Die Bundesregierung setzt sich in Brüssel dafür ein, dass Rechtsbrecher in der EU künftig mit dem Entzug von Regionalfördermitteln bestraft werden können. Nach SPIEGEL-Informationen brachte Deutschland in einem Ministerrat Mitte November ins Gespräch, Regionalbeihilfen künftig nur noch in Ländern auszuzahlen, in denen rechtsstaatliche Grundprinzipien eingehalten werden. Die Kommission möge die Idee „ernsthaft prüfen“, forderte der deutsche Vertreter im Allgemeinen Rat (Kohäsionsrat).

Hintergrund ist, dass das sogenannte Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags bisher nicht die gewünschten Erfolge bringt. Zwar hatte die EU-Kommission nach zweijährigen Versuchen, mit Polen ins Gespräch zu kommen, am Mittwoch erstmals in ihrer Geschichte ein derartiges Verfahren gegen ein EU-Mitglied eingeleitet. Die polnische Regierung macht jedoch weiterhin keinerlei Anstalten, die kritisierten Justizreformen zurückzunehmen.

Anders als die wohlfeilen Ermahnungen im schwerfälligen Rechtsstaatsverfahren wäre eine Kürzung beim Geld für Polen allerdings äußert schmerzhaft. Kein Land in der EU erhält mehr Regionalbeihilfen, von 2014 bis 2020 überweist Brüssel 86 Milliarden Euro.

Auch Haushaltskommissar Günther Oettinger, der derzeit an einem Entwurf für das EU-Budget von 2021 bis 2027 arbeitet, denkt in diese Richtung. Es gebe „eine klare Beziehung zwischen der Rechtsstaatlichkeit und einer effizienten Umsetzung der privaten und öffentlichen Investitionen, die vom EU-Haushalt unterstützt werden“, heißt es in einem Strategiepapier seiner Behörde.

Ende Februar werden sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Sondertreffen in Brüssel mit den Strukturen des künftigen Haushalts befassen. Gut möglich, dass das Thema dann erstmals auf höchster Ebene zur Sprache kommt. „Es kann nicht sein, dass manche Mitgliedstaaten die EU nur als Geldautomaten sehen, an dem sie sich beliebig bedienen können“, sagt ein EU-Diplomat.

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), unterstützt zwar das Vorgehen der Kommission, würde sich aber ebenfalls abgestuftere Sanktionsmöglichkeiten wünschen. „Das Problem des Artikel-7-Verfahrens ist, dass es nur Gewinner und Verlierer kennt“, sagte er dem SPIEGEL.

Auch der Konstanzer Europarechtler David Thym beklagt Konstruktionsfehler des Rechtsstaatsverfahren. „Artikel 7 ist zu schwerfällig“, sagt er, „die Sanktion funktioniert nicht, wenn mehrere Länder gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen.“

Thym spielt damit auf den Umstand an, dass ein Entzug der Stimmrechte – die ultimative Sanktion im Rechtsstaatsverfahren – nur einstimmig erfolgen kann. Ungarn hat jedoch bereits angekündigt, eine entsprechende Entscheidung gegen Polen zu blockieren. Am Freitag bekräftigte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán diese Haltung mit markigen Worten: „Wer Polen angreift, greift ganz Mitteleuropa an“, sagte er.

Der Justiz- und Innenausschuss des Europaparlaments bemängelte die fehlende Schlagkraft der Rechtsstaatsprozedur ebenfalls in einem Gutachten. „Das gegenwärtige Verfahren erweist sich als ineffektiv, Bedrohungen des Rechtsstaats in der EU zu begegnen“, heißt es in einer Expertise.

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