Ein dunkelgrauer Hyundai Sonata, von Kugeln durchsiebt, die
Fenster zersplittert, das Innere verwüstet. Eine Frau saß mit ihren zwei
Kindern in dem Wagen, als er frontal beschossen wurde. Wann das war, wisse er
nicht, sagt Oleksij Tschernyschow, der ukrainische Minister für regionale
Entwicklung, der zugleich Sonderbeauftragter seines Landes für den Beitritt zur
Europäischen Union ist. Nur, dass es viele hundert solcher Autos gab.
Olaf Scholz steht vor dem Fahrzeug, er presst die Lippen
aufeinander. „Herr Bundeskanzler, wie fühlen Sie sich, wenn Sie so etwas
sehen?“, fragt eine Reporterin. Scholz schweigt, drückt die Lippen nur ein
bisschen stärker zusammen.
Er wolle nicht in die Ukraine fahren, um da Fotos oder
Selfies zu produzieren, hatte Scholz gesagt, als er bedrängt wurde, warum er
nicht auch, wie so viele vor ihm in die Ukraine fahre. Nun steht er hier, in
Irpin, umringt von einer Phalanx aus Sicherheitsleuten und einer Traube von
Kamerateams und Journalisten, die auf Bilder lauern, auf Sätze.
Hier in Irpin
hatte der Krieg begonnen. Hier verlief die Front, hier wurde geschossen, getötet. Der Name Irpin ist, wie Butscha, ein Begriff für das geworden, was
Menschen Menschen antun können. Der Vorort, knapp 30 Kilometer von der ukrainischen
Hauptstadt Kiew entfernt, wurde wochenlang von den Russen bombardiert, selbst
auf die flüchtenden Menschen sollen die Angreifer noch geschossen haben. Nach
dem Abzug warf der Bürgermeister von Irpin den Invasoren Vergewaltigungen und
Hinrichtungen vor. Ein Team des Internationalen Strafgerichtshofs ermittelt.
Scholz im Dauerfeuer des Zu-langsam-zu-wenig
Olaf Scholz geht zwischen den verbrannten Ruinen umher,
zusammen mit Mario Draghi, dem italienischen Premier und dem französischen
Präsidenten Emmanuel Macron. Die Häuser sehen aus wie Puppenhäuser aus einem
Horrorfilm. Bei vielen fehlt die Fassade, in den Zimmern kann man noch die
Einrichtung erahnen, die Wohnungen, in denen Menschen gelebt haben, bevor der
Krieg nach Kiew kam. Scholz spricht wenig, er fragt nach, manchmal bleibt er minutenlang
vor einer Fassade stehen und schaut auf die verkohlten Steine und
zersplitterten Fenster.
In der Ukraine erlebt Scholz zum ersten Mal direkt, was
Krieg heißt, der Krieg, der ihm eine Hundertachziggrad-Wende aufgezwungen hat,
der seine Pläne für eine Fortschritts-Ampel über den Haufen geworfen und ihm
stattdessen fortwährende Kritik, des Zu-langsam-zu-wenig eingebracht hat.
Normalität und Krieg liegen hier nah beieinander. Mitten in
Kiew, vor dem Michaelskloster steht ausgebranntes, zerschossenes Kriegsgerät.
Dazwischen flanieren Touristen, berühren Kanonenrohre mit einer Mischung aus
Faszination und Unglauben. Diese Rohre haben noch vor wenigen Wochen auf Irpin,
Butscha und andere Vororte von Kiew gefeuert. Immer wieder sieht man rostige
Eisenkreuze am Straßenrand stehen, mit denen sich Straßensperren bauen lassen,
und Wälle aus Sandsäcken, dazwischen gehen Einwohner zur Arbeit, Kinder zur
Schule und Hungrige zu einem der Restaurants oder Cafés.
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