Seit Dezember steht Deutschlands größter Moscheeverband Ditib erneut in der Kritik. Die regierungskritische türkische Zeitung Cumhuriyet und die Welt hatten herausgefunden, dass die türkische Religionsbehörde Diyanet Imame von Ditib in Deutschland angewiesen hat, Informationen über Anhänger des Predigers Fethullah Gülen nach Ankara zu schicken. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht Gülen für den Putschversuch im Juli verantwortlich. Ditib ist von der türkischen Religionsbehörde abhängig und hat am Donnerstag zunächst zugegeben, dass einige Imame der Anweisung gefolgt sind und Informationen nach Ankara geliefert haben. Später am Tag nahm Ditib die Aussage teilweise zurück. Was folgt daraus für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern mit der Ditib? Wie steht es um den Verband, der 900 Moscheegemeinden in Deutschland betreut?

Wie reagierte Ditib auf die Spitzel-Vorwürfe?

„Die Anweisung war eine Panne“, sagte Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga dem Tagesspiegel und anderen Zeitungen und Online-Portalen. Sie sei nicht an Ditib gegangen, sondern an die Auslandsvertretungen der Türkei. Auch er habe davon aus der Zeitung erfahren und sei schockiert gewesen. Die Religionsattachés in den Konsulaten haben die Aufsicht über die Ditib-Imame. „Aufgabe der Imame ist die Seelsorge und nicht, Informationen zu sammeln. Fälschlicherweise sind trotzdem einige wenige Imame der Anweisung gefolgt“, sagte Alboga. So etwas dürfe nicht mehr vorkommen. Das habe man Diyanet mitgeteilt. Die Vorgänge würden untersucht. Am Abend schickte Alboga jedoch eine Erklärung, wonach der Verband „die schwerwiegenden Vorwürfe der ’Bespitzelung’ nicht bestätigt“ habe. Er habe lediglich sagen wollen, dass die Vorwürfe ernst genommen und von Ditib untersucht würden. „Mit der ’Panne’ meinte ich, dass die Aufforderung missverständlich ausgelegt wurde“, schrieb Alboga. Damit weist er offenbar den betroffenen Imamen die Schuld zu.

Was sagen die Anhänger der Gülen-Bewegung?

Nach Angaben des Leiters der Gülen-nahen Berliner Stiftung „Dialog und Bildung“, Ercan Karakoyun, würden die Menschen wegen der starken Anfeindungen durch Erdogans Anhänger auf andere Moscheegemeinden ausweichen. „Schöne Presseerklärungen von Ditib gegen Anfeindungen und Bespitzelungen haben im Alltagsleben ihrer Gemeinden keine Wirkung und sind vor allem für die deutsche Öffentlichkeit bestimmt“, sagte Karakoyun der Katholischen Nachrichtenagentur. Solange das Führungspersonal von Ditib aufs Engste mit der türkischen Religionsbehörde in Ankara verknüpft bleibe, werde sich auch nichts ändern. Jetzt von einer „Panne“ zu sprechen, sei verniedlichend. Die Gülen-Bewegung, die sich selbst „Hizmet“ nennt (türkisch für Dienst) zählt in Deutschland bis zu 100.000 Anhänger.

Warum steht Ditib schon seit Längerem in der Kritik?

2015 posierte ein Ditib-Funktionär in Dinslaken mit Salafistengruß in den sozialen Netzwerken. Anderswo verunglimpften Ditib-Mitglieder Juden und Christen. Im September 2016 veröffentlichte die türkische Religionsbehörde einen Comic, der den Märtyrertod verherrlicht. Der Comic sei zum „Tag der Gefallenen“ erschienen, an dem vor allem der Opfer des Ersten Weltkriegs gedacht werde. Er wolle Kindern Trost spenden, erklärte der Ditib-Bundesverband. NRW-Innenminister Ralf Jäger beendete daraufhin die Zusammenarbeit mit Ditib bei einem Präventionsprogramm.

In ihrer Freitagspredigt am 30. Dezember 2016 schmähte die türkische Religionsbehörde Silvesterfeiern als „illegitimen Brauch einer fremden Kultur, die sich nicht mit den türkischen Werten vereinbaren lassen“ – ganz im Einklang mit der Regierungspartei AKP, die seit Jahren Stimmung macht gegen Silvesterfeiern. Nachdem ein islamistischer Terrorist in der Silvesternacht 39 Menschen in einem Istanbuler Nachtclub getötet hatte, verurteilte der Diyanet-Präsident das Attentat und warnte vor einer Spaltung in der Gesellschaft. Ditib hat die Silvesterpredigt nicht übernommen. Doch auch in Deutschland posteten Jugendliche aus Ditib-Moscheen antichristliche Slogans und eine Zeichnung, auf der ein Muslim einen Weihnachtsmann verprügelt.

Man bedauere das sehr, hieß es in der Ditib-Zentrale. Hetze gegen Andersdenkende seien nicht vereinbar mit den Werten von Ditib. Es handle sich um Einzelfälle. Doch die Einzelfälle häufen sich. Der Berliner Islamexperte Ahmad Mansour, der in der Präventionsarbeit tätig ist, beobachtet, dass immer häufiger auch Jugendliche aus Ditib-Moscheen fundamentalistische Parolen äußern. Das könnte daran liegen, dass die türkische Religionsbehörde theologisch immer reaktionärer wird, je mehr Präsident Erdogan die Türkei zu einem autoritären islamistischen Staat umbaut, in dem Widerspruch kaum noch geduldet wird.

Die Türkei versteht sich seit der Staatsgründung durch Kemal Atatürk 1923 als laizistischer Staat. Doch von einer Trennung von Staat und Religion kann keine Rede sein. Der türkische Staat kontrolliert die Religionen durch die Religionsbehörde, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Als die Kemalisten regierten, predigte die Religionsbehörde einen liberaleren Islam, und der Einfluss des Islam auf den Staat war gering. In Deutschland hofierten Bund und Länder den von Diyanet abhängigen Verband deshalb jahrzehntelang. Eine von Ankara abhängiger Organisation schien gegen fundamentalistische Einflüsse immun zu sein. Seitdem die islamisch geprägte AKP regiert, vertritt Diyanet einen konservativen Islam und macht mit immer kruderen Positionen auf sich aufmerksam. Ditib steht unter Verdacht, diese Positionen zu übernehmen, auch weil sie sich nicht klar gegen Diyanet abgrenzt.

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