Irgendwie kam es doch ganz anders, als viele zunächst geglaubt haben: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) holt Annegret Kramp-Karrenbauer in ihr Bundeskabinett (warum, lesen Sie hier). Die CDU-Bundesvorsitzende soll Bundesverteidigungsministerin werden und auf Ursula von der Leyen folgen, die am Dienstag vom Europäischen Parlament zur neuen Kommissionspräsidentin gewählt wurde. Der Bundestag wird am Mittwoch kommender Woche zu einer Sondersitzung für ihre Vereidigung zusammenkommen.
Zunächst hatte „AKK“ einen Wechsel ins Bundeskabinett ausgeschlossen, als CDU-Chefin habe sie genug zu tun. Warum nun ausgerechnet und zusätzlich auf den „Schleudersitz“? „Sie braucht eine neue Erzählung“ meint Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann zum stern. Ein Gespräch.
AKK als Verteidigungsministerin: „Sie braucht eine neue Erzählung“, meint Ulrich von Alemann
Herr von Alemann, für viele war die Personalie eine Überraschung. Auch, weil eigentlich vieles gegen Kramp-Karrenbauer sprach: Nach Parteienarithmetik der CDU hätte es ein Niedersachse werden müssen, das Aufrücken eines bereits vereidigten Ministers wäre wohl einfacher und günstiger gewesen – und zuletzt sprach sich auch „AKK“ gegen einen Kabinettsposten aus. Was spricht also für sie und könnte letztlich der ausschlaggebende Punkt für ihre Nominierung gewesen sein?
Ich war höchst überrascht, als ich von ihrer Nominierung gehört habe und musste nachdenken, was die Gründe dafür sein könnten. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Kramp-Karrenbauer – und im übrigen auch Kanzlerin Merkel, die beiden dürften die Entscheidung gemeinsam getroffen haben – festgestellt haben: Kramp-Karrenbauer hat allein als Parteivorsitzende keinen guten Lauf. Sie braucht eine neue Erzählung, wie man heute sagt.
Und wie könnte diese Erzählung lauten?
Kramp-Karrenbauer ist Krisenmanagerin die es auch schafft, ein so schwieriges Ministerium wie das der Verteidigung in Angriff zu nehmen. Sie will und könnte dadurch ihre Krisenfestigkeit unter Beweis stellen und ihre Vernetzung auf internationale Bühne vorantreiben. Und deshalb geht sie diese Aufgabe jetzt an. Das ist zumindest meine Erklärung. Es gibt noch eine weitere, die ist aber weniger stark: Vielleicht wollte man auch den viel diskutierten und scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des Gesundheitsministers Jens Spahn, der auch für das Amt im Gespräch war, ein wenig bremsen. Das wäre allerdings eher ein Hilfsgrund. Ich glaube, dass Merkel über die Zukunft des Kanzleramtes nachgedacht hat und Kramp-Karrenbauer den Weg dafür weiter ebnen wollte.
Kurzbio Ulrich von AlemannKritiker halten Kramp-Karrenbauer vor, dass sie nicht genügend Erfahrung für das Amt mitbringe – etwa, weil sie abseits des Innenministeriums im Saarland bisher kaum Berührungspunkte mit der Bundeswehr hatte. Ein nachvollziehbarer Punkt?
Der Punkt ist nachvollziehbar, allerdings: Minister sind Generalisten. Sie werden häufig in die Verantwortung eines Ministers gebracht, ohne Fachmann oder Fachfrau für etwas zu sein. Auch die Vorgängerin von Kramp-Karrenbauer, Ursula von der Leyen, hatte vor ihrer Zeit als Verteidigungsministerin wenig damit am Hut. Der Einwand gegen Kramp-Karrenbauer ist daher ein denkbares, aber kein durchschlagendes Argument. Zumal: Eine Frau, die Ambitionen auf das Kanzleramt hat, sollte auch dazu in der Lage sein, das Verteidigungsministerium zu führen.
Das gilt auch für die Politik: Manager müssen gute Generalisten sein
In der Tat ist es nicht ungewöhnlich, dass Minister zwischen den Ministerien wechseln. Ursula von der Leyen war zuvor Familien- und Arbeitsministerin, bevor sie in das Verteidigungsressort wechselte. Das wirft aber die Frage auf: Wie wichtig ist überhaupt die fachliche Qualifikation für einen Ministerposten?
