Die Kommission der Europäischen Union will Kernenergie und Erdgas im Kampf gegen den Klimawandel als nachhaltig einstufen. Die Bundesregierung hat die Klassifizierung von Atomkraft bereits zurückgewiesen. Erdgas als Übergangstechnologie einzustufen, hält sie allerdings für sinnvoll. Wie ein Regierungssprecher der Nachrichtenagentur Reuters sagte, sei Erdgas für die Regierung „vor dem Hintergrund der Ausstiege aus der Kernenergie und aus der Kohleverstromung eine wichtige Brückentechnologie auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität“.

Allerdings müssten die Bestimmungen noch im Detail analysiert werden. Dabei sei die „Haltung der Bundesregierung zur Kernenergie“ nach wie vor unverändert, sagte der Sprecher. Die Überzeugung der Bundesregierung sei, Kernenergie auch weiterhin „nicht als nachhaltig einzustufen“. Konkret sieht der Vorschlag der EU-Kommission vor, dass vor allem in Frankreich geplante Investitionen in neue Atomkraftwerke als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technikstandards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird.

Bundesbildungsministerin Svenja Schulze (SPD) lehnt den Vorschlag der Kommission ab. Atomkraft sei „zu teuer und zu langsam, um der Welt beim Klimaschutz zu helfen. Sie wird daher niemals mehr als die heute rund fünf Prozent am weltweiten Energiemix stellen“, sagte Schulze. Für Entwicklungsländer sei die Kernenergie „aus guten Gründen keine Option“.

Wind- und Solaranlagen seien sowohl in Deutschland als auch in Afrika und anderen Teilen der Welt die deutlich bessere Alternative. In Gebieten ohne Netzanschluss könnten Menschen so dezentral mit Energie versorgt werden. Auch Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) sowie Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatten den Vorstoß zurückgewiesen.

Italienische Lega schlägt Referendum vor

In Österreich war der Vorschlag der Kommission ebenfalls auf Kritik gestoßen. Das Land drohte sogar mit einer Klage. Die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) bezeichnete den Vorschlag als eine „Nacht- und Nebelaktion“ der Kommission für das „Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas“. Österreich werde „nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Taxonomieverordnung vorzugehen“. Organisationen wie Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe warfen der
Brüsseler Behörde am Wochenende vor, ein vollkommen falsches Signal zu
setzen und ihre eigenen Klimaziele zu untergraben.

Matteo Salvini von der rechten Lega in Italien hingegen begrüßte den Plan aus Brüssel und will im Land wieder Atomkraftwerke bauen. Auf Twitter schrieb er, dass seine Partei offen für ein Referendum zu der Frage sei. Italien war bereits nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl Ende der Achtzigerjahre aus der Kernenergie ausgestiegen. Bei einem Referendum 2011 wurde eine Rückkehr zur Atomenergie abgelehnt. Andere Parteien wie die Fünf Sterne, die wie die Lega in der Vielparteienregierung sind, lehnen Atomkraft ab.

Die nächste EU-Verordnung zur Taxonomie wird seit Monaten mit Spannung erwartet. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung an Investoren gleich. Vor allem Frankreich dringt mit Nachdruck auf eine Einstufung der Atomkraft als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder, die mit Atomstrom ihre Klimabilanz verbessern wollen, sind dafür. Entschieden dagegen war bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten.

Der nun begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll etwa zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen Vorschlag vorstellen, gegen den der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament jeweils ein Veto einlegen können. Die Umsetzung kann nach Angaben der EU-Kommission nur verhindert
werden, wenn sich mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die
mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, oder
mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament.

Dies gilt allerdings als unwahrscheinlich, da sich neben Deutschland
und Österreich lediglich Länder wie Luxemburg, Dänemark und Portugal klar
gegen eine Aufnahme der Atomkraft aussprechen und auch eine ausreichend
große Mehrheit gegen die geplanten Gasregeln nicht in Sicht ist.

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