Hussuf wurde von der griechischen Polizei am 12. Oktober an der mazedonischen Grenze festgenommen. Der 23-jährige Libyer, der auf seiner Reise in den Westen eigentlich über den Grenzzaun springen wollte, fürchtete eine lange Haft. Doch zwei Tage später war er schon wieder frei. Die lokalen Behörden haben keinen Platz mehr, um Migranten lange festzuhalten.
Bei seiner Freilassung erhielt Hussef auch die schriftliche Aufforderung, Griechenland binnen sieben Tagen zu verlassen. Er ignorierte sie. Die Absicht zu gehen hat er, aber wie und vor allem wohin, darüber will er selbst bestimmen. Denn eins möchte er ganz sicher nicht: zurück nach Libyen. Der nächste Versuch ist schon geplant, und dabei wird er sich Menschenschmugglern anvertrauen.
„Alleine habe ich es nicht geschafft. Also warte ich darauf, dass mir meine Freunde und meine Familie die Summe überweisen, die Schmuggler für eine Reise nach Frankreich verlangen“, sagt er. Hussef sitzt in seiner aktuellen Unterkunft, einem abgewrackten Zugwaggon im Frachtbahnhof von Thessaloniki.
Er wohnt hier mit drei weiteren Männern. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, nach Mazedonien zu kommen, hätten sie ihre Lektion gelernt, sagen alle vier: Die Balkanroute ist für einzelne Migranten beinahe unpassierbar. Wer es dennoch probiert, landet im Arrest, wie Hussef.
Europas Abschottungsplan scheint zu funktionieren. Die griechischen Hotspots in der östlichen Ägäis sind das erste Bollwerk. Die europäische Grenzschutztruppen von Frontex patrouillieren gemeinsam mit der griechischen Polizei an der mazedonischen Grenze. Und die Verstärkung aus EU-Ländern hilft der mazedonischen Polizei, ihre eigene Grenze zu sichern.
Sie bewachen damit die Route, über die 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge nach Westeuropa kamen. Frontex meldete in der ersten Jahreshälfte 2017 weniger als 2000 illegale Grenzübertritte, nur noch ein Bruchteil der 130.000 im Jahr zuvor. Athen und Brüssel sind zufrieden, zumindest vermitteln sie nach außen diesen Eindruck.
Tatsächlich aber sind die griechischen Behörden alarmiert: Wie der SPIEGEL bei Durchsicht interner Polizeiunterlagen und mehr als einem Dutzend Interviews mit Offiziellen und Migranten erfuhr, hat die Abschottung eine Nebenwirkung: Mehr und mehr Migranten wenden sich an organisierte Schmugglernetzwerke.
Gestrandet in Thessaloniki: Warten auf ein Zeichen der Schleuser
Die Nachfrage ist enorm, also erhöhen die Schmugglerorganisationen ständig die Preise. Und ihre Methoden werden immer ausgefeilter. Mit den üblichen Polizeimethoden sind sie kaum zu fassen.
Mehrere Tausend Migranten in Griechenland sind bereits verschwunden, tauchen in der Statistik nicht mehr auf. Sie wurden zwar bei ihrer Einreise ins Land registriert, aber es gibt keine Erfassung darüber, ob sie ausgereist sind oder wo sie sich befinden. Vielen dieser Verschwundenen geht es wie Hussef. Sie haben kaum eine Chance auf Asyl, darum ist der Anreiz groß, sich an Menschenschmuggler zu wenden. Zum Überleben und um die Schmuggler zu bezahlen, werden viele von ihnen zu Kleinkriminellen.
5000 Euro für ein Komplettpaket
Durch persönliche Bekanntschaften oder über das Internet nehmen sie Kontakte zu „Fixern“ auf, am liebsten Landsleute. Die Preise der Schmuggler sind für die meisten unerschwinglich: 3000 bis 5000 Euro. Wer das Geld aufbringt, dem winkt ein Komplettpaket: Jedes Detail der Reise ist ausgearbeitet. Mit exakten Positionsdaten und Zeiten sind Abreisepunkt und Übergabe an einen Schmugglerring auf der anderen Seite der Grenze definiert. Die Schmuggler haben hierfür die Routinen der Grenzwächter studiert, so gelingen Übertritte immer wieder völlig unbemerkt.
Zahlen und Berichte der griechischen Behörden über Festnahmen von Schmugglern belegen das Ausmaß. Bis August 2017 wurden 38.000 Menschen wegen illegaler Einreise nach Griechenland festgenommen. Bis zu 800 Menschenschmuggler wurden im gleichen Zeitraum gefasst, ein Anstieg von 38 Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. In einem Fall stoppten griechische Polizisten nach einer filmreifen Verfolgungsjagd einen Bus mit bulgarischem Nummernschildern. Hinter den Gepäckluken versteckten waren 31 Migranten, mit im Bus waren sechs Schmuggler.
Diese Grenzen sind nicht zu sichern
Trotz solcher Erfolge, so die Polizei, erwische man nur die kleinen Fische. „Der Druck an der Grenze wird höher. Festnahmen gibt es jeden Tag, wir kriegen nur die ungeschickten Amateure. Die uns entwischen, gehören zu professionellen internationalen Netzwerken mit Einfluss in ganz Europa“, sagte Panagiotis Charelas, Chef der Griechischen Vereinigung der Grenzschützer.
Offizielle der Sicherheitsbehörden dringen deshalb bei Frontex und die Regierung auf Verstärkung – und auf nachrichtendienstliche Aufklärung der Netzwerke. Besonders, weil sich der Einwandererzuzug aus der Türkei seit 2016 verdoppelt hat. Die Offiziellen sagen, es sei praktisch unmöglich die griechischen Grenzen zu Türkei und Mazedonien mit traditionellem Grenzschutz zu sichern. Wie die Schmuggler müssten auch die Sicherheitskräfte gerissener werden.
Hussef macht sich keine Sorgen. „Ich werde weiterziehen. Wenn ich das Geld habe, kann mich nichts mehr aufhalten.“
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