Ein Gespenst geht um in Mittel- und Südosteuropa – das des wachsenden russischen Einflusses in der Region. Ob Putsch- und separatistische Szenarien, der Druck für ein Ende der antirussischen EU-Sanktionen oder prorussische Kandidaten in Wahlen – hinter vielen Ereignissen und Diskussionen in Mittel- und Südosteuropa steckt vermeintlich Putins langer Arm.

In Bulgarien und in der Republik Moldau gewannen am Sonntag mit Rumen Radew und Igor Dodon zwei Kandidaten die Präsidentschaftswahlen, die als ausgesprochen prorussisch gelten. In Montenegro soll Russland vor Kurzem einen – letztlich vereitelten – Staatsstreich organisiert haben. Serbien hielt jüngst gemeinsame Militärmanöver mit der russischen Armee ab. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, sein slowakischer Amtskollege Robert Fico und der tschechische Staatspräsident Milos Zeman fordern immer nachdrücklicher ein Ende der Sanktionen gegen Russland. Und Mazedoniens autoritärer Langzeitherrscher Nikola Gruevski appelliert immer wieder an Putin als Schutzpatron.

Russland, so sieht es vordergründig aus, kehrt als immer stärkerer Einflussfaktor in die einstigen sowjetischen „Bruderstaaten“ Osteuropas zurück. Doch Experten aus der Region, die selbst alles andere als prorussisch eingestellt sind, warnen vor einer allzu simplen Betrachtungsweise. „In Bulgarien wird der prorussische Teufel künstlich an die Wand gemalt“, sagt die Politologin Antoinette Primatarova vom Zentrum für liberale Strategien in Sofia. Die serbische Politologin Jelena Milic vom Zentrum für euroatlantische Studien warnt: „Die antidemokratischen Machthaber der Region erpressen den Westen mit dem russischen Bedrohungsszenario.“

Grauzone zwischen Russland und dem Westen

Tatsächlich ist die allgemeine Gemengelage ebenso unübersichtlich wie jeder der Einzelfälle. Bulgariens neu gewählter Staatspräsident, der parteilose, von den oppositionellen Sozialisten aufgestellte und politisch wenig erfahrene Luftwaffengeneral a.D. Rumen Radev, punktete im Wahlkampf mit gemäßigt nationalistisch-populistischen Parolen gegen Flüchtlinge und für mehr nationale Souveränität Bulgariens.

Außerdem fiel er mit Bemerkungen auf wie der, dass die antirussischen EU-Sanktionen Bulgarien schadeten oder es nun einmal Realität sei, dass auf der Krim die russische Fahne wehe. Daraus konstruierte die konservative Regierungspartei GERB unter dem Ministerpräsidenten Bojko Borissov ein prorussisches Bedrohungsszenario für Bulgarien und warf Radev und den Sozialisten vor, sie wollten die EU- und Nato-Mitgliedschaft des Landes aufkündigen – wobei der Populist Borissov selbst ein Gegner der EU-Sanktionen gegen Russland ist.

„Die Bulgaren hegen traditionell Sympathien für Russland, aber Bulgariens euroatlantische Orientierung steht keineswegs infrage, zumal der Präsident wenig exekutive Befugnisse hat“, sagt die Politologin Antoinette Primatarova. „Die wirkliche Gefahr ist, dass diese Wahl eine Protestwahl war und die Bulgaren gegen das Establishment aufbegehren. Unsere repräsentative Demokratie erlebt schwere Zeiten.“

Ähnliches gilt für die ehemalige Sowjetrepublik Moldau: Dort haben die Machthaber in den vergangenen Jahren mit einer „Allianz für europäische Integration“ ein zutiefst korruptes Regime errichtet. Im Hintergrund steht der Oligarch Vlad Plahotniuc, ein schwerreicher Geschäftsmann und Medienmogul, der einer der Drahtzieher des sogenannten Milliardenraubs sein soll. Dabei verschwanden von 2012 bis 2014 mehr als eine Milliarde Euro aus moldauischen Banken – Verbleib ungeklärt.

Igor Dodon, der Chef der Sozialistischen Partei und Sieger der Präsidentschaftswahlen, versprach, mit Korruption aufzuräumen und das Land wieder mehr Russland anzunähern. Für ihn stimmten viele ältere Menschen, die sich noch an Zeiten erinnern, als die Republik der gemütliche „Obstgarten der Sowjetunion“ war. In Wirklichkeit gilt Dodon als heimlicher Verbündeter des Oligarchen Plahotniuc. „Wir leben in allumfassender Korruption, in einer Grauzone zwischen Russland und dem Westen, die Idee der EU-Integration ist diskreditiert“, sagt der Publizist und Blogger Alex Cozer. „Wenn es Putins Ziel war, dass das so bleibt, dann hat er die Wahl gewonnen, und zwar ohne einen einzigen Finger dafür zu rühren.“

Macht die EU zu viele Kompromisse?

Auch die meisten Länder des Westbalkans leben in einer derartige Grauzone – durchaus bequem für ihre Machthaber. In Montenegro beispielsweise regiert seit mehr als zwei Jahrzehnten der Ex-Kommunist Milo Djukanovic, zusammen mit einem Clan aus Familienmitgliedern und engen Freunden. Obwohl das Land kaum demokratische und rechtsstaatliche Standards erfüllt, erhielt es Ende 2015 die Einladung, der Nato beizutreten und führt erfolgreiche EU-Beitrittsverhandlungen – eine Belohnung für seine Rolle als Stabilitätsfaktor und prowestlicher Verbündeter in der Region.

Mitte Oktober fanden in Montenegro Parlamentswahlen statt – ausgerechnet am Wahltag wurden angebliche prorussische Verschwörer verhaftet, die ein Attentat auf Djukanovic geplant haben sollen. Plausibel geklärt ist seither nichts.

Auch in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina spielen die Machthaber ein ähnliches prorussisch-proeuropäisches Spiel mit Gewinn. Serbiens Regierungschef Aleksandar Vucic etwa, früher ein Ultranationalist und Kriegshetzer, hat das Kunststück fertiggebracht, gleichzeitig als gemäßigter serbischer Nationalist, überzeugter Proeuropäer, Freund Russlands, Friedenstifter in Bosnien und Kooperationspartner im Kosovo-Konflikt aufzutreten – und ist in Brüssel derzeit politischer Lieblingsverbündeter des Westbalkans.

„Es ist ein Spiel, in dem Geopolitik gegen demokratische und rechtsstaatliche Werte steht“, sagt Jelena Milic. „Leider macht die EU zu viele Kompromisse und legitimiert die antidemokratischen Prozesse in der Region.“

Und das, fügt die Politologin hinzu, arbeite Putin in die Hände.

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