Als Konsequenz aus der Amthor-Affäre versprachen Union und SPD ein Lobbyregister. Doch was jetzt kommt, ist eine Ultralight-Version ohne ernsthafte Transparenzpflichten. Besonders grotesk: Das Kanzleramt und die Bundesministerien sollen ganz ausgespart werden.

Man stelle sich vor, eine ansteckende Krankheit bräche aus und alles, was die Bundesregierung täte, wäre Schutzmasken an Bedürftige zu verteilen. Es wäre nicht nichts. Es wäre aber auch nicht genug.

So absurd es klingt: Ganz ähnlich agieren Kanzlerin Angela Merkel und ihre Große Koalition beim Thema Lobbyismus. Der ist keine Seuche, untergräbt aber schon seit Jahren das Vertrauen der Bürger in die Demokratie, auch weil Lobbyisten in Berlin weitgehend im Verborgenen arbeiten können. Die jüngsten Skandale um die Lobbykontakte der Skandalfirma Wirecard und um die Aktivitäten des CDU-Abgeordneten Philipp Amthor waren ja nur die Spitze des Eisbergs.

Eine unvollständige Liste aus den vergangenen Jahren: Da schrieben private Anwaltsfirmen ganze Gesetzesentwürfe. Da warb eine Lobbyagentur in aller Stille bei Politikern und Medien für ein Unrechtsregime wie das Königreich Saudi-Arabien. Da werden Abgeordnete immer wieder zu fröhlichen Abendveranstaltungen eingeladen oder zu Reisen in ferne Länder. Gute Bekannte einer Staatssekretärin konnten dank ihrer Kontakte ins Verteidigungsministerium millionenschwere Beraterverträge einstreichen. Und ein Rüstungslobbyist verschickte jedes Jahr an Weihnachten über tausend Euro teure Präsentkörbe mit Wein und Champagner, auch an einen Minister – ohne dass der das auch nur anzeigte.

Es sind die Medien, die Lobbyskandale aufdecken

Immer wieder waren es Medien, auch der stern, die solche Fälle aufdeckten. Und nach dem Fall Amthor hatten auch die letzten in der Großen Koalition den Schuss gehört. Oder so schien es. Zur Erinnerung: Amthor hatte sich für eine Firma namens Augustus Intelligence stark gemacht, die ihm zugleich Aktienoptionen gewährt und offenbar auch Reisen bezahlt hatte. Recherchen des „Spiegel“ hatten das ans Licht gebracht.

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Die Empörung war groß. CDU, CSU und SPD versprachen Konsequenzen. Endlich sollte ein Lobbyregister kommen, wie es seit Jahren Transparenzorganisationen und Parteien von den Linken über die Grünen bis zur SPD verlangen. Firmen und Verbände sollten gezwungen werden offenzulegen, wie sie versuchen die Politik zu beeinflussen.

Die Ernüchterung kam vergangene Woche, als die Plattform „Frag den Staat“ den Entwurf der Koalitionsfraktionen für das Lobbyregister veröffentlichte. Geht es nach diesem Vorschlag, bringt das künftige Lobbyregister ein bisschen mehr als das zahnlose Verbänderegister, in dem der Bundestag heute schon Namen und Adressen von Interessengruppen führt – aber nicht viel mehr.

Künftig sollen sich zwar auch Firmen bis hin zu Anwaltskanzleien in das Register eintragen, nicht nur Verbände. Aber weder müssen sie konkrete Lobbykontakte offenlegen, noch die vollen Summen, die sie beim Lobbying einsetzen. Lobbyagenturen sollen auch in Zukunft nicht gezwungen sein publik zu machen, für welche zahlenden Kunden sie arbeiten – nur die Branche muss angegeben werden. All das fällt weit zurück hinter die Standards, die in der US-Hauptstadt Washington gelten – oder auch in der EU-Kapitale Brüssel.

Ein grotesk schlechter Entwurf

„Absolut unzureichend“ nannten die NGOs Lobbycontrol und Abgeordnetenwatch den Entwurf der Groko. Wie grotesk schlecht der bisherige Plan ist, zeigt sich beim Abgleich mit dem Fall Amthor. Nichts von dem, was sich der CDU-Abgeordnete aus Vorpommern leistete, würde von dem Lobbyregister à la Groko erfasst. Seine Termine mit der großzügigen Firma wären auch nach der Reform unter der Decke geblieben. Und anders als etwa in Großbritannien, wo Abgeordnete bereits Geschenke und Reisekostenzuschüsse im Wert von über 300 Pfund zeitnah offenlegen müssen, ist offenbar nicht geplant, solche Veröffentlichungsregeln bei uns einzuführen.

