Wenig Zeit? Am Textende gibt’s eine Zusammenfassung.


Fidel Castro hatte sein Haus bestellt. Die Macht gab er schon vor zehn Jahren an seinen Bruder Raúl ab, eine schwere Darmoperation zwang ihn dazu. Der Rückzug aus allen wichtigen Ämtern erfolgte Zug um Zug, getreu der kubanischen Verfassung. Auch Raúl hat schon seinen Fahrplan für die nächsten Jahren bekanntgegeben: Er will noch bis 2018 regieren, dann sollen Jüngere an die Macht.

Als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge als Staats- und Regierungschef gilt Miguel Díaz-Canel, ein treuer Gefolgsmann Raúls, der dessen vorsichtigen Reformkurs wahrscheinlich weiterführen wird. Eine politische Öffnung ist aber nicht vorgesehen, die Macht soll bei der Kommunistischen Partei bleiben.

Der Übergang in die Ära Post-Fidel ist abgeschlossen, so sieht es die Regierung. Auf die Frage „Was kommt nach Fidel?“ antworteten Lästermäuler in Havanna daher gern: „Ein großes Begräbnis“.

Doch es gehört zur oft tragischen Geschichte Kubas, dass über seine Zukunft nur zum Teil in Havanna entschieden wird. Das Schicksal der Insel ist seit ihrer Unabhängigkeit eng verwoben mit der Politik, die in Washington gemacht wird. Die USA und Kuba sind wie zwei ungleiche Brüder, die aneinandergekoppelt sind. Sie lieben und sie hassen sich. Die große Frage lautet also nicht: Wie geht es in Havanna weiter? Sondern: Wie verhält sich Washington?

Havanna ist im Umgang mit Washington immer auf das Schlimmste gefasst

Dort stehen die Zeichen auf Sturm, wenn man den Ankündigungen des gewählten Präsidenten Donald Trumps Glauben schenken darf. Kuba hat zwar keine Priorität, doch Trump hat durchblicken lassen, dass er die politische Öffnung gegenüber Kuba, die Barack Obama eingeleitet hatte, rückgängig machen will.

Trump hat sich mit Hardlinern unter Miamis Exilkubanern umgeben. Washingtons Kuba-Politik werde sich „dramatisch ändern“, hat der Kongressabgeordnete Mario Díaz-Balart vor wenigen Tagen angekündigt, ein Sprecher der Falkenfraktion. Trump werde das Wirtschaftsembargo verschärfen, die Reiseerleichterungen für US-Bürger zurücknehmen und auf einen Regimewechsel drängen.

Wenn es tatsächlich so kommt, was man bei Trump ja nie weiß, dürfte auch in Kuba die antiimperialistische Rhetorik wieder aufblühen. Havanna hat Erfahrung im Umgang mit Washington, und es ist immer auf das Schlimmste gefasst – das war eine der Lehren Fidel Castros. Er hat zehn amerikanische Präsidenten kommen und gehen sehen. Getraut hat er keinem.

Auch der politischen und wirtschaftlichen Öffnung stand Fidel Castro skeptisch gegenüber. Hinter den Kulissen soll es zwischen ihm und seinem Bruder oft heftige Diskussionen gegeben haben, obgleich er sich in das Alltagsgeschäft des Regierens nicht mehr eingemischt hat. Seine Meinung tat er vor allem im Internet kund.

Machtkämpfe hinter den Kulissen

Der Big Brother regierte zwar nicht mit, aber er behielt Raúl immer im Auge. Jetzt ist Kubas Präsident von dieser Last befreit. Doch leichter wird es für ihn deshalb nicht: Die Wahl Trumps spielt den Gegnern der Reformen in die Hände.

Im Parteiapparat und in den Staatsunternehmen sitzen viele Menschen, die von den Reformen keine Vorteile zu erwarten haben, die Beharrungskraft des Systems ist groß. Hinter den Kulissen werden Machtkämpfe ausgetragen, die Raúl das Regieren erschweren könnten. In seiner Macht bedrohen werden sie ihn nicht, er sitzt fest im Sattel. Aber sie können das Tempo bei den Reformen wieder verlangsamen.

In den vergangenen Monaten gab es mehrere Signale, dass der Regierung die neue wirtschaftliche Freiheit in einigen Bereichen zu weit geht. Die Kontrolle über die privaten Restaurants („Paladares“) wurde verschärft. Viele amerikanische Geschäftsleute, die auf Kuba Geschäfte machen wollen, sind frustriert wieder abgezogen. Das erste Joint-Venture mit einem amerikanischen Unternehmen – eine Traktorenfabrik – hat vor kurzem dichtgemacht.

Dass die wirtschaftliche Öffnung auf der Insel ganz zurückgedreht wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Kuba steckt in einer doppelten Zwickmühle: Es ist nicht nur unklar, wie sich die Beziehungen zu Washington weiter entwickeln, auch sein wichtigster Verbündeter in Lateinamerika steht unter enormem wirtschaftlichen und politischen Druck: Venezuela.

Raúl Castro sucht nach neuen Partnern

Als „Bezahlung“ für die Entsendung kubanischer Ärzte nach Venezuela beliefert Caracas Kuba mit verbilligtem Öl, das dieses zum Teil auf dem Spot-Markt weiterverkauft. Venezuela garantiert somit nicht nur einen großen Teil der Energieversorgung in Kuba, es versorgt das Land indirekt auch mit dringend benötigten Devisen.

Die Wirtschaftskrise in Venezuela hat dazu geführt, dass Caracas die Öllieferungen drastisch reduziert hat. In Havanna ist es in den vergangenen Monaten erstmals seit Jahren wieder zu Blackouts gekommen, das Wirtschaftswachstum ist offiziellen Daten zufolge zurückgegangen.

Viele Kubaner fürchten jetzt, dass ihnen erneut eine „Sonderperiode in Krisenzeiten“ bevorsteht – so nannte Fidel Castro das wirtschaftliche Notprogramm, das er in den neunziger Jahren aufgelegt hatte, nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen war. Sie hatte das sozialistische Bruderregime mit Wirtschaftshilfe versorgt.

Raúl Castro hat eine Rückkehr in diese dunkle Zeit ausgeschlossen. Er sucht nach neuen Partnern, die einen eventuellen Totalausfall Venezuelas kompensieren könnten. Die Europäer könnten davon profitieren, aber auch China und Russland haben in den vergangenen Monaten verstärkt Interesse an guten Beziehungen zu Havanna gezeigt.

Mehr Marktwirtschaft ist für das politische Überleben der sozialistischen Regierung in jedem Fall unerlässlich. Das lehren die Erfahrungen der kommunistischen Regime in China und Vietnam. Und die Entwicklung in diesen Ländern hat Raúl genau studiert.


Zusammengefasst: Der Tod Fidel Castros könnte seinem Bruder Raúl die Freiheit geben, das Land weiter zu öffnen. Denn Fidel hat – obwohl er sich schon vor zehn Jahren offiziell zurückzog – im Hintergrund weiter politisch agiert. Sollte aber in den USA der neu gewählte Präsident Trump die Entspannungspolitik seines Vorgängers Obama rückgängig machen, dürfte auch Raúl Castro wieder in den alten Konfrontations-Modus wechseln. Zudem hängt Kuba extrem von seinem Partner Venezuela ab. Dem Land geht es jedoch miserabel.

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