich Menschen, für die jeder Cent zählt. So was erdet.
Mit Bauern viel „Küstennebel“ zu trinken gehört auch dazu?
Boah, ich hasse das klebrige Zeug. Aber es ist wie mit dem Lamm auf der Hallig: Wat mutt, dat mutt. Die „Grüne Woche“ ist ein Pflichttermin für den Landwirtschaftsminister. Dort mache ich mit dem Bauernpräsidenten die Eröffnung, und nach jedem Satz gibt es einen Kurzen. Ich fürchte, mir wird auch in diesem Jahr wieder so eine Art Patronengürtel umgehängt, gefüllt mit 30 kleinen Fläschchen. Aber irgendwie ist es Tradition. Und Traditionen haben Bedeutung für Menschen.
Vielen gelten die Grünen als Verbotspartei, als Gutmenschen mit erhobenem Zeigefinger. Zu Recht?
Das kommt aus unserer Geschichte. Wir haben als Bürgerbewegung begonnen, da kommt man leicht in so ein Denken: Wenn wir schon nicht die Mehrheit haben, so doch zumindest die Wahrheit. Eine Bewegung muss überzeugt sein, das Richtige zu denken und zu tun. Sie braucht eine moralische Selbstvergewisserung.
Aber das liegt 30 Jahre zurück.
Eben. Heute sind viele grüne Positionen mehrheitsfähig, wir sind an neun Landesregierungen beteiligt, stellen einen Ministerpräsidenten. Grüne Ideen verändern das Land. Wir können Mehrheiten mit Argumenten gewinnen. Im Übrigen kann auch ein böser Mensch für die Energiewende sein.
Der hohe Ton jedoch ist geblieben.
Wir haben nach dem Veggie-Day-Debakel 2013 eine steile Lernkurve hingelegt. Bisweilen hat man uns zu Recht moralische Impertinenz vorgeworfen. Heute ist das mehr Legende als Realität.
Sind Sie wegen Ihres Pragmatismus in Schleswig-Holstein so erfolgreich? Ihre Partei regiert dort seit 2012 ununterbrochen mit.
Die Zustimmung für unsere Politik jedenfalls ist erstaunlich. Wir haben sogar ein krasses Mitgliederwachstum, obwohl in Kiel Jamaika regiert.
Dabei ist die Zahl der natürlichen Grünen-Gegner im Norden groß: Bauern, Fischer, Windkraftgegner.
Ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, dass die jetzt alle grün wählen. Aber ich hoffe, die meisten fühlen sich zumindest fair behandelt, weil ihre Argumente gehört werden.
Wo zum Beispiel?
Wir hatten einen aufgeladenen Konflikt zwischen Stellnetzfischern und Naturschützern. In den oft Hunderte Meter langen Netzen bleiben nicht nur Fische hängen, darin vertüddeln sich leider auch Schweinswale und ertrinken dann. Nun sind die Fischer quasi die Bergleute unserer Region, keine Postkarte kommt ohne Fischkutter aus. Ich kenne die Jungs, bin mit ihnen aufgewachsen, habe mit ihnen früher Eishockey gespielt. Auf der anderen Seite die Schweinswale, unsere Flipper – ebenfalls hochemotional.
Und wo ist die Brücke?
Die mussten wir in vielen kleinen Etappen selber bauen. Die Fronten waren anfangs verhärtet. Wir wollten Verbotszonen, die Fischer weitermachen wie bisher. Der Kompromiss: Die Fischer haben freiwillig die Netzlängen reduziert und testen elektronische Warngeräte. Wir hatten sogar Fähnchen mit der Aufschrift „Schweinswalfreundlich“ gedruckt und den Fischern gesagt: Wenn ihr mitmacht, könnt ihr doch einen Euro mehr für euren Dorsch nehmen. Es hat gedauert, aber inzwischen ist die Akzeptanz gestiegen. Die Menschen sehen: Wir versuchen die Natur zu schützen und den Fischern gerecht zu werden.
Sie sind ein Kind des Nordens, in Lübeck geboren …
… das nach dem Abitur aber so weit wie möglich wegwollte. Weiter als Freiburg machte allerdings keinen Sinn, wenn man Germanistik und Philosophie studieren wollte. Aber es stimmt, ich kann den Norden in mir nicht leugnen.
Sie wirken sehr verwurzelt. Fällt es Ihnen deswegen leichter als anderen Grünen, über Heimat zu reden?
Das liegt nicht an meiner Herkunft. Diese Unbefangenheit habe ich mir intellektuell erarbeitet. Ich bin in den 80er Jahren politisiert worden, als Kohl seine „geistig-moralische Wende“ ausrief. Das war ja der Versuch, Begriffe konservativ umzudeuten. Interessanterweise klappt das auch umgekehrt: Begriffe wie „Freiheit“ oder „Leistung“ sind ja nicht per se neoliberal, und „Heimat“ muss man nicht konservativ interpretieren.
