Die Korruptionsaffäre um Alexej Uljukajew sorgt selbst im an Skandale gewöhnten Russland für Aufsehen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion nimmt der FSB den inzwischen entlassenen Wirtschaftsminister fest. Nach Angaben der Ermittler hat er von dem Ölriesen Rosneft zwei Millionen Dollar für seine Zustimmung zum Kauf von Anteilen an der kleineren Ölfirma Baschneft erpresst. Uljukajew steht nun unter Hausarrest, er weist die Vorwürfe zurück. Die Staatsmedien berichten dennoch über das erfolgreiche Vorgehen der Behörden. Inzwischen sind nach einem Bericht der Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ auch andere Mitglieder der Regierung im Visier des FSB.
Russland gilt als eines der korruptesten Länder der Welt. SPIEGEL ONLINE sprach mit Anton Pominow, Chef von Transparency International Russland, über die Ungereimtheiten im Fall Uljukajew und den Umgang mit Schmiergeldern in dem Land.
SPIEGEL ONLINE: Herr Pominow, es klingt wie in einem Krimi: Der entlassene Minister Uljukajew wird in einem Gebäude von Rosneft festgenommen, als er einen Geldkoffer mit 100-Dollar-Scheinen an sich nimmt. Ist das in Russland normal?
Anton Pominow: Es ist außergewöhnlich. Andere Korruptionsfälle haben gezeigt, dass Schmiergeldzahlungen unauffällig über Offshore-Konten abgewickelt werden. Uljukajew ist alles andere als naiv. Er war mit solchen Methoden vertraut, wie die Panama Papers zeigen. Da taucht bereits vor zehn Jahren der Name von Uljukajews Sohn auf. FSB-Offiziere haben anscheinend zu viele Filme gesehen, Offshore-Firmen interessieren sie nicht, wie der Uljukajew-Fall zeigt.
SPIEGEL ONLINE: Der Ex-Minister gilt als vermögend. Ist die Summe von zwei Millionen Dollar, die er angeblich erpresst hat, nicht gering angesichts anderer Korruptionsfälle?
Pominow: Ja, diese Summe entspricht einem Bürgermeister, aber nicht einem Minister. Es würde mich sehr wundern, wenn bei einem Deal dieser Größenordnung Bestechungsgelder in Höhe von nur zwei Millionen Dollar erpresst oder gezahlt wurden.
SPIEGEL ONLINE: Sie meinen den Teilverkauf der Baschneft-Anteile an Rosneft. Der war längst genehmigt, wieso wird Uljukajew erst jetzt verhaftet?
Pominow : Eine gute Frage, er war ein sehr loyaler Beamter. Uljukajew hat nie unseren Präsidenten oder Premier kritisiert.
SPIEGEL ONLINE: Umso merkwürdiger ist es doch.
Pominow: Ich glaube, Uljukajew wurde zum Verhängnis, dass er dagegen war, dass ein staatlicher Riesenkonzern wie Rosneft einen anderen staatlichen Ölkonzern Baschneft kauft. Das war für ihn eine Scheinprivatisierung. Damit hat er sich mit Rosneft-Chef Igor Setschin angelegt, einem der mächtigsten Männer des Landes und engen Vertrauten Putins. Es ist ja bekannt, dass der Sicherheitschef von Rosneft ein ehemaliger FSB-General ist – und der Geheimdienst hat das Problem Uljukajew auf seine Art und Weise gelöst.
SPIEGEL ONLINE: Ist der ehemalige Minister in eine Falle getappt?
Pominow: Es sieht danach aus, ja. Es gibt im Russischen die Redewendung bitwa buldogow pod kowrom – wörtlich übersetzt heißt das: der Kampf von Bulldoggen unter einem Teppich. Damit sind unter den Teppich gekehrte, verdeckte Machtkämpfe gemeint. In Russland spielen sie sich zwischen Kreml, der Regierung, den Wirtschaftsliberalen, der FSB-Zentrale Lubjanka und anderen Sicherheitsbehörden ab. Was da genau passiert? Wir Außenseiter wissen nur wenig darüber. Nur selten werden die Machtkämpfe für alle sichtbar – wie jetzt, da der Teppich zusammengeschrumpft ist und die Bulldoggen darunter nicht mehr genug Platz haben. Dass der Teppich kleiner wird, ist auf die Wirtschaftskrise in Russland zurückzuführen. Die Unternehmen erzielen nicht mehr so viele Gewinne.
SPIEGEL ONLINE: Wird die Bekämpfung von Korruption vorgeschoben, um unliebsame Gegner loszuwerden?
Pominow: Das ist keine Seltenheit, in Wirklichkeit geht es dann um etwas anderes: Geschäfte oder Rivalitäten um Einfluss. Die Ermittlungen sind ein Signal, eines, das dann meist nur Insider verstehen. Bei uns ist der Kampf gegen Korruption Sache der Geheimdienste. Putin war FSB-Chef, nach seiner Vorstellung sind es Beamte mit Schulterklappen, die Menschen verfolgen, die Bestechungsgelder zahlen und annehmen – das Vorgehen gegen Korruption ist damit auch ein repressives Instrument.
SPIEGEL ONLINE: Der FSB meldet allein für die ersten sechs Monate 2016 mehr Ermittlungen als im ganzen Jahr 2014. Klingt beachtlich, oder?
Pominow: Das hat mit einem wirklichen Kampf gegen Korruption wenig zu tun, der sollte systematisch erfolgen, überall in den verschiedenen Institutionen, und sich nicht auf Einzelfälle beschränken. Im Visier des FSB sind vor allem niedere Beamte und Gouverneure. Die Moskauer und St. Petersburger Elite des Landes kommt nach wie vor oft ungestraft davon.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrer gerade veröffentlichten Studie bezeichnen die Russen Bestechungsgelder als drittgrößtes Problem. Viele sagen, dass sie solche Fälle nicht melden würden, auch, weil es nichts bringe. Verfolgen Behörden solche Anzeigen nicht?
Pominow: Das hängt von der Region ab. Das merken wir, wenn wir als Organisation Klagen gegen Beamte einreichen. In Kaliningrad und im Gebiet Altai reagieren die Staatsanwaltschaften auf unsere Schriftsätze. In Moskau und im Moskauer Umland so gut wie gar nicht.
SPIEGEL ONLINE: Die Behörden brandmarken Sie als „ausländischer Agent“, was bedeutet das für Ihre Arbeit als Antikorruptionsorganisation?
Pominow: Die Behörden waren uns gegenüber nie sehr offen. Jetzt haben sie noch ein Argument mehr, um unsere Anfragen abzublocken. Wir wurden zu insgesamt 600.000 Rubel (rund 8600 Euro) Geldstrafe verurteilt, weil wir angeblich auf unserer Internetseite zweimal nicht richtig angegeben hatten, dass wir „ausländischer Agent“ sind. Wie genau das aber formuliert werden muss, das wusste keiner.
SPIEGEL ONLINE: Und jetzt ist alles korrekt?
Pominow: Ich gehe davon aus, bis jetzt hat sich niemand bei uns gemeldet.
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