Lissabon – Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hat zur Beilegung einer Regierungskrise Neuwahlen für den 30. Januar ausgerufen – und dabei alles getan, um die Bürger seines Landes zu beruhigen.
«In solchen Momenten gibt es immer eine demokratische Lösung, ohne Drama und Angst», sagte das Staatsoberhaupt am späten Donnerstagabend mit fester Stimme, ja in fast väterlichem Ton. Der Präsident, der in Portugal direkt vom Volk gewählt wird und relativ viel Macht hat, betonte in seiner Rede an die Nation, nach dem Scheitern des Haushaltsentwurfs der linken Minderheitsregierung von Ministerpräsident António Costa habe er keine Alternative gehabt.
Ob die Worte des 72-Jährigen wirklich Balsam auf die Seele der 10,3 Millionen Bürger des Landes sein werden, ist derweil fraglich. Nachdem der Etat vorige Woche im Parlament abgeschmettert worden war und die Neuwahl sich immer mehr als unvermeidlich abzeichnete, wuchs die Kritik an der mangelnden Kompromissbereitschaft der Politiker – und gleichzeitig auch die Angst vor der Zukunft.
Das Boulevardblatt «Correio da Manhã» sieht in der noch nicht überstandenen Pandemie, der Versorgungskrise, den steigenden Energiepreisen und nun der innenpolitischen Ungewissheit eine gefährliche Kombination, die einen «schwarzen Winter» ankündige.
Die stellvertretende Chefredakteurin der Zeitung «Jornal de Notícias», Paula Ferreira, warnte dieser Tage vor «irreparablen Folgen, insbesondere für die Bürger». Das Renommierblatt «Público» befürchtet das «Risiko der Unregierbarkeit» und zitiert den Verfassungsrechtler und Ex-Regierungsberater Jorge Reis Novais: «Keine einzige Umfrage sagt eine bedeutende Änderung der Sitzverteilung im Parlament nach den kommenden Wahlen voraus.»
Staunen und Anerkennung
Dabei war das auch im Ausland mit Erstaunen und Anerkennung verfolgte «portugiesische Wunder» vor wenigen Wochen noch in vollem Gange. Mit Unterstützung einer bunten Palette linker Parteien, die eigentlich seit jeher zerstritten waren, hatten Costas Sozialisten Portugal seit 2015 nach den schweren Jahren der Euro-Krise solide geführt. Viel Pragmatismus und Null Populismus, Ausgabendisziplin, aber auch soziale Verantwortung zeichneten die Regierung aus. Die Wirtschaft wuchs zuletzt gut, die Arbeitslosigkeit blieb gering.
Doch die Freundschaft brach plötzlich und unerwartet auseinander. Wieso ließ das Costa, der als geschickter «Taktierer» gilt, das zu? Wieso ging er praktisch mit keinem einzigen Zugeständnis auf seine Partner zu? Der marxistische Linksblock (BE), die Kommunisten (PCP) und die Grünen (PEV) hatten mit Blick auf die milliardenschweren Corona-Hilfen der EU unter anderem mehr Sozialausgaben gefordert.
BE-Chefin Catarina Martins glaubt den Grund zu kennen. Costa habe es auf ein Scheitern seines Etats ankommen lassen, weil er «von der absoluten Mehrheit besessen» sei und glaube, diese nun erreichen zu können. 2019 errang seine sozialdemokratisch orientierte PS als Wahlsieger 108 von 230 Sitzen. Acht mehr bräuchte der 60-Jährige, um sich seinen Traum zu erfüllen. Dafür spricht: Der ewige Erzrivale der PS, die konservative Sozialdemokratische Partei PSD, wird von einer internen, unschönen Schlacht um den Parteivorsitz erschüttert. Newcomer Paulo Rangel (53), der sich jüngst als Schwuler outete, will den alten Boss Rui Rio (64) stürzen.
Doch Costa könnte sich verkalkulieren, meinen einige Beobachter. Es wird befürchtet, dass sich beim Wähler Verdruss und Ärger breit machen und es viele Proteststimmen geben könnte. Davon würde in erster Linie die rechtsextreme Chega! (Es reicht!) von Parteichef Andre Ventura profitieren, die 2019 nur einen Sitz errang, sowie auch die neue Bewegung Liberale Initiative (IL) profitieren, meint etwa «Público»-Kolumnist João Miguel Tavares. Er schrieb: «Chega! und IL können schon die Champagner-Flaschen aufmachen».
© dpa-infocom, dpa:211105-99-873806/4
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