Ist es eigentlich denkbar,
dass die größte Transformation der deutschen Wirtschaft und Infrastruktur seit
hundert Jahren sowie die rasche Abkehr von der allem eingeprägten fossilen
Zerstörung in einer Zufallskoalition binnen weniger Wochen durchverhandelt werden
kann, ohne dass es knallt? Ohne versteckte und offene Drohungen, ohne Frust und
Wut, ohne Durchstechereien und ohne Verspätungen? Revolution bis Nikolaus?
Nein, ist es nicht, und
vielleicht ist es noch nicht einmal wünschenswert.
Die fast schon spielerische
Präzision und Professionalität aus den Tagen von Vorsondierung und Sondierung
haben überdeckt, mit welcher politischen Erblast und mit welchen gewaltigen
Aufgaben es diese mögliche neue Konstellation zu tun bekommt.
Um mal mit einer scheinbaren
Nebensächlichkeit zu beginnen, den untergründigen Animositäten von FDP und SPD
gegen die Grünen. Den Liberalen als Partei des bekennenden Egoismus geht der
teils geheuchelte Altruismus des grünen, in der Wohnung gegenüber lebenden
Milieus gewaltig auf den Zeiger. Ein Nebenziel der FDP ist es darum immer, die
angebliche oder wirkliche Bigotterie der Grünen auf den Boden der Tatsachen zu
bringen, am besten einen recht harten Boden. Und die SPD hat durchaus nicht
vergessen, dass die Grünen vorhatten – und womöglich noch vorhaben – sie als
hegemoniale Kraft im linken Spektrum abzulösen. Ein unausgesprochenes Ziel
sozialdemokratischen Verhandelns lautet dementsprechend: Nie wieder sollen die
Grünen stärker werden können als wir.
Klima bleibt allein das Anliegen der Grünen
Wenn sich Grüne also in
diesen Tagen nicht nur von der FDP, sondern auch von der Sozialdemokratie
enttäuscht zeigen, so handelt es sich wohl kaum um bloßes taktisches Gequengel.
Viel schwerer noch als solche
emotionalen Störungen wiegt allerdings das Erbe, das die Parteien aus dem
Wahljahr mit in die Verhandlungen schleppen. FDP und SPD haben sich da zwar offiziell
auch auf das 1,5-Grad-Ziel festgelegt, nach den Wahlen aber aus dem dürftigen
Abschneiden der Grünen dennoch den Schluss gezogen, dass den Leuten das Klima
wohl doch nicht so wichtig sei. Das jedenfalls wollen die Grünen bei den
Verhandlungen mehrfach herausgehört haben.
Sogar die Grünen selbst
empfinden ihr Wahlergebnis als enttäuschend, sie sind defensiver gestimmt, als
sie sich geben. Das wiederum liegt auch daran, dass sie selbst in ihrem
Wahlprogramm keine hinreichenden Maßnahmen vorgeschlagen haben, die in der
Summe einen 1,5-Grad-Pfad möglich machen. Ihr Kalkül war, die Klimakrise
maximal zu dramatisieren und zugleich mit ihren Maßnahmen dagegen möglichst
wenig anzuecken, um ein so gutes Ergebnis zu erzielen, das es ihnen dann wiederum
erlaubt, mit der dadurch entstehenden Euphorie, Hegemonie und den operativen
Hebeln die noch fehlenden Maßnahmen noch durchzusetzen. Der grüne Ansatz, der
Volksparteihaftigkeit, Zumutungsfreiheit und Klimakrisenenergie synergetisch
verbinden sollte, ist indes an der 14,8-Prozent-Hürde gescheitert. Nun sehen
sich die Grünen in der unkomfortablen Lage, aus der Defensive heraus einen
1,5-Grad-fähigen Koalitionsvertrag erzwingen zu müssen, wenn sie nicht weite
Teile ihrer Stammwählerinnen frustrieren und die ökologische Community spalten
wollen.
FDP und SPD wiederum erwecken
in den Koalitionsverhandlungen den Eindruck, als sei Klimapolitik ein Thema
unter anderen und vor allem eines der Grünen. Christian Lindner hat das bei
Maybrit Illner sogar offen gezeigt, beim Klima, so hieß es da großmütig,
müssten die Grünen auch Erfolge erzielen können.
Diese Zuschreibung, Klima sei
in erster Linie Sache der Grünen, bedeutet natürlich, dass jede leidlich klimarealistische
Maßnahme als ein Zugeständnis an die Ökopartei zu werten und entsprechend an
anderer Stelle zu kompensieren sei. Mehr noch: Fast alle Maßnahmen, die einen
1,5-Grad-Pfad ermöglichen könnten, werden in die Kompromissmühle eingespeist,
was im Effekt bei einem 2,2-Grad-Pfad – oder schlechter – enden könnte.
Wenn die Grünen nicht liefern, wächst eine zweite grüne Partei
Die Zuschreibung des Themas
ebenso wie das Aufweichen der Maßnahmen kann man mit Blick auf das Wahlergebnis
durchaus als bloß logisch interpretieren. In Hinsicht auf die Versprechungen von
SPD und FDP, darauf weisen Grüne zurzeit gern hin, aber nicht. Bei Weitem
wirkungsvoller als der Verweis auf jetzt schon brechende gelbe und rote
Wahlversprechen wäre allerdings der Blick auf die rechtliche Lage. Das Abkommen
von Paris, die Beschlüsse der EU (Fit for 55), der Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts zum Klima sowie das bestehende Klimaschutzgesetz
würden auch eine Regierung ohne Grüne dazu zwingen, einen 1,5-Grad-Pfad
zumindest ernstlich anzustreben.
Vom gesetzlichen Gefälle zu
ihren Gunsten profitieren die Grünen bisher jedoch nicht. Das liegt aber nicht
nur an ihrer Erschöpfung nach dem gescheiterten Volkspartei-Versuch, es liegt
vielmehr daran, dass sie diesen Weg trotz seines Scheiterns weitergehen. Brav
und beflissen, Everybody’s-Schwiegersohn-mäßig halten sich die Grünen in diesen
Koalitionsverhandlungen weitgehend an die selbst auferlegten Regeln der
Vertraulichkeit und der Höflichkeit. Dabei kämen sie allenfalls durch das
Füttern und Mobilisieren der Öffentlichkeit aus der fatalen Zuschreibung
heraus, Klima sei Angelegenheit der Grünen, und könnten auch nur so das in ihre
Richtung wirkende gesetzliche Gefälle nutzbar machen. So aber versuppen die
Grünen hilflos in ihrer eigenen Niederlage.
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