Empörung und Nazi-Vergleiche

Istanbul (dpa) – Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat die Entwicklungen in der Türkei mit denen in der Nazi-Zeit verglichen und mögliche Wirtschaftssanktionen gegen Ankara ins Spiel gebracht.

Zum Vorgehen der Regierung unter dem von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ausgerufenen Ausnahmezustand sagte Asselborn am Montag im Deutschlandfunk: «Das sind Methoden, das muss man unverblümt sagen, die während der Nazi-Herrschaft benutzt wurden.» Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, die Bundesregierung werde sich an einer «Sanktionsdebatte» jetzt nicht beteiligen.

Der türkische EU-Minister Ömer Celik verteidigte die Verhaftungswelle in seinem Land gegen Kritik und verglich das Vorgehen seiner Regierung mit dem «Kampf gegen die Nazis». Mit Blick auf die in der Türkei inzwischen als «Fetö» bezeichnete Gülen-Bewegung sagte er: «Neben der Fetö-Terrororganisation stehen die Nazis wie Lehrlinge da.» Die Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich.

Auch Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus verteidigte die jüngste Verhaftungswelle. Er sagte, es handele sich um einen «zu hundert Prozent rechtmäßigen Vorgang» der Justiz, in den sich die Politik nicht einmischen könne. Celik sprach sich nach einem Treffen mit EU-Botschaftern in Ankara für «starke Beziehungen» zur EU und für eine EU-Vollmitgliedschaft seines Landes aus.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hält dagegen einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen für denkbar. «Ein Land, das die Opposition ins Gefängnis steckt, kann nicht erwarten, dass die EU-Verhandlungen offen weitergeführt werden», sagte Oppermann. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sprach sich erneut für einen Abbruch jeglicher Beitrittsgespräche mit der Türkei aus. «Ein Land, das versucht, Journalisten und Oppositionsführer einzusperren, hat in der Europäischen Union keinen Platz», sagte der Politiker der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) im Ö1-Radio.

Trotz internationaler Kritik wurde in der Türkei ein weiterer Abgeordneter der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP in Untersuchungshaft genommen, wie die staatliche Nachrichtenagentur meldete. Der Parlamentarier Nihat Akdogan war zuvor in seinem Wahlkreis im südosttürkischen Hakkari festgenommen worden. Er ist der zehnte HDP-Abgeordnete, der in Untersuchungshaft sitzt.

Am Freitag war bereits gegen die beiden HDP-Chefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie gegen sieben weitere HDP-Abgeordnete Untersuchungshaft wegen Terrorvorwürfen verhängt worden. Am Samstag wurden ebenfalls wegen Terrorvorwürfen Haftbefehle gegen den Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet», Murat Sabuncu, und acht seiner Mitarbeiter erlassen. Seit dem Putschversuch wurde gegen mehr als 36 000 Verdächtige Untersuchungshaft verhängt.

Die größte türkische Oppositionspartei CHP nannte die Verhaftungen der HDP-Abgeordneten verfassungswidrig. Das Vorgehen gegen «Cumhuriyet» bezeichnete die Mitte-Links-Partei als politisch motiviert, illegal und unfassbar.

Erdogan griff erneut westliche Staaten an, denen er vorwarf, Terroristen Unterschlupf zu gewähren. Er warnte: «Diejenigen, die den Terrororganisationen den Schoß öffnen und ihnen Waffen geben, um uns Schwierigkeiten zu bereiten: Ihr könnt euch nicht mehr verstecken.»

Asselborn sagte zu möglichen Sanktionen: «50 Prozent der Exporte der Türkei gehen in die Europäische Union. (…) 60 Prozent der Investitionen in die Türkei kommen aus der Europäischen Union. Das ist ein absolutes Druckmittel. Und in einem gewissen Moment kommen wir nicht daran vorbei, dieses Druckmittel einzusetzen, um die unsägliche Lage der Menschenrechte zu konterkarieren.»

Erdogan hatte am Sonntag deutlich gemacht, dass ihn Kritik aus dem Ausland nicht interessiere. «Es kümmert mich überhaupt gar nicht, ob sie mich einen Diktator oder Ähnliches nennen. Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Wichtig ist, was mein Volk sagt.»

An diesem Mittwoch wird der neue EU-Fortschrittsbericht zu den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei erwartet. «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» und «Spiegel Online» hatten vorab aus dem Entwurf zitiert, wonach es bei der Meinungsfreiheit einen schwerwiegenden Rückfall gegeben» habe.

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