„Tragen Sie den Ausweis lieber sichtbar, sie werden den noch oft brauchen“, sagt die nette Polizeibeamtin an der Absperrung auf der Moltkebrücke, gegenüber vom Kanzleramt. Und tatsächlich: Man wird es noch oft bauchen, dieses um den Hals baumelnde Plastikding, die Akkreditierung für den „Besuch S.E. des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Herrn Barack H. Obama“ mitsamt dem Zusatzausweis für die „gemeinsame Pressebegegnung“.

Barack Obama legt die halbe Innenstadt lahm

Das Berliner Regierungsviertel ist eine Hochsicherheitszone in diesen Tagen. Die Hauptstadtbewohner ertragen auch das mit stoischem Gleichmut: zugeschweißte Gully-Deckel, Scharfschützen auf den Dächern, die S-Bahn hält nicht mehr in der Station „Brandenburger Tor„, die halbe Innenstadt lahmgelegt. Hat man seine Plastikkarten zum vierten, fünften Mal vorgezeigt und alle Sperrriegel erst mal passiert, herrscht plötzlich gespenstische Ruhe: Still ruht alles da. Nur das Wummern eines Hubschraubers ist zu hören, der ständig über dem Areal kreist, das von Menschen – außer, sie tragen Polizeiuniformen – völlig entleert zu sein scheint.

Obama also auf Abschiedsbesuch bei Merkel und die „Pressebegegnung“ eine der wenigen, eigentlich sogar die einzige Möglichkeit, „ihn“ mal live zu erleben. „Ihn“, der seit Mittwochabend in der Stadt weilt, aber wie ein Phantom verschwunden ist in der Sicherheitsblase, die ihn umgibt. Gibt es ihn überhaupt wirklich? Er logiert im „Adlon“, aber selbst da kommt man nicht mehr so ohne weiteres hin.

Obama und Merkel – eigentlich ein schönes Paar

Langes Warten im Kanzleramt. „Also, es geht jetzt offensichtlich bald los!“, ruft ein Helfer, aber dann geht es noch lange nicht los. Unten vor der Tür steht die gepanzerte Limousine des US-Präsidenten mehr Panzer als Limousine, ein schwarzer Klotz auf vier Rädern. Polizisten und Journalisten lassen sich davor ablichten, ich und Obamas Auto, ein Foto für die Lieben daheim, die Chance kommt so schnell nicht wieder.

Dann endlich geht es oben wirklich los. Sie kommen. Eigentlich ein schönes Paar: Merkel im weinroten Samt-Blazer. Ihre bonbonfarbenen Exemplare, mit denen sie in modebewussten Kreisen für hochgezogene Augenbrauen sorgt, hat sie heute glücklicherweise im Schrank gelassen. Er in staatstragendem Dunkelblau. Ein fleißiger Helfer aus der US-Delegation, man kann so jemanden wohl „Mundschenk“ nennen, hat zuvor noch schnell eigens mitgebrachtes Wasser in das bereitgestellte Glas des Präsidenten gefüllt. Dem Getränkeangebot aus dem Kanzleramt traut man wohl nicht, deutsch-amerikanische Freundschaft hin oder her.

Immer noch der freche, große Junge

Gut sieht er aus, der Obama, auch aus wenigen Metern Entfernung: immer noch der freche, große Junge mit dem umwerfenden Grinsen, auch wenn das schwarze Kraushaar inzwischen zum grauen Flaum mutiert ist. Er eröffnet gleich mit einem Joke: Er werde wieder kommen nach Germany und dann endlich aufs Oktoberfest, dazu habe es ja in seiner Amtszeit nicht gereicht. Merkel dagegen typisch Merkel, dienstlich und immer schwer an der Sache orientiert: Islamismus und weltweiter Terror, Klimaschutz, große Herausforderungen, bilaterale Beziehungen.

Amerikanische Lässigkeit trifft auf mecklenburgische Schwerblütigkeit und das ist in diesen Zeiten, wo die halbe Welt Angst hat vor einem Halb-Irren, der demnächst mit dem US-amerikanischen Atomkoffer durch die Gegend fährt, gar nicht mal so eine schlechte Kombination. Wehmut liegt über der ganzen Szenerie. Das letzte mal Obama, der Präsident, der in Deutschland vielleicht beliebter war, als er es jemals in Amerika gewesen ist. NSA-Affäre, „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“, Drohnen-Angriffe, das Desaster im Nahen Osten, für das Obama sich nur halb-verantwortlich fühlte, obwohl die USA es mit ihren Kriegen im Irak und in Afghanistan doch maßgeblich mit angerichtet haben und übrigens auch: die Massen-Abschiebungen von illegalen Migranten unter seiner Präsidentschaft – alles vergessen, alles verziehen. Alles immer noch besser als Donald Trump, der als Gegenbild auf seltsame Weise die ganze Zeit mit anwesend ist im Saal.

Merkel spröde wie nur Merkel sein kann

Obama schwärmt von „Angela“, „meine engste Verbündete“. „She’s tough“ – sie ist stark, lobt er. Sie, und so spröde kann wirklich nur Merkel sein, auf die gefühlige Frage, ob ihr der Abschied schwerfalle: „Na klar. Wenn man mit jemandem gut zusammengearbeitet hat, dann fällt der Abschied auch schwer. Aber wir sind alle auch Politiker und Demokratie lebt vom Wechsel. Acht Jahre und dann kommt ein neuer Präsident.“ Obama grinst, macht eine hilflose Geste: „Tja, kann ich auch nicht ändern, das mit den acht Jahren“, soll das heißen – alle lachen.

Und dann nochmal richtig große Obama-Pathos-Show: Nur vier Sätze und es steigen einem die Tränen in die Augen. Ja, es gibt Meinungsverschiedenheiten, sagt er, auch zwischen Deutschland und Amerika, aber: „Unsere gemeinsame Stimme erhebt sich, wenn es um die Rechte von politischen Dissidenten geht, unsere Stimme ist zu hören, wenn ein Kind in Afrika nicht genug Wasser zum Trinken hat, unsere Stimme ist zu hören, wenn es darum geht, die Welt vom Krieg abzuhalten.“

Vielleicht ist er einfach nur kein schlechter Mensch

Charming Boy und Sachbearbeiterin, was für ein Paar! Es wird dieses Paar nicht mehr geben. Demnächst, wenn Donald Trump kommt, heißt es: Bad Guy (Trump) und grand old Kanzlerin (Merkel).

Dann Hand-Shakes, freches-Jungen-Grinsen, weg ist er. Obama wird fehlen. Vielleicht war er gar nicht mal ein wahnsinnig guter Präsident. Aber vermutlich ist er schlichtweg: kein schlechter Mensch. Keiner, vor dem man Angst haben muss. Und das ist in den heutigen Zeiten schon sehr viel Wert.

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