New York (dpa) – Andy Warhol und Calvin Klein tanzten, Liza Minnelli und Diana Ross sangen – und mittendrin feierten die Gründer Ian Schrager und Steve Rubell das letzte Hurra ihres „Studio 54“. Am nächsten Morgen gingen die beiden ins Gefängnis.
„Wenn ich mir das aus heutiger Sicht anschaue, war das so grotesk“, erinnerte sich Schrager, der am 19. Juli 75 Jahre alt wird, jüngst in dem Dokumentationsfilm „Studio 54“. „Was haben wir uns nur dabei gedacht?“
1977 hatten die aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn stammenden Schrager und Rubell, die sich im Studium angefreundet hatten, „Studio 54“ gegründet. „Wir hatten keine Ahnung, was das bedeuten würde, dass es nur 33 Monate halten und die Fantasie von jedem anregen würde.“ Was die beiden Freunde wollten: nicht weniger als „den ultimativen Nachtclub erfinden“, „das Universum verändern“ und dabei viel Geld verdienen. Nachdem sie sich einige Zeit lang die Szene New Yorks angeschaut und einen ersten Club im Stadtteil Queens betrieben hatten, wurde es das „Studio 54“ im damals eher heruntergekommenen Midtown Manhattan. „Wir haben alles auf diesen Club gesetzt. Wenn es ein Misserfolg geworden wäre, wäre es ein riesiger Misserfolg geworden.“
Aber „Studio 54“ wurde schon mit der Eröffnungsparty zum spektakulären Erfolg. „Ich war nie zuvor mit so vielen Prominenten in einem Raum“, erinnert sich der 1946 geborene Schrager, der anders als Rubell das Scheinwerferlicht immer eher mied und sich im Hintergrund hielt. Die Stars waren das eine – aber das wirklich besondere war die Mischung im Club: „Die Vielfalt hat diese wilde Energie mit sich gebracht.“ Insbesondere auch Homosexuelle wie Rubell selbst, von denen viele damals ihre sexuelle Orientierung eigentlich noch verheimlichten, fühlten sich im „Studio 54“ sicher genug, um sich auszuleben – Alkohol, Drogen und Sex inklusive.
„Studio 54“ sei wie seine „erste Liebe“ gewesen, sagt Schrager in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa. „Es gab natürlich die Stars und die Beleuchtung und all das, aber für mich war es einfach diese Freiheit. Sobald du durch diese Tür durchgegangen warst, warst du frei – frei zu tun und lassen, was du wolltest, und frei zu sein, wer oder was auch immer du wolltest.“ In der Eröffnungsnacht habe ihn Rubell um fünf Uhr morgens angerufen, um ihm zu sagen, dass die „New York Post“ ein riesiges Foto der beiden zusammen mit der Pop-Diva Cher auf dem Titelblatt abgedruckt hatte. „Da haben wir uns gefühlt, als hätten wir es geschafft, als wären wir die Könige der Welt.“
Nur die wenigsten wurden aber überhaupt ins „Studio 54“ hineingelassen – und das führte zu viel Ärger. „Es gab eine Leidenschaft, hineingelassen zu werden, und Groll und Hass, wenn man es nicht wurde – aber das war uns egal, wir wollten einfach nur Erfolg“, sagt Schrager. Der steigt den beiden so zu Kopf, dass sie sich immer mehr Geld abzweigen und damit auch noch öffentlich angeben. „Ich bin teilweise mit 400.000 Dollar in bar in meinem Kofferraum herumgefahren.“
Die Steuerbehörden durchsuchen schließlich den Club und finden neben Bargeld auch Drogen. Schrager und Rubell werden unter anderem wegen Steuerhinterziehung 1980 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. „Es war das erste Mal im Leben von Steve und mir, dass wir uns aus etwas nicht herausreden konnten“, sagt Schrager. Am Morgen nach dem letzten Hurra im „Studio 54“ geht es dann wirklich ins Gefängnis für die beiden. „Ich war wie betäubt, unser Leben schien vorbei.“
Aus dem Gefängnis heraus verkaufen sie den Club, der noch einige Jahre weiterbetrieben wird, aber 1986 schließt und inzwischen als Theater genutzt wird. „Das Studio zu verkaufen, war das Härteste, was ich jemals gemacht habe.“
Sie hätten eine ganze „Litanei an Fehlern“ gemacht und den „Ernst der Lage nicht erkannt“, sagt der zum zweiten Mal verheiratete dreifache Vater Schrager, der 2017 vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama begnadigt wurde, rückblickend.
Nach dem Ende ihrer verkürzten Gefängnisstrafe eröffnen Schrager und Rubell einen weiteren Nachtclub, das „Palladium“. Vor allem aber investieren sie in Hotels – inzwischen Dutzende auf der ganzen Welt. Nach dem Tod von Rubell, der 1989 an den Folgen einer HIV-Infektion starb, macht Schrager damit alleine weiter. Mit seiner Hotelmarke „Public“ will er „Luxus für alle“ schaffen und sieht in der Zeit der abklingenden Corona-Pandemie eine „goldene Chance“ für seine Branche.
Die New Yorker Club-Szene sieht Schrager derzeit dagegen als nicht herausragend an. „Es gibt keine gute Club-Szene in New York dieser Tage – nicht so wie in Deutschland oder in anderen Städten“, sagt der Unternehmer. „Indem die Branche reguliert wurde und versucht wurde, alle zu schützen, hat man sie entmannt. Das kann nicht mehr funktionieren. Es gibt jetzt Menschen in New York, die wenn sie nach elf Uhr abends noch Lärm hören, die Polizei rufen.“ Dabei sei das Nachtleben ein wichtiger Inkubator für kulturelle Ideen. „Wenn man das erstickt, ist das keine gute Idee. Ich weiß, dass es Probleme gibt und man damit umgehen muss – aber in New York wird damit nicht korrekt umgegangen.“ Andere Städte der Welt – darunter Berlin – hätten dagegen aufgeholt.
Das „Studio 54“ könne wiederbelebt werden – aber er wäre nicht mehr dabei. „Ich bin durch mit dem Business.“ Außerdem sei er dieser Tage auch keine Nachteule mehr. „Früher bin ich ständig ausgegangen – aber das ist vorbei. Inzwischen bin ich weit vor Mitternacht im Bett, vor zehn, und stehe früh auf.“ Deswegen sei auch keine große Party für seinen 75. Geburtstag geplant. „Ich war schon immer schüchtern und introvertiert – und genau so jemanden habe ich auch geheiratet. Wir sind glücklich einfach nur miteinander zu Hause“, sagt Schrager. Er sei auch mit 75 „genauso energiegeladen, intensiv, fokussiert, unheilbar neugierig auf alles und motiviert wie immer“. „Ich liebe meine Arbeit, ich liebe meine Familie und bin glücklich mit allem, was ich habe. Mir ist egal, was andere Leute haben. Ich bin der reichste Mensch der Welt.“
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