Dreimal wählte die Schülerin die Notrufnummer 112. Sie beschrieb den Mann und den Ort, an dem er sie gefangen hielt, so gut sie konnte. Dann rief sie ins Telefon: „Er kommt, er kommt.“ Es waren ihre letzten Worte, die der Notrufdienst aufzeichnete. Von da an dauerte es noch 19 Stunden, bis die Polizei eingriff. Da war die 15-Jährige längst tot.

Es ist ein brutales Verbrechen, das derzeit in Rumänien für Entsetzen sorgt. Im Städtchen Caracal im Südwesten des Landes hat vergangene Woche ein polizeibekannter Gelegenheits-Taxifahrer und Autoschlosser die Schülerin Alexandra Macesanu entführt, vergewaltigt und ermordet. Der 66 Jahre alte Mann hat die Tat inzwischen gestanden, ebenso wie einen weiteren Mord an einer 18-jährigen Schülerin.

Heftige Empörung gibt es nun vor allem über das mutmaßliche Versagen der Behörden. So waren der Sondertelekommunikationsdienst STS und die Polizei stundenlang nicht in der Lage, den Ort zu lokalisieren, von dem aus die entführte Alexandra per Mobiltelefon ihre Notrufe abgegeben hatte. Später warteten Einsatzpolizisten vor dem Anwesen des Täters ebenfalls stundenlang auf einen offiziellen Durchsuchungsbeschluss. Auch nach dem Verschwinden der ebenfalls ermordeten Gymnasiastin Luiza Melencu sollen Ermittler geschlampt und Hinweise Angehöriger auf ein mögliches Verbrechen ignoriert haben.

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Demonstranten in Bukarest

Am Wochenende protestierten Tausende Menschen gegen die Regierung und die Behörden. „Die Polizei tötet!“, lautete ein Motto der Demonstranten. „Ein Kind hat den rumänischen Staat um Hilfe angerufen“, sagte der prominente Journalist Cristian Tudor Popescu. „Doch dieser Staat, in dem wir leben und den wir bezahlen, um zu leben, nicht um zu sterben, hat wie ein Komplize dieses sadistischen Kriminellen gehandelt.“

Angeheizt wird die Stimmung auch durch die Berichterstattung in vielen Medien, darunter vor allem in privaten Fernsehsendern, die nahezu rund um die Uhr auf mitunter äußerst fragwürdige Weise über den Fall und die trauernden Angehörigen der Opfer berichten.

Politische Folgen kaum absehbar

Die politischen Folgen des Mordfalls sind noch längst nicht absehbar. Die offiziell sozialliberale, de facto aber national-populistische Regierung entließ eilig den rumänischen Polizeichef sowie mehrere weitere hohe Verwaltungs- und Polizeibeamte. Ministerpräsidentin Viorica Dancila versprach Gesetzes- und Behördenreformen, regte ein Referendum über die Verschärfung von Strafen für Mörder, Vergewaltiger und Pädophile an und sinnierte über die Einführung chemischer Kastration.

Viele Rumänen halten das jedoch für puren Zynismus. Die Koalition versucht seit mehr als zweieinhalb Jahren, eine großangelegte Justizreform durchzusetzen und damit den Kampf gegen Korruption in Politik und Verwaltung abzuschwächen. Als Ergebnis davon, glauben viele Menschen im Land, sei auch die Kriminalität stark gestiegen – etwa durch Amnestien für Tausende Straftäter.

Ministerpräsidentin Viorica Dancila

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Ministerpräsidentin Viorica Dancila

Auch Staatspräsident Klaus Johannis erhob deshalb nach dem Mordfall schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Sie solle sich fragen, ob sie nicht der „moralische Autor der Tragödie“ sei, sagte Johannis am Sonntag in einer Ansprache und forderte von der Exekutive die Rücknahme der Justizreform. Der rumänische Staat könne das Recht auf Leben nur schützen, wenn er befreit sei von Inkompetenz, Klientelismus und Korruption.

Dancilas Vorschläge und Johannis‘ Vorwürfe sind allerdings offensichtlich stark vom laufenden Wahlkampf geprägt: Im November findet im Land die Präsidentschaftswahl statt. Johannis hat gute Chancen, erneut gewählt zu werden. Jedoch hat er bislang kaum eines seiner früheren Versprechen – von einer Verbesserung der politischen Kultur bis zur Verringerung der Korruption – eingehalten.

Johannis‘ Hauptkontrahentin ist Ministerpräsidentin Dancila. Sie galt lange Zeit als Marionette des ehemaligen starken Mannes in Rumänien, Liviu Drganea, der Ende Mai eine dreieinhalbjährige Haftstrafe antreten musste. Dancila, die häufig mit Peinlichkeiten wie einem fehlerhaften Rumänisch auffällt, muss sich nun als starke und fähige Politikerin profilieren.

Es sei traurig, dass dafür nun ausgerechnet die Mordtragödie instrumentalisiert werde, schreibt die Publizistin Magda Gradinaru. „Noch bevor wir begriffen haben, dass es falsch ist, das Leiden von Menschen zu begaffen die gerade alles verloren haben, hat die Politik Alexandras Leiche gestohlen und will aus ihr Profit schlagen.“

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