Es war einer der schlimmsten Zwischenfälle seit Langem im ohnehin blutigen Anti-Terror-Krieg Nigerias. Am Dienstag schlugen gegen Mittag kurz nacheinander zwei Bomben in der Ortschaft Rann im Norden des Landes ein. Sie sollten Islamisten der Terrororganisation Boko Haram treffen – und töteten Flüchtlinge. Ein furchtbarer Irrtum.

Der Ort war zu diesem Zeitpunkt überfüllt mit Menschen, die Schutz suchten vor der Gewalt von Boko Haram und vor Angriffen der nigerianischen Armee. 25.000 Flüchtlinge sollen sich in Rann aufhalten. Wie überall, wo sie sich in Norden Nigerias Flüchtlinge sammeln, sind auch hier viele unterernährte Menschen – Opfer einer Hungersnot, die Millionen bedroht, darunter 80.000 unterernährte Kinder.

Viele hatten sich mit letzter Kraft nach Rann gerettet, wo Helfer der Organisationen Ärzte ohne Grenzen (MSF) und des Roten Kreuzes sie versorgen. Die Mitarbeiter von MSF hatten Rann erst drei Tage vor dem Luftschlag erreicht. Wie sich die traurige Szenerie durch die Bomben aus der Luft in ein Katastrophengebiet verwandelte, berichtet der MSF-Koordinator vor Ort, Alfred Davies:

„Die erste Bombe fiel um 12.30 Uhr und schlug nur wenige Meter vom Büro des Roten Kreuzes ein. Das Flugzeug flog eine Runde und warf fünf Minuten später eine zweite Bombe ab.

Ich rief den Rest des Teams sofort über Funk an, und sie versicherten mir, dass glücklicherweise niemand von ihnen verletzt sei. Wir trafen uns in den Zelten, die wir einige Tage zuvor aufgebaut hatten. Dutzende Verwundete kamen herein, und der Menschenstrom hielt für Stunden an. Manche hatten Knochenbrüche, große Fleischwunden, innere Organe lagen frei. Ich habe Kinderkörper gesehen, die in zwei Hälften gerissen waren.

Ich habe das Flugzeug nicht gesehen und weiß nicht genau, welche Art von Bombe es war. Wir haben kleine Metallspäne in den Körpern gefunden. Innerhalb einer Stunde haben wir 52 Tote gezählt.

Am schwierigsten war für uns, dass wir nicht noch mehr Ressourcen oder medizinische Geräte hatten, um mehr Verwundete zu retten. Ein Dutzend Menschen ist vor unseren Augen gestorben, ohne die medizinische Versorgung zu bekommen, die sie so dringend benötigt hätten. Es gab einmal ein Krankenhaus in Rann, aber es ist nicht funktionsfähig. In der Stadt gibt es seitdem keine medizinische Einrichtung mehr.

Als ich nach dem Luftschlag einen Moment für mich hatte, ging ich zum Friedhof, wo die Beisetzungen schon begonnen hatten. Es gab 30 neue Gräber – in einigen Fällen wurden Mütter mit ihren Kindern im selben Grab beerdigt. Es ist eine Tragödie.

Ich habe mir auch die Stellen angesehen, an denen die Bomben eingeschlagen haben. Sie sind über Häusern abgeworfen worden. Ich habe den Körper einer Mutter wiedererkannt, die am selben Morgen noch bei der Nahrungsmittelverteilung von Ärzte ohne Grenzen war. Ihre Zwillinge hatten einige Pakete therapeutischer Fertignahrung erhalten, weil sie an Mangelernährung leiden. Nun sah ich, wie sie sich weinend an den leblosen Körper der Mutter pressten.

Die Überlebenden des Bombenangriffes haben schon so viel durchgemacht und so viel Gewalt erlebt. Rann war ihr sicherer Hafen. Die Armee sollte sie beschützen und hat sie stattdessen bombardiert. Wir müssen weiter an ihrer Seite bleiben.“

Bis zum Dienstagabend hatte Nigerias Luftwaffe die irrtümliche Bombardierung eingeräumt. Präsident Muhammadu Buhari erklärte, mit „Bedauern“ habe er die Nachricht erhalten, dass die Luftwaffe Nigerias im Nordosten des Landes Dutzende Zivilisten fälschlicherweise bombardiert habe. Er sprach den Familien sein Beileid aus.

Am Mittwochnachmittag erklärte das Rote Kreuz, unter den 76 Todesopfern seien auch sechs Mitarbeiter der Hilfsorganisation sowie drei Ortskräfte, die im Auftrag von MSF in Rann arbeiteten. Über hundert Menschen wurden teils schwer verletzt.

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