Was ist Heimat für Sie?
Heimat ist das Gegenteil von Hotel: Dort ist man nicht zu Hause, trägt keine Verantwortung. Man wirft das Handtuch auf den Boden und lässt das Bett machen. Das macht man nicht, wenn man für etwas Verantwortung empfindet. In diesem Sinne ist meine Heimat nicht in erster Linie Schleswig-Holstein, wo ich zwischen Meeren und Deichen lebe, sondern Europa. Das ist der Bezugsraum, in dem ich denke, damit verbinde ich die Freiheit, für die ich mich verantwortlich fühle. Heimat ist also für mich kein konkreter Ort, sondern ein Versprechen, ein Horizont.
Das sagt ausgerechnet der Mann, der auf Fotos gern so friesisch-herb durchs Watt watet, als wäre er einer Bierreklame entsprungen.
Mein Amt bringt mehr Fotos in Gummistiefeln mit sich als, sagen wir, das der Bildungsministerin. Aber noch mal: Heimat ist für mich eine politische Kategorie, keine ästhetische. Heimat ist auch nicht angeboren. Wäre ich damals in Freiburg geblieben, sähe man mich heute vielleicht in Wanderschuhen durch den Schwarzwald ziehen.
Die AfD redet auch gern über Heimat. Als Ort, der verloren geht.
Ernst Bloch hat mal gesagt: Heimat ist das, was allen wie die Kindheit scheint und worin noch niemand war. Das meine ich mit Versprechen oder Utopie. Das ist der Denkfehler der AfD: die Verklärung einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Früher war eben nicht alles besser, auch wenn die Menschen das seit der Vertreibung aus dem Paradies gern glauben.
Sie haben lange als Schriftsteller gearbeitet. Denken Sie als Seiteneinsteiger anders über Politik?
Das ist mir zu anmaßend. Aber ich bin frei von Angst. Ich hatte ein Leben vor der Politik, und ich weiß darum, dass es auch ein Leben nach der Politik geben kann. Das gibt mir eine innere Freiheit.
Ist das ein Grundproblem, dass überall in der Politik Angst regiert?
Das scheint mir der Zug der Zeit zu sein. Wir leben in einer Gesellschaft, die von Ängsten geprägt ist. Alle haben Angst, nicht nur Politiker. Angst vor Flüchtlingen, Angst, die Arbeit zu verlieren, Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg. Auch Grüne sind nicht frei davon. Angst ist menschlich. Aber wir dürfen darin nicht verharren. Wir setzen diesen Ängsten viel zu selten etwas entgegen, ein „Wir kriegen das schon hin“. Stattdessen verbuddeln sich alle so tief in Löchern, bis niemand mehr den Horizont sehen kann.
Ihr Rat: mehr Lockerheit wagen?
Ich bin auch nicht der allermutigste Mensch. Aber ich finde, wir müssen diese Verdruckstheit, diesen Pessimismus ablegen. Meine Erfahrung als Minister zeigt mir jedenfalls, die Leute finden es nicht schlimm, wenn man sagt: Ich habe keine fertige Lösung, aber lasst uns dieses Problem endlich angehen.
Schriftsteller leben vom Zweifel. Politiker müssen immer auf alles eine Antwort haben. Nervt das?
Das ist die Erwartungshaltung. Man kann als Politiker aber auch mal sagen: Ich weiß hier nicht weiter.
Schon mal ausprobiert?
Ich habe das nach dem Scheitern von Jamaika persönlich erlebt. Ich war einerseits sauer auf die FDP, aber auch enttäuscht von uns allen, die wir da verhandelt haben, mich eingeschlossen. Ich musste aber zugeben, dass ich auf Anhieb auch nicht wusste, was wir hätten anders machen können. Sonst hätten wir es ja getan.
Wird Ehrlichkeit bei Politikern nicht oft als Schwäche ausgelegt?
Nicht immer. Aber in der Medienwelt wird aus dem „Ich weiß es auch nicht besser“ schnell die Schlagzeile „Habeck ist ratlos“. Und dann sagen die Leute: Das kann ja nichts werden.
Wo sind denn die Politiker, die versuchen, diese Angst zu überwinden, einen Aufbruch zu wagen?
Es gibt sie. Justin Trudeau hat das in Kanada geschafft, Emmanuel Macron in Frankreich. Sie haben das Ruder rumgerissen, ohne Menschen auszugrenzen und sich aufs Nationale zurückzuziehen. Als Macron startete, schien Marine Le Pen mit ihrem Rechtspopulismus unbesiegbar zu sein. Jetzt ist er Präsident.
