Bald wird es vorbei sein. Acht Jahre sind schon um, seit damals, so schnell ging das. Acht Jahre, seit „Hope“ seit „Change“ seit „Yes, we can“ auch in den deutschen Wortschatz aufgenommen wurden. Acht Jahre lang hast Du Amerika regiert (soweit Senat und Kongress das zuließen), warst in der viel beschworenen transatlantischen Partnerschaft unser Mann im Weißen Haus. Und jetzt, wo Du gehst, denken viele noch einmal an die Zeit, in der Du kamst. Da war so viel von dem, was heute schmerzlich fehlt: Begeisterung. Optimismus. Euphorie. Der Glaube, dass Politik etwas verändern kann, zum Besseren, dass sie die Menschen mitnehmen kann.

Entzückt war die Welt von der ganzen Familie

Du warst in Amerika gewählt, aber hättest wohl auch in Deutschland die Mehrheit bekommen, in Belgien, Kenia, Finnland oder der Türkei. Entzückt war die Welt auch von der Familie. Süße kleine Mädchen wie Sasha und Malia können da nicht viel falsch machen. Doch mit Michelle Obama zog eine Frau ins Weiße Haus, die eine eigene Geschichte hatte. Das übliche Interesse für die Kleider, die Rezepte, die Oberarme einer First Lady ließ bald nach. Denn es gab etwas, das noch interessanter war: ihre Ansichten. Ihr Rat. Die Ehe aus Liebe und auf Augenhöhe, die Michelle und Barack Obama vor den Augen der Welt führten. Du warst einst Praktikant in der Kanzlei, in der Michelle schon als Anwältin arbeitete und machtest nie einen Hehl daraus, dass sie Deine wichtigste Beraterin und Förderin war.

Monatelang sagte auch in Deutschland „Yes, we can“, wer irgendetwas erreichen oder verkaufen wollte, ob Mathematikkurse oder Deospray, Triathlontraining oder Schlagersongs. Jeder Provinzpolitiker, dem man etwas zutraute, wurde der „Obama von …“ genannt. Der Obama von Sachsen-Anhalt, der von Cloppenburg, es gab sogar den „Obama von Hamburg-Altona“. Amerika war auf einmal wieder in, nach den bleiernen Bush-Jahren, als viele in Deutschland glaubten, diese großartige Nation bestünde ausschließlich aus Salzbrezel verschluckenden Geografie-Idioten, die nur an sich selbst denken. Du, Obama, warst der Inbegriff des anderen Amerika. Geboren auf Hawaii, der Vater Kenianer vom Stamme der Luo, die Mutter aus Kansas mit irischen, deutschen und Schweizer Vorfahren. Aufgewachsen in Indonesien und Honolulu, ausgebildet in Harvard – ein Symbol des amerikanischen Traums, dass auch ein schwarzer Junge, der mit zehn Jahren seinen Vater das letzte Mal gesehen hat, nach den Sternen greifen darf.

Überhaupt, mit Symbolen hattest Du es ja, und das soll jetzt gar nicht abfällig klingen, auch wenn viele im Nachhinein sagen, dass Du als Redner und Inspirator besser warst denn als Präsident. Die Menschen brauchen Symbole, Visionen und Überhöhungen, je komplizierter die Wirklichkeit ist, desto mehr. Die Menschen brauchen Erzählungen, einen Traum, für den sich die Mühen lohnen. Im Juni 2008 nanntest Du in Berlin diese Stadt ein Symbol für den Sieg der Hoffnung über die Angst – da schmolzen wir dahin. Ein ganzes Land war verliebt in Obama.

Einer von den Netten

Aber wie das so ist, wenn die Beziehung andauert – nach der rosaroten Phase kommen erste Zweifel. Wir sehen den anderen an und wundern uns: Was macht er denn da? Werden unsere Hoffnungen erfüllt? Ist er wirklich der Richtige?

Irgendwer hat mal gesagt, dass es in Amerika immer noch so ist, dass Schwarze in wichtigen Positionen nicht rumbrüllen dürfen, nicht laut sein und aggressiv, sondern höflich bleiben müssen, ruhig und nett, damit es nicht abstoßend wirkt (das haben sie mit uns Frauen gemeinsam, vielleicht ist das auch ein Grund, warum Clinton sich so schwertut gegen Trump). Aber ein anderes Sprichwort sagt eben auch: Nice guys finish last – die Netten werden die Letzten sein, so ungefähr. Du warst, vor allem am Anfang, einer von den Netten.