Die fachliche Qualifikation ist sicher wichtig. Aber jeder Berufspolitiker und Bundestagsabgeordneter gewinnt im Laufe seiner Jahre ein breites politisches Backgroundwissen. Er ist etwa bei Haushaltsverhandlungen für den Bundesetat dabei, bei denen es um alle Ministerien geht. Im eigenen Wahlkreis wird ein Politiker auf alles angesprochen – auf Renten, die Sanierung eines Fußballplatzes, die Außenpolitik. Politiker sind Allrounder, wenn sie eine gewisse Erfahrung haben. Sie sind Top-Manager und durchaus in der Lage, sich mit ihren Führungsfähigkeiten in vermeintlich fremde Materien einzuarbeiten. Allein: Der Chef des Waschmittelkonzerns Henkel ist auch plötzlich zum Sportartikelproduzenten Adidas gewechselt. Da hätte man auch fragen können: Kennt der sich überhaupt mit Sportschuhen aus? In der Wirtschaft sind Managerwechsel auf hohem Niveau nicht unüblich. Weil, das gilt auch für die Politik: Manager müssen gute Generalisten sein.
AfD-Junge Aufstand Generäle 1435Kramp-Karrenbauer werden Ambitionen auf das Kanzleramt nachgesagt. Sollte die Große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode halten, wäre ihre mögliche Kandidatur in zwei Jahren fällig. Wäre Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin damit nicht eine Übergangslösung – ausgerechnet für ein Ressort, das viele offene Baustellen hat?
Ja, das ist in der Tat eine knifflige Frage. Es gibt, meiner Meinung nach, zwei Szenarien. Beide würden auf den Zustand der Großen Koalition schließen lassen.
Das erste Szenario: Verteidigungsminister wird man nicht für drei Monate. Wenn sie sich jetzt entschließt, dieses Amt zu bekleiden, dann muss sie das mit ganzem Kopf und Herzen machen und sich in der Tat bis Ende der Legislaturperiode damit identifizieren und in die Arbeit stürzen. Das ist ein Zeichen dafür, dass man der Großen Koalition in der CDU noch Zeit gibt.
Das zweite Szenario ist eigentlich das genaue Gegenteil vom ersten: Sich auf einen solchen Schleudersitz zu begeben, ist nur eine symbolische Handlung. Kramp-Karrenbauer würde sich in diesem Szenario sagen: Ich bin bereit, ich kann auch schwere Sachen, aber ich muss nicht alle Baustellen – vom Beschaffungswesen bis zur inneren Führung – in den nächsten zwei Jahren lösen. Das wäre ein Indiz dafür; ein Hinweis, dass die Koalition den Winter nicht überleben würde. Bis dahin würde Kramp-Karrenbauer ihre Regierungsfähigkeit demonstrieren und sich dann in den Bundestagswahlkampf stürzen.
Kramp-Karrenbauer darf diese Doppelbelastung nicht scheuen
„Es gibt in der CDU viel zu tun“, sagte Kramp-Karrenbauer der „Bild“-Zeitung vor rund zwei Wochen und schloss damit, so schien es, einen Wechsel in das Kabinett aus. Als Ministerin im Verteidigungsressort – Sie sagten es schon: auch bekannt als „Schleudersitz“ – dürfte sie noch mehr zu tun bekommen. Zu viel? Sind beide Ämter miteinander vereinbar oder wäre ein Rückzug vom CDU-Vorsitz sinnvoll?
Nein, das halte ich nicht für denkbar oder für eine mögliche Option von Kramp-Karrenbauer. Sie hat ganz offensichtlich die Ambitionen, die nächste Bundeskanzlerin zu werden. Da darf sie diese Doppelbelastung von Parteivorsitz und Ministeramt nicht scheuen. Es gab häufig genug die Situation, dass ein Parteichef oder eine -chefin gleichzeitig Bundeskanzler war. Eine stärkere Belastung ist kaum denkbar. Wenn man das beides können will, dann muss man auch Parteichefin und Ministerin können.
AKK neue Verteidigungsministerin: Reaktionen aus der Politik 1205Kramp-Karrenbauer wird als Bundesministerin künftig im Bundestag sprechen können und eine größere nationale wie internationale Bühne haben. Aber welche Themen könnte oder müsste Sie als Verteidigungsministerin setzen, damit sie nach innen, in die Partei, und nach außen, bei den Wählerinnen und Wählern, punkten kann?
Es ist gut möglich, dass Kramp-Karrenbauer sich genau deshalb nicht davor scheut, Ministerin zu werden. Sie wird durch ihre neue Rolle bei sehr populären Themen, der inneren und äußeren Sicherheit, punkten können. Das war und ist für Wählerinnen und Wähler der Union schon immer ein großes und wichtiges Thema gewesen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie sich vorstellt: Wenn ich dieses Thema besetze, dann kann ich bei der eher konservativen und bürgerlichen Wählerschaft überzeugen.
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