Grundsätzlich ist dieser Antrag als Hilferuf zu verstehen: Ein Bürgermeister aus dem Rheinland fühlt sich offenbar massiv bedroht und möchte deshalb die Möglichkeit haben, im Amt eine Waffe zu tragen.
Er wird diesen Wunsch nicht leichtfertig geäußert haben und ohnehin ist sein Anliegen und die damit einhergehende Angst ernst zu nehmen – nicht zuletzt nach den Angriffen auf Politiker in den letzten Jahren, zum Beispiel die Messerattacke gegen die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker oder den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Hass und Häme gegen Politiker in den sozialen Medien
Lokalpolitiker sehen sich in sozialen Medien immer häufiger Hass und Häme ausgesetzt. Gerade erst ist der Bürgermeister der niedersächsischen Gemeinde Estorf, Arnd Focke, nach rechtsextremen Drohanrufen von seinem Amt zurückgetreten. Eine Reaktion, die wie der Antrag des namentlich nicht genannten Bürgermeisters aus NRW auf ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem hinweist.
Und trotzdem kann man kaum glauben, dass ein Politiker ernsthaft glaubt, dass es eine gute Idee sein könnte, sich zu bewaffnen. Fast möchte man rufen: Wir sind hier nicht in Texas, Herr Bürgermeister! Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul weist richtigerweise darauf hin, dass das Gewaltmonopol beim Staat liege.
Angefeindet und bedroht: Bürgermeister aus dem Rheinland will sich bewaffnen 1610Tatsächlich würde die Selbstbewaffnung eines Politikers ein fatales Signal senden: „Wenn sich das Stadtoberhaupt selbst nicht mehr sicher fühlt, was empfinden dann erst die Bürger?“, bringt der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus, das ganze Dilemma auf den Punkt.
Wir leben in einer vergifteten Diskussionskultur, in der jeder Troll seine Beleidigungen und Drohungen ins Netz kotzen kann, in der sich verbale oder virtuelle Angriffe aber auch immer häufiger in realer Gewalt widerspiegeln.
Die Sorge des Bürgermeisters ist begründet, aber …
Es sind nicht nur Politiker, sondern auch „normale“ Bürger, die sich heute oft unsicher oder gar bedroht fühlen. Nach welchen Kriterien sollte also entschieden werden, wem man das Recht auf das Tragen einer Waffe zuspricht? Wo soll man die Grenze ziehen, um zu verhindern, dass wir bald alle mit einer Knarre im Halfter durch die Gegend laufen?
PAID STERN 2019 Sonderheft Hass 16.44Die Sorge des Bürgermeisters ist begründet und soll in keiner Weise bagatellisiert werden. Seine Idee, sich mit Waffe im Amt womöglich sicherer zu fühlen, ist aber leider nicht zu Ende gedacht und gleicht einer Missachtung seiner Vorbildfunktion, die eine schleichende Aufrüstung der Bevölkerung legitimieren könnte.
Wir leben in wütenden Zeiten, aber es kann nicht die Lösung sein, dass deshalb jeder für sich kämpft. Im Gegenteil.
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