Dass Du die Verantwortlichen der Finanzkrise nur mit Samthandschuhen angefasst hast, hat uns irritiert. Du wolltest den mächtigen Kongress nicht verärgern. Dass Guantánamo nicht sofort geschlossen wurde, war nicht allein Deine Schuld, aber hast Du nicht einfach den Mund zu voll genommen? Und dass die Hinrichtungen ohne Urteil, die normalerweise nur in Militärdiktaturen zu Hause sind, per Drohnen und Knopfdruck einfach weitergingen, hat uns verstört.

Wir fühlten uns schnell vernachlässigt, und ja, wir waren auch eifersüchtig: Du kamst zwar pflichtschuldig zu den Familientreffen, zu Hochzeiten, zu Kindergeburtstagen, die sich Nato-Gipfel, Klimakonferenz, G-8-Treffen nannten, aber warst mit Deinen Gedanken ganz woanders, und wir fragten uns: Liebt er uns eigentlich wirklich? Auf diese einzigartige Art, auf die wir von Amerika geliebt und beachtet werden wollen, unterstützt, beschützt? Je mehr Du über Asien gesprochen hast, je öfter Du in den Nahen und Fernen Osten gereist bist, desto größer wurden unsere Zweifel.

Und dann hast Du uns betrogen. Hast unser Handy ausspioniert, hast in unseren Computern geschnüffelt und hattest noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Und die Leute, die all diese dunklen Geheimnisse ans Tageslicht gebracht haben, die hast Du gejagt, eingesperrt, mundtot gemacht, verurteilen lassen. Dass ein Land, das in jüngster Zeit zwei Diktaturen hinter sich hat, da etwas empfindlicher reagiert, hast Du ignoriert. Dass ein Land, das 9/11 hinter sich hat, auch sein Trauma mit sich herumträgt, haben wir ignoriert.

Selten reden wir auch darüber, dass die Erkenntnisse amerikanischer Geheimdienste in Deutschland dankbar ausgewertet werden. Um die ehrliche Diskussion, wie viel Sicherheit wir gegen wie viel Freiheit und Privatsphäre eintauschen wollen und ob dieser Tausch überhaupt funktioniert, darum haben wir uns gedrückt.

Du hast viel erreicht, auch wenn die Schlacht um Deine Nachfolge in den Köpfen und Herzen Deiner Landsleute kaum Raum lässt, um das zu würdigen. Du hast Amerika aus der Rezession geführt. Du hast die Folter verboten, die Deine Vorgänger eines Landes wie Amerika für würdig befanden. Du hast 20 Millionen Amerikanern zu einer Krankenversicherung verholfen. Das Ende der jahrzehntelangen Eiszeit mit Kuba geht auf Dein Konto. Auch der Atom-Deal mit dem Iran, der womöglich einen neuen, großen Krieg im Nahen Osten verhindert hat. Der Klimawandel war Dein Thema, mit dem Pariser Abkommen verpflichten sich die USA erstmals in der Geschichte, den eigenen Dreck zu reduzieren.

Vieles nicht erreicht

Ob Deine Zurückhaltung in Syrien Menschenleben gerettet oder gekostet hat, wird man nie wissen können. Wäre es zur Konfrontation mit Russland gekommen? Hätten die Russen eingelenkt? Wäre Assad gestürzt? Man weiß es nicht. Aber Du warst kein Getriebener, wie im Libyen-Konflikt, wo Du Dein Eingreifen selbst als großen Fehler siehst.

Vieles hast Du nicht erreicht. Die Wunden der Kriege im Irak und in Afghanistan bluten noch immer. Guantánamo ist nicht geschlossen. Der Krieg gegen die Drogen ist verloren gegangen. Die Armen in Amerika sind die Ärmsten, verglichen mit anderen Industrienationen. Und die Ärmsten der Armen sind immer noch die Schwarzen. Wer in Amerika auf die Schnauze fliegt, bleibt lange liegen und kann von seinem Land nicht viel erwarten. Sind wir enttäuscht? Vielleicht ein bisschen. Wir sind die, auf die wir gewartet haben, hast Du vor acht Jahren mal gesagt, und wir haben gelacht: Es stimmte ja, dass die Sehnsucht nach Wandel, Versöhnung und Neuanfang deine und die Generationen darunter überproportional erfüllte. „Yes, we can“ rufen sie immer noch, es heißt jetzt: „Yes, we can stop TTIP“, dessen Befürworter Du immer warst.

