Wald, Wiesen und Weiden prägen die Region nördlich der Loire-Metropole Nantes. Im Zentrum der hügeligen Gegend liegt Notre-Dame-des-Landes – eine ländliche Gemeinde mit gut 2000 Einwohnern, umgeben von Äckern und Gemüsegärten. Derzeit gleicht das Idyll jedoch einem Aufmarschgebiet, mit Bereitstellungsräumen wie bei einem militärischen Großmanöver.

Gepanzerte Einsatzwagen, Wasserwerfer, mit Gittern bewehrte Mannschaftsbusse, Raupenschlepper und schweres Räumgerät: Die generalstabsmäßigen Vorbereitungen für den „Tag X“ rund um Notre-Dame-des-Landes sehen die Mobilisierung von bis zu 50 Schwadronen der „Gendarmerie Nationale“ vor, ergänzt von Einheiten der bewaffneten Bereitschaftspolizei CRS – mindestens 4000 Mann. Die Sicherheitskräfte planen, so die Tageszeitung „Le Monde“, eine „der heikelsten Operationen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Frankreichs Geschichte“.

Tatsächlich droht ein dramatischer Konflikt: Präsident Emmanuel Macron muss bei der Genehmigung für den Neu- oder Ausbau des Flughafen Nantes abwägen zwischen ökologischen und ökonomischen Prioritäten. „Klima oder Flughafen“, bringen Frankreichs Grüne die No-Win-Situation auf den Punkt.

Macrons Autorität steht auf dem Spiel

Bei der Debatte um das umstrittene 560-Millionen-Euro-Projekt steht eine Menge auf dem Spiel; die Frage nach der Verlagerung oder Erweiterung des Flughafens ist längst mehr als eine Standortsuche: Es geht dabei auch um die internationale Glaubwürdigkeit Macrons als umweltbewusster Visionär – und seine politische Autorität im Inneren.

In Notre-Dame-des-Landes ist die Kontroverse zum Aufstand gegen das System eskaliert: Hier wehren sich nicht nur einige Hundert friedfertige Naturschützer mit Besetzung des Terrains gegen die Zerstörung wertvoller Naturräume. Autonome Gruppen haben das Planungsgebiet zur „Zone à défendre“ (ZAD, Verteidigungszone) erklärt und rüsten zum gewaltsamen Widerstand gegen eine mögliche Evakuierung. Sie rüsten zum Showdown mit der Staatsmacht.

Fotostrecke


13 Bilder

Streit um Großflughafen: Ökologie oder Ökonomie?

Das Thema spaltet die Anwohner der Region ebenso wie die die etablierten politischen Parteien. Die verhärteten Fronten von Befürwortern und Gegnern des Airports teilen Bauernverbände, Bürgervereine und Gewerkschaften. Selbst die Regierung erscheint in der Frage uneins, Umweltminister Nicolas Hulot, erklärter Gegner des Projekts, droht gar mit dem Rücktritt.

Neubau oder Ausbau?

Ein Kompromiss scheint unmöglich, nachdem über Jahre Kommissionen, Abgeordnetenausschüsse und Lokalpolitiker um das Thema gerungen haben – ohne klare Lösung. Die jüngsten Bestrebungen von Premier Édouard Philippe blieben ohne Ergebnis, ein von ihm berufenes Experten-Trio hielt beide Optionen – Neubau oder Ausbau – für gleichermaßen vertretbar. Und nach seinem Besuch vor Ort hielt sich Philippe bedeckt: „Ich bin gekommen, um mich umzuhören.“

Im Kern geht es um die Entscheidung: Braucht Nantes, die Metropole zwischen den Großregionen Bretagne und Loire-Atlantique langfristig einen neuen Flughafen? Oder ist eine weniger kostspielige Erweiterung des bestehenden, im Stadtgebiet gelegenen und damit eine prekäre Luft- und Lärmbelastung darstellenden Airports angesichts des wachsenden Verkehrsaufkommens vertretbar?

Die ideologisch aufgeheizte Frage bestimmt den Disput, seit 1965 die Planungen für den Flughafen „Großer Westen“ begannen. Damals setzte man in Paris auf ein Expansionskonzept um acht regionale Metropolen. 1974 wurden 1200 Hektar als Entwicklungsgebiet reserviert, doch das Projekt stagnierte. Erst 2010 erhielt der Baumulti „Vinci“ den Zuschlag für die Planung, den Bau und die 50-jährige Nutzung des künftigen Flughafens.

Hollandes Nachlass

Der Beschluss befeuerte den lokalen Widerstand: Landwirte und Umweltschützer klagten gegen die Entscheidung – aber unterlagen immer wieder vor Gericht. Ein Versuch, die Räumung 2012 polizeilich durchzusetzen, misslang, nachdem sich bis zu 40.000 Flughafengegner zum Protest in der „Verteidigungszone“ einfanden.

Zwar erklärte die Justiz im Januar 2016 die Evakuierung der verbliebenen Anwohner endgültig für rechtens; im Juni sprach sich die lokale Bevölkerung bei einem Referendum mit 55 Prozent für den Flughafenneubau aus. Doch Präsident François Hollande schreckte vor der brachiale ZAD-Räumung zurück und überlies seinem Nachfolger die heikle Entscheidung.

Präsident Emmanuel Macron

REUTERS

Präsident Emmanuel Macron

Präsident Macron, der bislang – etwa bei der Reform des Arbeitsrechts – mit smart inszenierter Gesprächsbereitschaft drohende Kontroversen entschärfen konnte, steht vor einem diffizilen Dilemma: Ein Rückzug aus dem Projekt würde ihm als politische Schwäche angekreidet, die Räumung mit einem Großeinsatz der Sicherheitskräfte könnte zum wochenlangen Medienspektakel eskalieren – mit gefährlichen, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Zumal der Öffentlichkeit noch immer der Tod des Demonstranten Rémi Fraisse präsent ist, der 2014 bei der Zwangsevakuierung eines besetzten Staudammprojektes im Departement Tarn von einer Blendgranate der Polizei getroffen und tödlich verletzt wurde.

Präsident Macron und Premier Phillipe wollen bis spätestens Ende Januar die Entscheidung fällen. Doch selbst wenn die Regierung das Projekt „Großer Westen“ einstellt, bleibt der heikle Umgang mit den radikalen ZAD-Besetzern. Eine denkbare Alternative zur Zwangsräumung ist das Angebot an die verbliebenen Bauern und einige Flughafengegner, ihren Verbleib zu legalisieren.

Die militanten Umweltschützer haben sich derweil um den Bauplatz verschanzt, Nagelbretter, Wurfgeschosse und Material zum Barrikadenbau liegen bereit. Selbst für den Fall, dass der Handy-Empfang gestört werden sollte, ist vorgesorgt. Für diesen Fall liegen Sprechfunkgeräte bereit. „Egal wie Macron entscheidet“, sagt eine Umweltschützerin dem TV-Sender „France 2“ – „wir bleiben hier.“

Read more on Source