Kuba verabschiedet sich von Revolutionsführer Fidel Castro, der im Alter von 90 Jahren gestorben ist. Fast ein halbes Jahrhundert war er an der Macht, viele jüngere Menschen auf der Insel kennen nur Castros Sozialismus. Am Sonntag wird seine Urne beigesetzt. Im Interview erklärt Kuba-Experte Bert Hoffmann, wie sich das Leben auf der Insel entwickeln wird, wenn die offiziellen Trauerfeiern vorbei sind.

SPIEGEL ONLINE: Für die einen war Fidel Castro Hassfigur, für die anderen Idol. Was wird von seinen Ideen bleiben?

Bert Hoffmann: Von Castro und seiner Revolution wird nicht nur auf Kuba, sondern auch international das Versprechen sozialer Gerechtigkeit bleiben und das Versprechen einer Gesellschaft, an der alle Schichten und Bürger teilhaben. Castro hatte einen autoritären Politikstil, der in einem halben Jahrhundert keine einzige legale Demonstration gegen die Regierung zugelassen hat. Dass er für viele Menschen trotzdem eine so positiv besetzte historische Figur ist, hat damit zu tun, dass die kubanische Revolution soziale Anliegen, die ganz tief auch im christlichen Humanismus verankert sind – Gesundheit, Bildung, soziale Fürsorge – auf die Agenda gesetzt und in bemerkenswertem Maße umgesetzt hat.

SPIEGEL ONLINE: Wie sehen das die Menschen auf Kuba?

Hoffmann: Viele alte Menschen werden Fidel Castro immer würdigen. Für eine ganze Generation jüngerer Menschen aber ist er aber vor allem als kranker alter Mann in Erscheinung getreten in einem Land im Krisenmodus. Sie haben keine euphorische Aufbruchszeit erlebt. Fidel Castro wird in Kuba sehr unterschiedlich wahrgenommen, zwischen sozialen Schichten, zwischen Stadt und Land. Manche verdammen ihn, manche vergöttern ihn, manche sehen bei ihm Licht und Schatten. Man kennt seinen berühmten Satz: ‚Die Geschichte wird mich freisprechen.‘ Aber es gibt in Kuba nicht eine, es gibt viele Geschichten und viele Perspektiven.

SPIEGEL ONLINE: Erwarten Sie einen Erinnerungskult auf Kuba?

Hoffmann: Für so eine historische Figur, so einen charismatischen Revolutionsführer ist sein Abschied bemerkenswert. Er ist vor zehn Jahren erkrankt und vor aller Augen gealtert, mit 90 Jahren gebrechlich gestorben. Das war kein heroischer Abgang als Held auf der Barrikade, mit der Waffe in der Hand. Dass diese historische, geradezu überdimensionale Figur so „normal“ gestorben ist, hat auch etwas sehr Gesundes für die Gesellschaft. Dazu passt, dass er auf einem normalen Friedhof in Santiago de Cuba beigesetzt wird. Der Staat baut ihm kein Fidel-Mausoleum, keine Pilgerstätte wie für Mao oder Lenin, an der Massenaufmärsche vorbeiziehen – und wie sie es noch für Che Guevara gemacht haben!

SPIEGEL ONLINE: Fidel regierte in den letzten Jahren nicht mehr mit, aber er behielt seinen Bruder Raúl immer im Auge. Kann Kubas Präsident jetzt befreiter agieren?

Hoffmann: Die Situation auf Kuba ist momentan sehr angespannt, aber das liegt nicht an Fidel Castros Tod. Erstens ist die Wirtschaftslage sehr schwierig, und zweitens erlebt Kuba nach der Wahl von Trump vermutlich das Ende der Entspannungspolitik mit den USA. Das birgt sehr viel Spannung, sehr viele Unsicherheiten. Große Reformen und Liberalisierung haben für die Regierung da keinen Vorrang, sondern: Reihen fest geschlossen halten, durchhalten.

SPIEGEL ONLINE: Von Donald Trump ist ein deutlich härterer Kurs gegenüber Kuba zu erwarten. Er hat Fidel Castro nach seinem Tod als brutalen Diktator verurteilt.

Hoffmann: Wenn Trump in den USA die Regierungsgeschäfte übernimmt, wird er vermutlich eine sehr aggressive Rhetorik und konfrontative Politik gegenüber Kuba fahren. Das ist ein riesiger Rückschlag für das, was Obama und Raúl Castro an Annäherung zustande gebracht haben. Auch die kubanische Regierung musste über einen großen Schatten springen. Am Ende saß Raúl Castro mit dem einstigen imperialistischen Erzfeind hemdsärmelig zusammen und schaute gemeinsam ein Baseballspiel.

SPIEGEL ONLINE: Wie geht Kuba mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage um? Das Land ist abhängig von Öllieferungen aus Venezuela, doch mit der Krise dort sind die Lieferungen drastisch reduziert worden.

Hoffmann: Die Unterstützung aus Venezuela ist weitgehend weggefallen, es gibt jetzt ein Sparprogramm. Viele öffentliche Einrichtungen haben verkürzte Arbeitszeiten, um Strom zu sparen. Die Versorgung ist schlechter geworden, die Bevölkerung unzufrieden. Darauf muss die Regierung reagieren – aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das derzeit mit einer weiteren wirtschaftlichen Öffnung tut. Nicht Öffnung dürfte ihr Gebot der Stunde sein, sondern Kontrolle.

SPIEGEL ONLINE: Raúl Castro, der die Öffnung vor ein paar Jahren eingeleitet hatte, will noch bis 2018 regieren. Dann sollen Jüngere an die Macht. Wie könnte die Zeit nach Raúl aussehen?

Hoffmann: Wenn Raúl abtritt, endet die Ära Castro. Es ist der Abschied der historischen Generation. Die nach 1960 Geborenen werden in die erste Reihe treten. Aber niemand wird die Machtfülle von Fidel oder Raúl erreichen. Beide waren nicht nur Präsident, sondern auch Erster Sekretär der Kommunistischen Partei und oberster Militär des Landes. Diese drei Funktionen werden, denke ich, in Zukunft auseinanderfallen und auf verschiedenen Schultern liegen. Es wird viel darum gehen, die unterschiedlichen Interessen im Apparat auszubalancieren. Aber so lange es eine gemeinsame Bedrohung gibt und Trump seine Rhetorik verschärft, wird das die Kader zusammenschweißen.

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