Sutherland Springs ist eines dieser kleinen Dörfer, die in Texas zu Hunderten zu finden sind. Es gibt eine Tankstelle, gut 600 Einwohner und eine winzige Kirche, die First Baptist Church, ein einfacher Bau aus Holz mit einem kleinen Türmchen auf dem Dach.
Es war 11.30 Uhr, als der Mann hier aus einem weißen Geländewagen stieg. Er war in eine schwarze Kampfmontur gekleidet, trug eine schusssichere Weste. In der Hand hielt er ein Sturmgewehr.
Zuerst gab er einige Schüsse vor dem Eingang der Kirche ab, dann betrat er das Gotteshaus und schoss wahllos auf die gut 50 Gemeindemitglieder, die sich gerade zu einem Gottesdienst versammelt hatten.
Er tötete 26 Menschen und verletzte Dutzende andere. Die Opfer sind zwischen fünf und 72 Jahre alt, unter ihnen sind auch die 14-jährige Tochter des Pastors und eine schwangere Frau. Der Pastor selbst und seine Frau waren zum Zeitpunkt der Attacke nicht vor Ort.
Als der Angreifer die Kirche wieder verließ, geriet er selbst unter Beschuss. Ein Nachbar hatte die Gewehrsalven gehört, seine eigene Waffe gegriffen und das Feuer auf den Mann eröffnet. Der ließ daraufhin sein Gewehr fallen und flüchtete mit dem Auto.
Für kurze Zeit lieferte er sich noch eine Verfolgungsjagd, dann krachte sein Wagen an einer Kreuzung in den Straßengraben. Als Polizisten sich dem Wagen näherten, war er bereits tot, womöglich hatte ihn der Nachbar tödlich getroffen, denkbar ist aber auch ein Selbstmord.
Texas: Schüsse während der Andacht
Texas und ganz Amerika steht unter Schock. Die Attacke in Sutherland Springs ist die dritte große Tragödie innerhalb weniger Wochen. Anfang Oktober starben 58 Menschen bei einem blutigen Massaker in Las Vegas, in der vorigen Woche tötete ein Terrorist in Manhattan acht Unschuldige. Wieder wehen Flaggen auf Halbmast. US-Präsident Donald Trump meldete sich am Rande seiner Asienreise zu Wort und sprach wie schon bei den anderen beiden Ereignissen von einer „teuflischen Tat“. Der Amokläufer sei offensichtlich ein „Geistesgestörter“, zeigte sich Trump überzeugt.
Warum war die Kirche das Ziel?
Die Ermittlungen in Texas stehen allerdings noch am Anfang, ein Motiv für die Attacke ist noch unklar. Laut mehreren US-Medien soll der Angreifer Devin P. Kelley heißen, 26 Jahre alt und weiß sein. Nach Angaben der Behörden kam er nicht aus der kleinen Gemeinde, sondern stammte wohl aus der Gegend nördlich von San Antonio. Die Großstadt liegt etwa 30 Meilen von Sutherland Springs entfernt. Spezialeinheiten durchsuchten das Haus des Angreifers in einem Waldgelände mit Spürhunden auf Sprengstoff und weitere Waffen.
Nach Angaben des Pentagons war der Mann von 2010 bis zu seiner Entlassung bei den Luftstreitkräften. Er soll auf der Holloman Air Force Base im Nachbarstaat New Mexico im Bereich Logistik gedient haben. Offenbar wurde er in dieser Zeit von einem Militärgericht verurteilt und 2012 aus der Air Force entlassen. Er soll seine Frau und sein Kind misshandelt haben.
Was Kelley ausgerechnet zum Angriff auf eine Kirche bewogen haben könnte, ist unklar. Sutherland Springs liegt im sogenannten Bible Belt der USA. Viele Bürger in diesen kleinen Gemeinden sind evangelikale Christen und streng gläubig. Die Gottesdienste hier sind wie kleine Familienfeste. Es wird gemeinsam musiziert, gesungen.
Die Kirche ist oft so etwas wie das Zentrum des Ortes. So ist es wohl auch in Sutherland Springs. Umso schwerer wiegt eine solche Tragödie. Jeder kennt jeden. „So etwas würde man hier doch niemals erwarten“, sagte Albert Gamez, Chef der Bezirksbehörde. „Es ist schrecklich.“
Eine Million Waffenverkäufe allein in Texas
Die Gegner und Befürworter schärfere Waffengesetze in Washington reagieren derweil mit dem immer gleichen, eingespielten Ritual. Sie streiten sich wild, passieren wird aber auch diesmal mit Sicherheit wieder: nichts.
Führende Republikaner wie Paul Ryan oder Marco Rubio baten gleich nach der Attacke zwar wortreich um „Gebete für die Opfer und deren Familien“. Den frei zugänglichen Verkauf von Schusswaffen wollen sie aber nicht infrage stellen. Während zur Abwehr von Angriffen von mutmaßlichen Dschihadisten wie in New York immer neue, schärfere Gesetze entwickelt werden, sehen Republikaner bei der Waffenkontrolle praktisch keinen Veränderungsbedarf. Kein Wunder: Ryan wird seit Jahren im Wahlkampf von der Vereinigung der Waffenbesitzer, der National Rifle Association (NRA), mit vielen Tausend Dollar unterstützt.
Natürlich ist auch der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, ein Freund der Waffenlobby. Nach der Attacke in Sutherland Springs kamen ihm fast die Tränen: „Es sind so viele Familien, die Angehörige verloren haben“, sagte er. „Vater, Mütter, Söhne und Töchter.“ An seiner Einstellung zum Thema Waffenbesitz dürfte das aber trotzdem nichts ändern. Dazu sagte er praktisch kein Wort.
Bezeichnend für Abbotts Position ist eine Episode aus dem Jahr 2015. Da wurden mehr als eine Million Waffen in Texas verkauft. Der Bundesstaat landete auf Platz zwei hinter Kalifornien. Aber Abbott reichte das nichts. Via Twitter rief Abbott die Texaner dazu auf, noch mehr Waffen zu kaufen, man dürfe sich doch von Kalifornien nicht überholen lassen, klagte er halb ernsthaft, halb scherzhaft. Das sei ihm „peinlich“.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind Demokraten wie Elizabeth Warren derweil so zornig wie eh und je. Seit Jahren fordert die Senatorin mit ihren Kollegen schärfere Gesetze gegen den Waffenwahn. Sie weiß, dass sich auch diesmal nichts ändern wird, weil die Republikaner und auch einige ihrer Parteifreunde dies ablehnen. Trotzdem will sie nicht lockerlassen.
„Gedanken und Gebete reichen nicht. Wir müssen diese Gewalt endlich stoppen“, sagt sie wütend. „Wie viele Kinder müssen noch sterben?“
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