Österreichs Bundeskanzler Christian Kern und sein Vize Reinhold Mitterlehner (ÖVP) traten am Montag vor die Kameras, als hätte es die jüngsten Querelen nicht gegeben. G-e-m-e-i-n-s-a-m, so lautete Kerns Wort der Stunde, als der Sozialdemokrat das neue Arbeitsprogramm der Großen Koalition vorstellte, um das SPÖ und ÖVP fünf Tage gerungen hatten.

Von einer „gemeinsamen Linie der Bundesregierung“ sprach Kern also, um dann auf das „gemeinsame Regierungsprogramm“ hinzuweisen, das auf Druck des Kanzlers erarbeitet wurde. So viel Einigkeit zwischen SPÖ und ÖVP war zuletzt selten, zumal auch ÖVP-Chef Mitterlehner die „gemeinsamen Schnittmengen“ betonte.

Wiener Luft

Dabei hatte es in den Tagen des Pokers immer wieder so ausgesehen, als könne das Bündnis von Sozialdemokraten und Konservativen mit einem großen Knall platzen: Kern hatte der ÖVP vorgeworfen, auf detailreiche Vorschläge der SPÖ lediglich mit „Überschriften als Antworten“ zu reagieren und ein Ultimatum gestellt. Mitterlehner wiederum hatte dem Regierungschef attestiert, „die Inszenierung über die Arbeit“ zu stellen. Von Familienministern Sophie Karmasin (ÖVP) war gar zu hören, dass eine vorgezogene Neuwahl „ein bisschen in der Luft“ liege.

Aber jetzt soll Schluss sein mit dem Koalitionsärger: „Für Österreich“ steht über dem am Montag von beiden Parteivorständen abgesegneten Arbeitsprogramm, mit dem die Regierung das Land voranbringen will, das wirtschaftlich schwächelt und unter einer vergleichsweisen hohen Arbeitslosigkeit leidet. Man werde den Bürgern in den nächsten Monaten bis zur geplanten Parlamentswahl im kommenden Jahr beweisen, dass man die vereinbarten Projekte „geschlossen und gemeinsam“ abarbeite.

Die Regierungspartner einigten sich unter anderem auf Maßnahmen in den Bereichen Beschäftigung, Bildung, Sicherheit und Integration.

  • So sollen etwa Unternehmen künftig für jeden zusätzlich geschaffenen Arbeitsplatz drei Jahre lang 50 Prozent der Lohnnebenkosten erstattet werden.
  • Die ÖVP setzte sich beim Thema Integration mit ihrer Forderung durch, die Vollverschleierung im öffentlichen Raum zu verbieten.
  • Für Asylbewerber soll es künftig ein verpflichtendes Integrationsjahr geben, das unter anderem „Arbeitstraining im Sinne einer gemeinnützigen Tätigkeit bei Zivildienstträgern“ vorsieht.
  • In der Sicherheitspolitik setzt die Koalition etwa auf den Ausbau der Videoüberwachung sowie den Einsatz der Fußfessel für sogenannte Gefährder.

Die umfangreichen Pläne im Bereich der Sicherheits- und Integrationspolitik werden allgemein auch als Reaktion der Regierung auf die anhaltend hohen Sympathiewerte für die rechtspopulistische FPÖ gewertet. In Umfragen liegt die Partei, die immer wieder gezielt Stimmung gegen Ausländer macht, seit Monaten auf dem ersten Platz. Sie hätte demnach derzeit gute Chancen, den nächsten Kanzler zu stellen.

Dagegen kämpfen die beiden Volksparteien und die Große Koalition gegen stetig schwindendes Vertrauen der Bürger. Bei der Parlamentswahl vor rund drei Jahren hatte es für die einst erfolgsverwöhnten Sozialdemokraten und Konservativen eben gerade noch für eine Mehrheit gereicht. Viele Österreicher sehen in der Großen Koalition, die mit kurzen Unterbrechungen seit Jahrzehnten das Land regiert, die Ursache dafür, dass Österreich im EU-Vergleich wirtschaftlich zurückgefallen ist.

„Harakiri mit besonders langem Anlauf“

SPÖ und ÖVP sitzen in einer strategischen Falle: Es gibt für beide Seiten keinen überzeugenden Ausweg aus dem ungeliebten Bündnis. Die SPÖ könnte im Fall von Neuwahlen zwar darauf hoffen, dass sie mit Kern an der Spitze die FPÖ doch noch überflügeln könnte – Kern kam erst im vergangenen Jahr ins Amt und genießt viele Sympathien. Eine Bundesregierung mit der FPÖ als Juniorpartner würde die Sozialdemokraten aber vor eine Zerreißprobe stellen. Zudem gilt nach wie vor ein Parteitagsbeschluss, wonach ein solche Koalition strikt abgelehnt wird.

Auch für die ÖVP wären Neuwahlen äußerst riskant: Die Partei liegt in Umfragen weit hinter FPÖ und SPÖ – in einem möglichen Bündnis mit der FPÖ bliebe ihr deshalb wohl nur die Rolle des kleinen Regierungspartners. Ein solcher Schritt wäre für die Konservativen „Harakiri mit besonders langem Anlauf“, analysierte zuletzt der Politologe Peter Filzmaier im ORF.

Die ersten Reaktionen auf das neue Programm der Regierung fielen am Montag verhalten aus. Es stelle zweifellos einen Fortschritt dar, „die großen Reformbaustellen“ seien aber ausgespart worden, kommentierte „Die Presse“. Ähnlich distanziert ordnete der „Standard“ den neuen Plan der Regierung ein: Zwar zeige die Koalition „nach Jahren des Stillstands“ den Willen zur Arbeit. Es sei aber nicht garantiert, „dass all das hält“.

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