Heute müssen Parlamentarier bei uns Geschenke und übernommene Reisekosten erst bei einem Betrag von über 10.000 Euro publik machen. Und dabei soll es offenbar bleiben.

Es ist ein bisschen so, als hätte man entdeckt, dass ein Virus durch Tröpfchen in der Luft verbreitet wird – und die Regierung beschließt, öfter die Straßen zu fegen.

Keine Transparenz für Kanzleramt und Bundesministerien 

Schlimmer noch: Selbst dieses Lobbyregister in der Ultralight-Version soll nur für den Bundestag gelten, nicht für die Bundesregierung. Dabei gehen Lobbyisten im Kanzleramt und den Ministerien mindestens so häufig ein und aus wie im Bundestag. Denn im Kanzleramt und den Ministerien fallen jeden Tag eine Fülle wichtiger Entscheidungen. Minister, Staatssekretäre und ihre Mitarbeiter vergeben teure Aufträge und gewähren üppige Hilfskredite – gerade in Zeiten von Corona. Und was viele nicht wissen: Auch die meisten Gesetzentwürfe schreiben die Beamten in den Ministerien, bevor sie dann oft nur unwesentlich verändert vom Parlament verabschiedet werden.

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In der jüngsten Wahlperiode, die mit der Bundestagswahl 2017 endete, kamen 525 von insgesamt 730 Gesetzentwürfe im Bundestag von der Bundesregierung, nur 147 von den Abgeordneten des Bundestags. Das sagen Zahlen des Bundestages.

Das heißt: Ein Lobbyist, der nicht in erster Linie die Regierung lobbyiert, ist sein Gehalt nicht wert. Und ein Lobbyregister, das die Regierung ausspart, ist eine Mogelpackung.

Will die Bundesregierung nun also ihren Fehler korrigieren und das Lobbyregister doch auf die Regierung ausdehnen? Die SPD wäre offenbar dafür. Aber es gibt auch eine mächtige Blockiererin: Angela Merkel persönlich. Für einige steht die scheidende Kanzlerin ja schon kurz vor der Heiligsprechung. Aber im Fall des Lobbyregisters spielt sie eine unselige Rolle.

Merkel findet, die Regierung arbeite „sehr transparent“

In ihrer alljährlichen Sommer-Pressekonferenz am Freitag fragte ein Journalist sie nach der Lücke im Lobbyregister – und Merkel verteidigte das Aussparen der Bundesregierung.

Die Regierung arbeite ja jetzt schon „sehr transparent“, behauptete sie allen Ernstes. Zur Begründung verwies sie auf das Informationsfreiheitsgesetz, mit dem Bürger Zugang zu Akten der Bundesbehörden erhalten können.

Was Merkel nicht erwähnte: Sie selbst und ihre Minister lassen es immer wieder zu, dass die Regeln dieses Gesetzes – abgekürzt IFG – auf erschreckende Weise umgangen und durchlöchert werden. Auf einen IFG-Antrag des Autors an das Kanzleramt vom 29. April diesen Jahres zum Beispiel reagierten Merkels Leute mit einem Schreiben vom 24. Juli, aus dem zu erkennen war, dass man erst jetzt – nach knapp drei Monaten – ernsthaft mit der Bearbeitung begonnen hatte.

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Mit den Regeln im Gesetz lässt sich das nur schlecht vereinbaren. Das verlangt, „unverzüglich“ Dokumente herauszugeben. Und es sagt: „Der Informationszugang soll innerhalb eines Monats erfolgen.“

Einen skandalösen Fall erlebte auch ein Mitarbeiter von Abgeordnetenwatch vor vier Jahren; wir hatten damals darüber berichtet. Er hatte beim Kanzleramt Zugang zu einer Mail beantragt, in dem sich die bayerische Landesregierung für die  Interessen des Autobauers BMW stark gemacht hatte. Das Kanzleramt verweigerte den Zugriff. Man habe „in den Akten des Bundeskanzleramtes keine für die Anfrage einschlägigen Unterlagen“ ermitteln können, hieß es zu Begründung. Später kam heraus, dass das Kanzleramt einen Trick angewendet und die die Bayern-Mail so eingestuft hatte, als habe sie „keine Aktenrelevanz“. Man konnte das Papier also durchaus ermitteln, tat aber so, als sei es keine „amtliche Information“ im Sinne des IFG.

