Brexit, Katalonienkrise, Geknirsche zwischen Brüssel und den ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedern: Für die Redaktion der ZDF-Talkshow „Maybritt Illner“ ausreichend Gründe, um vergangene Woche über die Zukunft Europas zu diskutieren. Eine Sendung, die eigentlich schnell nach ihrer Ausstrahlung in Vergessenheit geraten wäre.
Bei Deutschlands östlichem Nachbarn Polen allerdings beherrscht die Illner-Sendung seit Tagen die Schlagzeilen. Verantwortlich dafür sind ein paar kurze Sätze, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dort eher beiläufig sagte und die in Deutschland keine große Aufmerksamkeit fanden.
„Ich möchte auch mal die Lanze brechen gerade für unsere osteuropäischen Länder“, erklärte von der Leyen, als es um die osteuropäischen EU-Mitglieder ging. Dabei sang sie nicht nur ein Loblied auf den Freiheits- und Reformwillen der Balten, sondern kam auch auf Polen zu sprechen.
Von der Leyen lobte „gesunden, demokratischen Widerstand“
„Dieser gesunde, demokratische Widerstand der jungen Generation, den muss man unterstützen“, so von der Leyen und erzählte dabei von einem ihrer Kinder, das zum Zeitpunkt des Wahlerfolgs der PiS im Herbst 2015 im Rahmen des Erasmus-Programms in Polen studierte und so die ersten regierungskritischen Proteste mitbekam.
„Endlich haben wir die deutschen Politiker dabei erwischt, wie sie sich in die innerpolitischen Angelegenheiten Polens einmischen“, zeterte bereits einen Tag nach der Ausstrahlung der Talkshow der polnische Außenminister Witold Waszczykowski in einem Interview.
Außenminister Witold Waszczykowski
Ryszard Czarnecki, einflussreicher EU-Parlamentarier der regierenden nationalkonservativen PiS, sprach im polnischen Radio von „Stereotypen. Von einem gewissen Widerwillen gegen Polen.“
Begleitet wurde das Gezeter der nationalkonservativen Politiker von empörten Berichten regierungstreuer Medien und der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die seit dem Regierungsantritt der PiS vor zwei Jahren zu reinen Propagandaorganen verkamen. Unbeachtet blieb hingegen, dass von der Leyen sich in der Sendung lobend über die Solidarnosc-Bewegung sowie die Reformerfolge des Landes äußerte und zu einem Dialog mit Polen sowie Ungarn aufrief.
Deutschen Attaché einbestellt, Freundschaftstreffen abgesagt
Es blieb jedoch nicht nur bei den wütenden Aussagen führender PiS-Politiker und regierungsnaher Medien. Schon am Freitag bestellte das polnische Verteidigungsministerium den deutschen Militärattaché in Polen ein, der sich am Montag für die Aussagen seiner Vorgesetzten rechtfertigen musste.
Zeitgleich versuchten die deutsche Botschaft in Polen sowie das Verteidigungsministerium in Berlin die Wogen zu glätten, in dem man die seit Jahren bestehende sehr gute Partnerschaft mit Warschau hervorhob und darauf hinwies, dass die Aussagen von der Leyens aus dem Kontext gerissen wurden.
Ein Argument, das auch der deutsche Militärattaché bei seinem halbstündigen Treffen im polnischen Verteidigungsministerium vortrug, aber ohne Erfolg: „In dieser Situation kann das Verteidigungsministerium die Erklärung nicht annehmen. Es sei „inakzeptabel“, dass der Verteidigungsminister eines Nato-Bündnispartners „die Bürger eines anderen Staates lobt und zu regierungsfeindlichen Aktionen aufruft“, erklärte Ministeriumssprecherin Anna Peziol-Wojtowicz nach dem Treffen.
Eine Erklärung, die kaum überrascht. Denn die aus dem Kontext gerissenen Aussagen von der Leyens sind vor allem für Außenminister Waszczykowski und Verteidigungsminister Antoni Macierewicz ein Glücksfall. „Beide Politiker sind in der letzten Zeit stark unter Druck geraten und versuchen nun, die zugegeben ungeschickt formulierte Passage aus von der Leyens Äußerungen aus innenpolitischen Gründen zu skandalisieren“, sagte der Politologe Adam Traczyk, Vorsitzender des polnischen Think Tanks Global Lab, dem SPIEGEL.
Laut Analyst Traczyk gilt es als sicher, dass „der glücklose Waszczykowski bei dem von Regierungschefin Beata Szydlo kürzlich angekündigten Regierungsumbau aus dem Amt scheiden wird“.
Antideutsche Hysterie ist unter PiS Regierungsprogramm
Ein Los, dass Verteidigungsminister Macierewicz erspart bleiben dürfte, dessen Ansehen trotzdem stark angekratzt ist. Ihn belasten Skandale um geplatze Rüstungsdeals, umstrittene Personalentscheidungen in Ministerium und Armee sowie Vorwürfe über dubiose Kontakte nach Russland. Für wenig Begeisterung sorgt zudem das absehbare Ende der von ihm geleiteten Untersuchungskommission zum Flugzeugabsturz von Smolensk.
Gleichzeitig setzt sich mit der jüngsten Aufregung um die Aussagen von der Leyens die antideutsche Hysterie fort, die seit unter PiS seit 2015 zur Innenpolitik Polens gehört. Wie sehr diese mittlerweile das deutsch-polnische Verhältnis belastet, zeigt der am Freitag beginnende Jahreskongress des Bundesverbands der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Potsdam. Diesem wird der polnische Botschafter in Berlin Andrzej Przylebski trotz Einladung fernbleiben. Wohl auch deshalb, weil die einzelnen Gesellschaften nach Ansicht der Botschaft die Opposition in Polen unterstützen.
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