Olaf Scholz und Emmanuel Macron: Längst nicht die Europäer, für die sie...

Olaf Scholz und Emmanuel Macron: Längst nicht die Europäer, für die sie sich halten

Der Motor Europas, sein Herzstück, die unverzichtbaren
Partner, die Treiber der Vertiefung: Man könnte lange darüber streiten, ob die
zahlreichen Girlanden, mit denen Deutsche und Franzosen sowohl ihre
Freundschaft als auch ihr gemeinsames Wirken zu Glanz und Gloria der EU gern
und oft verzieren, Ausdruck globaler Anerkennung oder doch eher eitle
Selbstbeweihräucherung sind. Denn dem Eigenbild der Deutschen und Franzosen als
unermüdliche Gestalter der Europäischen Union steht das Fremdbild der anderen
von den rücksichtslosen Bestimmern gegenüber. Doch dieser Streit erübrigt sich
gerade, da ihn ein anderer überlagert: der zwischen den unverzichtbaren
Partnern selbst.

Skurrilerweise wiederholt sich dabei das Gestalter-Bestimmer-Muster
im Herzstück Europas selbst: Wo die Deutschen sich unermüdlich am Werk sehen, erkennen die
Franzosen nur rücksichtslosen Eigensinn. Der Besuch von Olaf Scholz bei
Emmanuel Macron hat daran wenig geändert. Und die demonstrativ gute Laune, das
lange Händeschütteln mit anschließendem Winke-Winke in die Kameras, auch
nicht.

Lang war die Liste der Probleme und Beschwerden, über die
sich der deutsche Kanzler und der französische Präsident bei ihrem Treffen in
Paris beugen mussten: ein europäischer Gaspreisdeckel,
diverse Rüstungsprojekte, ein vertagter Ministerrat, eine gecancelte Pipeline
und ein doppelter Wumms standen da unter anderem drauf. Von einer „Eiszeit“ in
den Beziehungen sprachen die französischen Medien im Vorfeld, von „Scheidung“,
vom „Solotänzer Deutschland“, von einer „Germany First“-Mentalität in Berlin.
Ein anonymer Wirtschaftsboss regte sich gegenüber der Zeitung Figaro so über die teutonischen Nachbarn
auf, dass er sich zu einer These verstieg, deren Steilheit einem gepflegten Börsencrash
in nichts nachsteht: „Sie wollen uns vernichten.“

Woher kommt all dieser
linksrheinische Furor?

Alles begann mit der Rüstung

Geht man die Beschwerdeliste
halbwegs chronologisch durch, so begann alles mit der Rüstung. Die Deutschen
suchten schon längere Zeit ein Nachfolgemodell für den altersschwach
gewordenen Tornado, als sie im März dieses Jahres den amerikanischen
F-35-Kampfjet fanden – und somit die nukleare Teilhabe sicherten. Später im
Jahr startete Berlin die European Sky Shield Initiative, einen
Raketenschutzschirm, an dem sich 14 europäische Partner beteiligen, und kaufte
das entsprechende System in Israel ein. Das französische Flugabwehrsystem Mamba
wurde dabei sehr bewusst übersehen. In Macrons Augen hat die Ampelregierung mit
ihren Einkäufen in den USA und in Israel seinen Kurs einer größeren strategischen Autonomie Europas bewusst konterkariert. Und da es bei dem
Großprojekt F-CAS, der gemeinsamen Entwicklung eines „Kampfjets der Zukunft“,
eher im Schnecken- als im Überschalltempo vorangeht, sind die Franzosen schwer ennuyé,
genervt.

Zum Rüstungsfrust gesellte sich die
Energiewut. Die Franzosen streiten in der EU für einen europäischen
Gaspreisdeckel – und die Deutschen fürchten, die Exportländer würden dann ihr
Gas andernorts verkaufen und sind dagegen. Im Doppelwumms des Kanzlers – seinem
200-Milliarden-Paket zur Abfederung der hohen Energiepreise – sieht Macron ein
schlecht verstecktes Förderprogramm der deutschen Wirtschaft auf Kosten anderer
europäischer Unternehmen. Und Scholz in dieser Kritik einen guten Schuss
Heuchelei, da Paris die französische Wirtschaft ähnlich unterstützt, nur mit
weniger Wumms.

Bleiben noch die Atomkraft und die Pipeline. Bei Erstem
betrachten die Franzosen ziemlich fassungslos, dass die Deutschen mitten in der
größten Energiekrise seit den frühen Siebzigerjahren ihre Ressourcen zurückfahren, anstatt sie zu steigern. Und beim Zweiten sind die Deutschen stinksauer, dass
die Franzosen das Midcat-Projekt nun abgesagt haben, das sie mit Flüssigerdgas von
den Terminals in Portugal und Spanien versorgt hätte.

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