Berlin (dpa) – Die ersten Gitarrenakkorde des neuen Albums von Lambchop hören sich noch so an, wie man es von dieser verdienten Folkrock- und Countrysoul-Band aus Nashville gewohnt ist: erdig, warm, gelassen bis zur Schläfrigkeit.

Doch dann kommt’s: Der Gesang von Kurt Wagner klingt anders als üblich – ganz anders. Lambchop haben etwas getan, was man ihnen nicht mehr zugetraut hatte: Sie haben ihren Sound ein Stück weit neu erfunden mit Hilfe moderner Elektronik, vor allem durch Stimmenmanipulation.

Wie übrigens in diesem Herbst bereits der Indie-Folk-Sänger Justin Verdon alias Bon Iver – doch dazu später.

Das wieder beim feinen Berliner Label City Slang erschienene zwölfte Studioalbum von LAMBCHOP heißt „FLOTUS“, die Abkürzung soll für „For Love Often Turns Us Still“ stehen. Eine andere Deutung lautet „First Lady Of The United States“ – denn diese Platte ist eine einzige Liebeserklärung Kurt Wagners an seine Frau Mary, ihr vor allem sollten die elf Songs gefallen. (Ob das bei früheren Lambchop-Platten nicht der Fall war? Kaum vorstellbar.).

Die melancholische Grundstimmung älterer Werke wie „Is A Woman“ (2002) oder „OH (Ohio)“ (2008) nimmt „FLOTUS“ durchaus wieder auf. Im Prinzip auch die Stilmixtur von Alternative-Country, sanften Folkballaden, Pianopop und klassischem Motown-Soul (hier insbesondere in „Old Masters“, einer Hommage an den späten Marvin Gaye). Doch ansonsten muss sich der Hörer diesmal an Wagners vielfach gefilterter, gehäckselter und gepitchter Stimme abarbeiten – für Lambchop-Puristen keine ganz leichte Aufgabe.

Das Album beginnt mit dem mysteriös betitelten Zwölfminüter „In Care Of 8675309“ und endet mit dem sogar 18-minütigen „The Hustle“ – sicherlich zwei der ungewöhnlichsten, wagemutigsten Tracks, die man je von Lambchop gehört hat. Dazwischen liegen neun kürzere, konventionellere Stücke (besonders eindrucksvoll neben „Old Masters“ noch das wohl von einer Bassklarinette geprägte „Writer“). Wagners tiefe Bariton-Stimme schwebt auch hier meist verfremdet über all dem Melodienreichtum.

Risikobereitschaft beweisen die Amerikaner mit „FLOTUS“ allemal – ob der Lambchop-Verehrer da mitgeht oder sogar neue Fans gewonnen werden können, muss sich erst noch zeigen. Bei BON IVER ist diese Frage schon beantwortet: Projektleiter Justin Vernon hat sich spätestens mit dem Ende September erschienenen, weltweit abgefeierten „22, A Million“ (Jagjaguwar/Cargo) aus den engen Folk-Zirkeln herausbewegt und ein breites Publikum erschlossen. In seinem Heimatland USA und auch in Großbritannien stieg das Autotune-Folk-Album jeweils bis auf Platz 2 der Charts.

Nicht schlecht für ein Werk, das mit seinen Elektro-Spielereien die Bon-Iver-Fans der ersten Stunde – also aus Zeiten des zarten, liebeswaidwunden Debüts „For Emma, Forever Ago“ (2008) – zumindest polarisiert. Die Vocoder-Verzerrungen und vielfältigen elektronischen Manipulationen des Vernon-Falsetts klingen für manche arg anstrengend und aufdringlich. Für die meisten aber sind sie Ausdruck der stetigen Weiterentwicklung eines Künstlers, der zuletzt bereits durch enge Kontakte in die R&B-Szene (vor allem zu Kanye West und James Blake) aufgefallen war und diese Einflüsse nun in seinen modernisierten Sound einbaut.

Gewöhnungsbedürftig sind auch die überwiegend kryptischen Songtitel wie „10 Death/Breast“, „666 (upsidedowncross)“, „29 #Strafford Apts“ oder „1000000 Million“ (besonders hinter den beiden letztgenannten stecken allerdings ganz wunderschöne Gospel-nahe Lieder, also nicht abschrecken lassen!). Es scheint so, dass sich Vernon mit dem elektrofolkigen Bon-Iver-Projekt durchaus in einer spinnerten Grundhaltung gefällt. Seine Lieder bleiben gleichwohl hörenswert – für viele Popfans sind sie gerade in ihrer konsequentem Crossover-Anmutung nah am Puls der Zeit.  

Lambchop-Konzerte im Februar 2017: 5.2. Erlangen, 6.2. Luzern, 8.2. Zürich, 12.2. Mainz, 14.2. Wien, 15.2. München, 17.2. Dortmund, 18.2. Berlin, 20.2. Hannover

Bon-Iver-Konzerte im Januar 2017: 24.1. Frankfurt/Main, 25.1. Zürich, 5.2. Hamburg, 6.2. Berlin

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