Wir sind älter geworden, miteinander. Wenn das nächste Mal jemand Hope ruft und Change, werden wir skeptischer sein. Diese Desillusionierung gehört zum Älterwerden wahrscheinlich dazu. Aber trotzdem fragen wir uns bestürzt: Was ist eigentlich schiefgegangen, Obama? Nicht im Detail, sondern so ganz prinzipiell? Wie ist es möglich, dass das Sehnsuchtsland Amerika nach acht Jahren Obama gespaltener erscheint als zuvor. Dass „Black lives matter“ – schwarze Leben zählen – eine Bewegung werden konnte und nicht längst eine Selbstverständlichkeit wurde.

Dass Hass, Rassismus, Paranoia, Wut auf die Regierung und krudeste Verschwörungstheorien zum Alltag vieler Amerikaner gehören. Dass Lügen genauso viel zählen wie Fakten. Was ist schiefgegangen, dass Weltoffenheit mit ökonomischer Globalisierung gleichgesetzt und gleich gehasst wird. Dass Amerika seine Zuversicht verloren zu haben scheint. Wen hast Du vergessen, wer wurde übersehen, vielleicht sogar arrogant belächelt? Worüber hast Du nie gesprochen? Welche Fragen hast Du nie gestellt? Wie ist es möglich, dass ein Milliardär, der nie nach den Regeln spielte und sich auf güldenen Stühlen suhlt, zum Held derer wurde, die sich verraten fühlen, entrechtet und voller Angst?

Jetzt gehst Du.

Du hast den Friedensnobelpreis bekommen und einen Grammy für die Hörbuchversion Deines Werks „Mut der Hoffnung“. In Israel hast Du die höchste Präsidentenmedaille erhalten, in Antigua haben sie einen Berg nach Dir benannt, und in Kalifornien eine Flechtenart. Du warst doch kein Zauberer. Kein Wünsch-dir-was-Präsident. Es war doch nicht alles möglich.

Du hast Fehler gemacht, Dich geirrt, Versprechen gebrochen, nicht halten können und auch nicht mehr halten wollen. Du hast auf die falschen Leute gehört.

Aber Du warst ein würdiger Präsident mit einer würdigen Präsidentenfamilie. Mit einer First Lady, die klug agierte und eine echte Partnerin war. Ihre jüngste Rede über Frauenrechte und Frauenfeinde, über die Normalität des Schreckens und die Normalität des Schweigens zu Gewalt und Demütigungen, die Frauen treffen, gehört zu den emotionalsten, die je in einem amerikanischen Wahlkampf gehalten wurden. Und sie hielt sie nicht für ihren Mann, sondern für seine potenzielle Nachfolgerin und lange ärgste Konkurrentin. Mit zwei Töchtern, die im Weißen Haus ihre Kindheit und Jugend verbracht haben und zumindest aus der Ferne nicht zu hochnäsigen, verwöhnten Zimtzicken wurden. Deine Tränen waren echt, als Du nach dem Massaker von Newtown die 20 Kinder betrauert hast, die ein Wahnsinniger in ihrer Schule erschossen hatte, und Deine Freude war echt, wenn Du mit Besuchern im Weißen Haus rumgeulkt hast, wenn Du mit den Kindern um den Pool gerast bist, wenn Du getanzt oder gesungen hast. Du hast kein Geld beiseitegeschafft, Du hast keine Immobilien ergaunert, Du bist nicht fremdgegangen, Du hast niemanden beleidigt oder geohrfeigt, was man nicht von allen amerikanischen Präsidenten behaupten kann.

Wohin steuert Amerika?

Du wirst wahrscheinlich der letzte Präsident der Vereinigten Staaten sein, der ohne mächtige Unterstützergruppen aufsteigen konnte. Der letzte, der erst eine politische Idee formulierte und eine Bewegung entfachte und danach Geld einsammelte. „Wir haben heute das Potenzial von 200 Menschen in diesem Land, die darüber entscheiden können, wer der nächste Präsident wird“ , hast Du mal bei einem Dinner gesagt. Das ist krass. Das ist keine Demokratie mehr. Warum hast Du das nicht verhindert? Weil Deine gewünschte Nachfolgerin nur so gewählt werden kann, nur so gegen Trump besteht?

Tschüss, Obama. Take care. Wir wissen nicht, was kommt. Wohin steuert Amerika? Es gibt viele Fragen, viele Zweifel. Viel Angst. „The best is yet to come“, hast Du versprochen in Deiner Antrittsrede zur zweiten Amtszeit. Ich saß damals keine 50 Meter entfernt, und es war kalt, weit unter null, und der Wind pfiff. Und trotzdem war mir warm. Das Beste liegt noch vor uns. Hoffentlich war das nicht der größte Irrtum Deiner Präsidentschaft.

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