Es dämmert schon am Abend des 9. September, als drei motorisierte Schlauchboote in die Danziger Bucht hinausjagen, in der Hafeneinfahrt wirft das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ Anker.
Die Aktivisten reagieren nicht auf die Warnungen des polnischen Grenzschutzes. Ihre Mission: einen Frachter aus Mosambik aufhalten. „Stoppt die Kohle“ sprühen sie auf die schwarze Bordwand, bevor sie festgenommen werden. Denn das Schiff aus Afrika transportiert den schwarzen Brennstoff.
Greenpeace-Aktion im Hafen von Danzig
Es gehört zu den absurdesten Auswüchsen der internationalen Energiewirtschaft, dass ausgerechnet Polen, das so stolz ist auf seine Schwerindustrie in Schlesien, Kohle importieren muss, und dann auch noch aus Mosambik.
Das Land hinkt hinterher beim Klimaschutz, und mit ihm die anderen Staaten der Region: die Slowakei, Ungarn, Tschechien, Rumänien und Bulgarien rangieren im Energiewende-Ranking für EU-Länder auf miesen Plätzen. Polen gar bestreitet einen miserablen 70. Rang, hinter Kenia und El Salvador. Zum Vergleich: Die Bundesrepublik liegt – auch nicht berauschend – auf Platz 17.
Alternative Energien spielen keine Rolle
All diese postkommunistischen Länder bestreiten einen überdurchschnittlichen hohen Anteil ihres Energiebedarfs, indem sie Kohle verfeuern. Alternative Energien spielen dagegen kaum eine Rolle. Und das wird sich so schnell nicht ändern: Im Frühjahr blockierten die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien einen zentralen Beschluss der EU zur Klimastrategie.
Schon sprechen Umweltschützer von einem „Kohle-Vorhang“, der sich durch Europa ziehe. Das etwas schiefe Bild meint eine unsichtbare Grenze zwischen dem alten EU-Westen und den neuen ex-kommunistischen Mitgliedsländern, dort wo einst der Eiserne Vorhang zwischen den Blöcken verlief. Hier wird Energie gespart, Windmühlen und Solarpanels werden aufgebaut, dort unentwegt fossile Brennstoffe verstromt.
Doch es wäre zu billig, diese Unterschiede einfach damit zu erklären, dass die Osteuropäer wie in der Flüchtlingspolitik auch bei der Energiefrage zurückgeblieben sind, noch nicht das zivilisatorische Niveau des Westens erreicht haben.
Kolossaler Reformstau in Polen
Die Regierungen in Warschau, Prag, Bratislava und Budapest haben ein ganzes Bündel an Gründen, die ein Umsteuern in der Klimapolitik schwierig machen:
- Das ist das Erbe aus der kommunistischen Vergangenheit,
- schlechte Bausubstanz,
- eine energieintensive Industrie,
- das historische Trauma der Abwicklung ganzer Branchen nach der Wende,
- eine Öffentlichkeit, die eher mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt ist, als es sich leisten kann, sich abstrakten Fragen wie der Klimaerwärmung zuzuwenden.
Aber natürlich gibt es auch jede Menge Versäumnisse. Das Beispiel Polen zeigt die Mechanismen auf, die so in etwa auch in den anderen Ländern greifen:
- Das Land bezieht 80 Prozent seiner Energie aus Kohle – gleichzeitig ist es wie kein anderes in Europa vom Smog betroffen.
- 33 der 50 Städte mit der schlechtesten Luft in Europa liegen in Polen, darunter das königliche Krakau.
- Mediziner schätzen, dass jedes Jahr rund 40.000 Menschen an den Folgen der Verpestung sterben.
Warum hat sich das Land in der Energiefrage seit der Wende kaum bewegt? Setzt weiter auf den schwarzen Brennstoff, obwohl die schlesische Kohle heute preislich nicht einmal mehr mit der aus Mosambik konkurrieren kann? Die nationalkonservative Regierung in Warschau sieht sich einem kolossalen Reformstau gegenüber. Nicht nur viele Fabriken arbeiten nicht energieeffizient, sondern vor allem auch Haushalte. Die alten Gebäude aus kommunistischer Zeit sind miserabel isoliert, Millionen heizen noch mit Brennöfen.
Auf rund 400 Milliarden Euro schätzt Warschau die Modernisierungskosten – Geld, das umgelegt werden müsste auf die Verbraucher. Und das ist politisch sehr heikel. Die Stromrechnung ist in Osteuropa, wo zu kommunistischen Zeiten Energie gar nichts kostete, ein Politikum.
Höhere Strompreise würden Arme und Alte treffen
Getroffen von Strompreiserhöhungen wären vor allem die Armen und die Alten, die die schlechte Bausubstanz bewohnen und geringe Einkommen haben. Es ist kein Zufall, dass Viktor Orbán in Ungarn auf den Stromrechnungen an die Haushalte ausweisen lässt, wie viel Geld der jeweilige Haushalt durch die Politik der Regierung gespart hat.
Zudem tun sich Regierungen wie die polnische schwer, der energieintensiven Schwerindustrie mit Umweltauflagen zu Leibe zu rücken, oder gar Pläne über eine komplette Abwicklung zu machen. Das Trauma der Wendezeit sitzt tief:
- Gleich nach 1989 waren es etwa die Arbeiter in Schlesien, die der Wandel hart traf.
- Hunderttausende wurden arbeitslos, als ihre unrentablen Betriebe abgewickelt wurden – dabei hatten sie doch gerade den Kommunismus mit ihren Streiks von der Macht vertrieben.
Auch heute arbeiten in Polen noch etwa 80.000 Menschen allein in der Kohleindustrie. Es ist laut Daten von Eurobarometer, dem EU-Meinungsforschungsinstitut, nicht so, dass die Osteuropäer den Klimawandel ignorieren. Nur nehmen sie ihn nicht so ernst: Während im EU-Schnitt 23 Prozent der Befragten die Erderwärmung als das größte Problem der Welt sehen, sind es in Osteuropa weniger, in Bulgarien etwa gerade mal zehn Prozent.
Die Visegrád-Länder setzen auf Atomkraft
Erst mal sollen doch die reichen Westler etwas tun, so etwa lässt sich die Haltung vieler zusammenfassen. „Selbst wenn wir die Wirtschaft schon morgen vollkommen dekarbonisiert hätten, wäre ein Effekt für das Weltklima nicht wahrnehmbar“, formuliert die Sprecherin der Warschauer Regierung, Beata Mazurek, die kollektive Verdrängungsstrategie.
Um der Kohlefalle doch noch zu entrinnen, setzen die Visegrád-Länder auf Atomkraft – ausgerechnet. Während Deutschland bis 2022 ausgestiegen sein will, bauen Tschechien, die Slowakei und Ungarn ihre Nuklearkraftwerke sogar noch aus. Kernenergie ist gedacht als Übergang, bis der Einstieg in erneuerbare Energien leichter als heute möglich ist.
Polen hat schon in den Achtzigerjahren mit der Atomenergie geliebäugelt. Beim Dorf Zarnowiec an der Ostseeküste vermoosen die nicht fertiggestellten Grundmauern eines Reaktors, Ruinen eines anderen Zeitalters, sollte man meinen. Doch treibt die Regierung die Idee seit Neuestem wieder energischer voran: Ein erstes Kernkraftwerk soll 2033 ans Netz gehen.
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