Ein Zwischenfall vor der Halbinsel Krim hat die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine wieder aufbrechen lassen. Wie das Verteidigungsministerium in Kiew mitteilte, hat die Regierung die Streitkräfte des Landes in volle Kampfbereitschaft versetzt. Zudem soll das Parlament in Kiew auf Bitten von Präsident Petro Poroschenko bei einer Sondersitzung über die Einführung des Kriegsrechts entscheiden. In New York setzte der UN-Sicherheitsrat ebenfalls für diesen Montag eine Dringlichkeitssitzung an. Die EU und die Nato zeigten sich besorgt und riefen zur Deeskalation auf.
Der Vorfall ereignete sich am Sonntag an der Straße von Kertsch, einer Meerenge zwischen der Krim und Russland, die das Schwarze Meer mit dem Asowschen Meer verbindet. Die Ukraine wirft Russland vor, drei seiner Marineschiffe beschossen und aufgebracht zu haben. Dabei seien sechs ukrainische Marinesoldaten verletzt worden, zwei von ihnen schwer. Bei den betroffenen Schiffen handelt es sich demnach um zwei kleine Kriegsschiffe und einen Schlepper.
Der russische Inlandsgeheimdienst FSB, der auch für den Grenzschutz zuständig ist, bestätigte, die ukrainischen Schiffe seien mit Einsatz von Waffen gestoppt worden. Russische Kräfte seien an Bord gegangen und hätten die Schiffe durchsucht. Demnach wurden drei ukrainische Soldaten verletzt und medizinisch versorgt. Sie seien nicht in Lebensgefahr. Der FSB warf den ukrainischen Marineschiffen vor, die russische Grenze verletzt und „in russischen Hoheitsgewässern illegale Aktivitäten“ betrieben zu haben.
Poroschenko verurteilt „aggressiven Akt“ Russlands
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko verurteilte dagegen einen „aggressiven Akt“ Russlands und eine „vorsätzliche Eskalation“. Er berief am Sonntagabend den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat ein, dessen Vorsitzender Alexander Turtschinow von einem „Akt militärischer Aggression“ sprach. Am Ende beschloss das Gremium, für 60 Tage das Kriegsrecht zu verhängen – dem das Parlament nun noch zustimmen muss. Poroschenko bekräftigte, es handle sich nicht um eine „Kriegserklärung“ an Russland. Das Kriegsrecht solle lediglich zu Verteidigungszwecken verhängt werden.
Unterdessen rief der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin die westlichen Verbündeten auf, sich der Aggression Russlands entgegenzustellen. Auf Twitter schrieb er: „Diese Attacke ist nicht nur für uns, sondern für die ganze zivilisierte Welt eine Herausforderung. Jetzt ist Krieg mit der Russischen Föderation auf unserem Land und darüber hinaus.“ Im Gespräch mit der Bild-Zeitung schloss Klimkin „die Fortsetzung russischer Aggression sowohl in den Gewässern als auch auf dem Boden nicht aus“.
„Das ist natürlich sehr gefährlich“
Die Straße von Kertsch ist sowohl für Moskau als auch für Kiew von größter Bedeutung. Die Meerenge ist die einzige Verbindung zwischen dem Schwarzen Meer und dem nördlich gelegenen Asowschen Meer. Dieses Gewässer nordöstlich der Krim entwickelt sich seit Monaten zu einem weiteren Schauplatz des Konflikts der beiden Nachbarländer. Hier liegen unter anderem das von prorussischen Separatisten kontrollierte Industriegebiet Donbass und die Hafenstadt Mariupol, die letzte noch von Kiew kontrollierte große Stadt im Osten der Ukraine und ein wichtiger Industriestandort.
Die Beziehungen zwischen den Regierungen in Kiew und Moskau sind seit dem Frühjahr 2014 zerrüttet. Damals hatte Russland die Halbinsel Krim annektiert und soll bis heute auch die prorussischen Kämpfer in der Ostukraine aktiv unterstützen. Die Separatisten kämpfen dort seit 2014 gegen die Regierung in Kiew, mehr als 10.000 Menschen wurden in dem Konflikt bislang getötet.
So wie die EU und die Nato rief auch die Bundesregierung beide Seiten zur Deeskalation auf. „Das ist natürlich sehr gefährlich“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, im Deutschlandfunk. „Das letzte, was wir brauchen, ist eine weitere Eskalation.“ Er rief Russland und die Ukraine auf, sich jeder Anwendung militärischer Gewalt zu enthalten. Russland müsse in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht einen ungehinderten Zugang zu den ukrainischen Häfen sicherstellen. „Beide Seiten müssen jetzt deeskalieren.“ Sie dürfte nicht noch weiter an einer Spirale drehen, „die am Ende zu ganz furchtbaren Konsequenzen führen könnte“.
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