Steht den Deutschen überhaupt der Sinn nach Aufbruch? Der Erfolg der AfD zeigt doch, dass sich viele vor der neuen Zeit fürchten.
Der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte hat vielen Menschen mehr Freiheit gebracht. Er führt aber auch dazu, dass Lebensmodelle infrage gestellt werden. Durch Globalisierung, offene Märkte und Digitalisierung sind ganze Berufsgruppen dabei zu verschwinden. Gerade wir Grünen, die Veränderung und Fortschritt befürworten, dürfen nicht den Fehler machen, Ängste vor Identitätsverlust als kleinbürgerlich oder spießig abzutun. Es ist auch unsere Aufgabe, diesen Menschen Halt zu geben, wenn Sie so wollen, Heimat. Auch die, die nicht in den Biomarkt gehen und weiter Currywurst essen wollen, müssen sich anerkannt fühlen.
Machen Sie hier den Macron?
Im Moment mache ich den Fischereiminister.
Sie wollen aber Vorsitzender der Grünen werden, auf dem Parteitag Ende Januar. 2008 haben Sie das noch abgelehnt. Sie wollten für Ihre Familie und Ihre vier Söhne da sein. War das ängstlich oder modern?
Es war die Wahrheit. Ich wollte nicht vier Kinder in die Welt setzen und mich aus dem Staub machen, um Parteivorsitzender zu werden.
Kaum haben Sie Ihre Kandidatur erklärt, bricht in Ihrer Partei Streit los. Natürlich nicht um Inhalte. Es geht, typisch grün, um Linke, Realos, Satzungsfragen.
Ich trete nicht als Realo oder Linker an, sondern als Kandidat für die gesamte Partei. Wir müssen diese Flügellogik endlich hinter uns lassen. Sie ist so Achtziger! Aus dieser Zeit stammt unsere Satzung. Sie sieht nicht vor, dass ein Minister als Parteichef kandidieren darf. Als die geschrieben wurde, war Kohl noch nicht mal Kanzler, niemand hat von grünen Ministern auch nur geträumt.
Das interessiert außerhalb der Grünen, mit Verlaub, keine Sau.
Das verstehe ich. Unabhängig von meiner Person steckt hinter der Satzungsdebatte eine politische Frage: Wollen wir die Erfahrung von Regierungsgrünen für die Partei nutzen oder nicht? Das sollten wir klären, ja. Und dann schnell wieder die Gesellschaft in den Blick nehmen. Gerade weil die SPD schwach und die CDU müde ist.
Die Lage Ihrer Partei ist aber auch wenig komfortabel: Sie sitzen weitere vier Jahre in der Opposition, als kleinste von sechs Fraktionen.
Darin liegt aber auch eine Chance für uns. Gesucht wird eine Partei, die angesichts einer erwartbar lahmen Großen Koalition eine bindende Kraft in der linken Mitte entfalten kann, die Relevanz und Optimismus ausstrahlt. Wenn wir gegen die Nörgelei und die Angst eine starke grüne, proeuropäische Erzählung setzen, können wir aus der Opposition heraus eine gestaltende Kraft werden.
Sie haben den Grünen mehr Rock’n’Roll empfohlen.
Ja, raus aus dem Blues! Wir haben genug getrauert, dass Jamaika gescheitert ist, genug beklagt, dass wir die kleinste Oppositionspartei sind. Natürlich können die Grünen abschmieren, alles, was ich sage, kann sich als falsch erweisen, es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann eine Republik ohne die Grünen gibt – es kann aber auch sein, dass wir es schaffen, gesellschaftliche Hoffnungen zu wecken. Das Geile ist doch: Wir haben es selbst in der Hand. Rock’n’Roll!
Ist Ihr Rat eine Reminiszenz an Joschka Fischer, der sich selbst als „letzten Live-Rock’n’Roller der deutschen Politik“ beschrieb?
Nein, an Fischer habe ich nicht gedacht. Seine Raubeinigkeit fand ich immer beeindruckend, seine Macker-Attitüde ging mir allerdings ganz gehörig auf den Senkel.
Was bedeutet Ihnen Macht?
Ich hoffe, dass ich ehrlich bin, wenn ich sage: persönlich gar nichts.
Wo haben Sie mehr über Macht gelernt? Im Ministerjob oder bei Shakespeare?
Bei Shakespeare habe ich viel über Ruchlosigkeit gelernt.
Berlin gilt als Stadt der Intrige.
Und der Ruchlosigkeit.
Wirklich keine Angst?
Nein. Es fühlt sich an, als komme man in eine unbekannte Stadt, steht mit dem Rucksack auf dem Bahnhof, hat kein Hotel gebucht und weiß nicht genau, wo man hin soll. Fremd, aber neugierig.
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