Schindluder mit Bürgerrechten

Wer es so wie Angela Merkel zulässt, dass Schindluder mit Bürgerrechten auf den Zugang zu Akten getrieben wird, für den ist das Informationsfreiheitsgesetz kein Instrument, um Transparenz herzustellen. Das IFG ist da in Wahrheit eher eine lästige Pflichtübung. Merkels Motto: Die Informationsfreiheit ist nervig genug. Verschont mich mit einem Lobbyregister.

Nicht dass Recherchen via Informationsfreiheit nutzlos wären. Der stern hat immer wieder über IFG-Anträge informative Akten beantragt und erhalten, auch über die Beziehungen zwischen der Autoindustrie und dem Kanzleramt oder dem Wirtschaftsministerium. Dabei konnte man sich aber auch immer wieder wundern, wie wenig selbst in den Akten der Regierung über Gespräche zwischen der Kanzlerin und den Autobossen zu finden ist.

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Regelmäßig finden sich zwar Vermerke, in denen Beamte die Regierungschefin oder ihre Minister für solche Gespräche vorbereiten. Nur das Ergebnis bleibt immer wieder im Dunkeln – weil keine Protokolle geführt werden.

Das bestätigte dieser Tage das Finanzministerium in der Antwort auf einen Fragenkatalog der Grünen zum Fall des Unternehmens Wirecard: Bei Gesprächen mit Firmenvertretern würden „in der Regel eine Vielzahl von Themen angesprochen, die nicht im Detail nachgehalten bzw. nachvollzogen werden können, zumal Gesprächsinhalte grundsätzlich nicht protokolliert werden“, hieß es da.

Ein Rechercheur von Abgeordnetenwatch stieß jüngst auf einen kuriosen Fall: Die Bundesregierung hatte auf eine Anfrage der Linksfraktion hin Kontakte mit Vertretern des Rüstungskonzerns Rheinmetall offengelegt, darunter ein Gespräch, das der damalige Parlamentarische Staatssekretär Oliver Wittke (CDU) am 4. Juli 2018 mit dem Rheinmetall-Manager Deniz Akitürk führte. Ebenfalls dabei war Rezzo Schlauch – ein Grünen-Politiker, der selbst bis vor 15 Jahren Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium war.

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Weil Schlauch bis Ende 2018 im Aufsichtsrat der Lobbyagentur WMP Eurocom saß und die zumindest in der Vergangenheit für Rheinmetall gearbeitet hatte, lag nahe, dass Schlauch für WMP mit dabei war. Aber nein, Schlauch widersprach jetzt vehement. Weder sei er für WMP unterwegs gewesen, noch habe „das Gespräch irgendetwas mit Rüstungsgeschäften jedweder Art zu tun gehabt“. Überdies sei „das Gespräch auch nicht unter Lobbyismus zu subsumieren“.

Aber unter was dann? Laut Wirtschaftsministerium ging es um die Themen Rohstoffsicherung und Elektromobilität (Rheinmetall ist auch Autozulieferer). Mehr ist auch auf dem Weg über das IFG nicht herauszufinden. Laut Wirtschaftsministerium liegen zu dem Gespräch nämlich „keine amtlichen Informationen“ vor.

So viel zu Versuchen, mit dem IFG Lobbytransparenz herzustellen: Es hilft, aber es reicht nicht aus.

Selbst die Lobbyisten wollen ein besseres Lobbyregister

Kurz: Der Groko-Plan für ein Lobbyregister ist nicht durchdacht und weltfremd. Wer daran noch Zweifel hat, der sollte einen erfahrenen Lobbyisten fragen. Zum Beispiel Dominik Meier, den Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (Degepol). Das ist ein Berufsverband der Lobbyisten. Meier nennt die geplante Beschränkung des Registers auf den Bundestag eine „Insellösung“, die „praktisch für die Interessenvertretung nicht umsetzbar“ sei. „Statt Insellösungen brauchen wir einheitliche unbürokratische Transparenzregelungen“, sagt der Degepol-Vorsitzende.

Das zeigt zumindest eins: Auch in der Groko tun sie keineswegs immer das, was die Lobbyisten von ihnen verlangen. Zumindest dann nicht, wenn die Lobbyisten mehr Transparenz einfordern.

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