Die CDU, wie Norbert Röttgen sie sieht, läuft vor dem Frühstück einen 10K und  trinkt dann einen grünen Smoothie. Sie trägt, modern und schlicht, einen schwarzen Rollkragenpullover. Und wenn man ihr eine Frage stellt, steigt sie auf eine Trittleiter, zieht ein schweres Buch aus dem oberen Regalboden und beginnt nach Argumenten zu blättern. Eine schöne Partei, Manufactum-Katalog trifft Silicon Valley. Die Frage nur ist: Gibt es diese CDU wirklich?

Seit Freitagmorgen läuft die Wette. Röttgen, ehemals Bundesumweltminister und zuletzt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, will Parteichef werden. Es ist sein zweiter Anlauf. Und an den Argumenten hat sich seit dem letzten Mal nichts geändert. Wohl aber an der Ausgangslage.

Die Union hat in der Zwischenzeit eine Bundestagswahl verloren. Röttgen sieht sich deshalb bestätigt: „Ich habe damals die Auffassung vertreten, ein Weiter so reicht nicht aus, um Wahlen zu gewinnen“, sagt er in der Bundespressekonferenz in Berlin. Bei seiner letzten Kandidatur habe er nicht ernsthaft damit gerechnet, gewählt zu werden: „Wenn ich dieses Mal kandidiere, dann mit der Entschlossenheit, gewählt werden zu können.“ Er sagt: „Es gibt nur einen Weg, den nach vorn.“

Die CDU sucht sich gerade selbst. Da kann man leicht der Versuchung erliegen, selbstgefällig zu werden. Gerade das will Röttgen verhindern. Die CDU könne niemals scharfe „Richtungspartei“ sein. Es gehe nicht darum, „immer nur nach innen zu gucken; wo fühlen wir uns wohl“. Sondern: „In der Gesellschaft müssen wir Volkspartei sein.“ Er warnt: „Wenn es auch nur wahrgenommen würde: Die machen Platz in der Mitte – dann wäre das das größte Geschenk für SPD, Grüne und FDP.“

Röttgen und der Konservatismus

Röttgen sagt es nicht, aber er meint natürlich: Friedrich Merz mag der CDU schmeicheln. Aber um zu regieren, muss man mehr Menschen ansprechen können. Die Jungen etwa, die zu großen Teilen nicht CDU gewählt haben. Die „hören uns gar nicht mehr zu“, meint Röttgen. Die Parteizentrale, das Adenauer-Haus, will er deshalb zur „Denkwerkstatt“ umbauen. „Wir werden ein Ort der gesellschaftlichen Begegnung sein.“ Bloß nicht verloren gehen in der Introspektion.

Um nicht völlig die Fäden zur Parteibasis zu kappen, bekennt der Kandidat sich noch schnell zum Konservatismus, auch wenn er den eher habituell interpretiert: „Für mich ist klar, dass die CDU die legitime politische Heimat konservativ gesinnter Menschen ist“, so Röttgen. „Anstand und Integrität sind keine altmodischen Kategorien.“ Seine Vorstellung von zeitgemäßem Konservativsein: Dem Neuen nicht „einfach nur nachzujagen, sondern Umbrüche ordnen“.

Drei machtpolitische Tangenten berührt seine Kandidatur. Erstens will Röttgen, dass Ralph Brinkhaus Chef der Bundestagsfraktion bleibt. Mit der CDU sei er beschäftigt genug, sagt Röttgen. Diese Jobgarantie für einen der wichtigsten Player der Union kann ihm vielleicht auch noch den einen oder anderen Fürsprecher sichern.

Zweitens will Röttgen die Aussöhnung mit der Schwesterpartei angehen. Mit Markus Söder verstehe er sich sehr gut. Das ist tatsächlich zentral. Ohneeinander werden die Unionsschwestern nichts reißen. Das weiß auch die CDU-Basis, die ja diesmal den Vorsitzenden wählen darf. Und die weiß auch: Das Duett Söder/Merz wäre toxisch.

Und drittens kommt Röttgen nicht allein in die Bundespressekonferenz. Er hat seine Wunschkandidatin für den Posten der Generalsekretärin mitgebracht. Franziska Hoppermann ist neu im Bundestag, zuletzt arbeitete sie in der Hamburger Justizbehörde und war davor Fraktionsvorsitzende der CDU im Stadtbezirk Hamburg-Wandsbeck. Röttgen sagt, er finde es wichtig, dass die CDU Kommunalpartei bleibe.

Der Überraschungseffekt ist diesmal weg

Hoppermann kommt, anders als Ellen Demuth, die Röttgen letztes Mal mit auf sein Ticket genommen hatte, weniger eindeutig aus dem liberalen Parteiflügel. Als Konservative war sie aber auch nicht in Erscheinung getreten. Zuletzt hatte die Grande Dame der CDU-Frauen, Rita Süssmuth, unter anderem Hoppermanns Namen genannt, als es darum ging, welche Frauen mehr zu sagen haben sollten. Röttgen verzichtet also darauf, den Weg von Annegret Kramp-Karrenbauer zu gehen: Die hatte mit dem Ex-Junge-Union-Chef Paul Ziemiak einen aus dem anderen, konservativen Lager in die Parteispitze geholt, um auch da eine gewisse Balance zu signalisieren. Röttgen spielt all or nothing.

Er glaubt, dass er die Mitgliederbefragung gewinnen kann. Und betont: So genau wisse ja niemand, wie die 400.000 CDU-Mitglieder wirklich tickten. Das sei ein „unbekanntes Elektorat“. Ob das stimmt, wird sich zeigen. Aber es besteht durchaus Grund zur Annahme, dass die CDU-Mitglieder einer Mittelstadt am Mettbrötchen-Büfett nicht gerade auf Röttgens Pitch gewartet haben.

Seine letzte Kandidatur war vor allem deshalb so schwungvoll, weil sie überraschend kam. Wohl niemand hatte Röttgen damals auf dem Zettel. Das hat neugierig gemacht. Anders als an Merz, Laschet und seinem Teampartner Spahn hatte man sich an Röttgen noch nicht sattgehört. Das hat für einen Achtungserfolg und Platz drei gereicht. Und für einen Sitz im Parteipräsidium. Mehr nicht.

Der Überraschungseffekt ist jetzt weg. Trotzdem hätte es diesmal besser laufen können: ein Duell mit Merz, der in der Partei umstritten ist – und den noch dazu ein Großteil der einflussreichen Christdemokraten und der Parteiführung ablehnt. Das hätte wenigstens knapp werden können. Diese Hoffnung wurde mit dem Donnerstagabend deutlich heruntergedimmt, seit klar ist, dass Kanzleramtschef Helge Braun ebenfalls antritt.

Der dürfte viele Grundüberzeugungen mit Röttgen teilen, kann aber besser mit den Funktionären – die bestimmen diesmal zwar nicht, sind aber natürlich wichtige Multiplikatoren im parteiinternen Wahlkampf. Helge Braun kommt bei allem deutlich weniger kompromisslos avantgardistisch rüber. Die Saumagen-Kompetenz jedenfalls liegt eindeutig bei ihm.

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