Für Brüssel war es ein böses Erwachen, aber immerhin ein Erwachen – das zumindest hoffen führende EU-Politiker. Der Tenor nach dem Wahlsieg Trumps: Europa muss endlich seine internen Probleme angehen und auf der Weltbühne die Rolle spielen, die ihm angesichts seiner Größe und Wirtschaftskraft zukommt.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk beschwören in einem gemeinsamen Brief an Trump die „strategische Partnerschaft“ zwischen der EU und den USA. Es sei „heute wichtiger denn je“, die transatlantischen Beziehungen zu stärken. Juncker und Tusk laden Trump ein, so bald wie möglich an einem EU-USA-Gipfel teilzunehmen.
„Freuen tut mich das nicht“; sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) zum Wahlausgang in den USA. Er bezeichnete Trump als „Bannerträger der Sorgen und Ängste von Millionen Amerikanern“. Der Republikaner sei ein „ausgemachter Populist“, sagte Schulz im ZDF. „Aber wir haben es nicht mehr mit dem Wahlkämpfer, sondern mit dem Präsidenten Trump zu tun, und dem sollte man dann auch eine Chance geben.“ Die Beziehungen zwischen der EU und den USA seien eine „Kernkomponente der globalen Stabilität“, so Schulz. Die EU wolle diese Beziehung aufrechterhalten. „Wir hoffen, dass das gleiche für den zukünftigen US-Präsidenten gilt.“
„Wir wissen nicht, was wir von den USA weiter erwarten können“, meint Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Europa müsse in den kommenden Jahren „selbstbewusster und stärker sein und mehr Verantwortung übernehmen“. Für die politische Kultur in Europa sei der Ausgang der US-Wahl ein „neuerlicher Weckruf“. „Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen stärker aufnehmen und seriös und sachlich darauf reagieren“, so Weber. „Wir dürfen das Feld nicht den Radikalen in aller Welt überlassen. Sie dürfen nicht die Gewinner der Entwicklungen sein.“
„Die EU muss jetzt erwachsen werden und mit ihren pubertären Zickereien aufhören“, sagt Udo Bullman, Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament. Sie muss ihre Miniatur-Probleme wie etwa die Wirtschaftskrise in Griechenland endlich lösen.“ Die US-Wahl erinnere ihn an das Brexit-Referendum: „Versteckte soziale Ängste haben einem Populisten wie Trump in die Hände gespielt.“ Das habe dazu geführt, dass er „trotz vieler dummer Sprüche die Wahl gewonnen hat.“ Sollten sich die USA aus ihrer globalen Verantwortung zurückziehen – etwa in der Klimapolitik – „wäre das eine Katastrophe“, so Bullmann. Die EU müsse nun alles in ihrer Macht Stehende tun, um „epochale Fehler“ der USA in der Weltpolitik zu verhindern.
„Die globale Ordnung wird sich durch dieses Wahlergebnis dramatisch verändern“, sagt Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments. Die EU profitiere seit Jahrzehnten von der kollektiven Sicherheit, die insbesondere von den USA gewährleistet werde. Das könnte sich nun ändern – „und die EU muss in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger zusammenrücken“, so Brok. Die deutsch-französischen Vorschläge in Richtung einer Verteidigungsunion müssten zügig umgesetzt werden. „Josef Stalin war der erste Einiger Europas“, sagt Brok. „Donald Trump hat in gewisser Weise die Chance, der zweite zu werden.“ Natürlich könne man Trump nicht mit einem Massenmörder wie Stalin vergleichen. „Aber Angst kann zu Einigung führen, und in diesem Fall ist es die Angst davor, dass Amerika nicht mehr da ist.“
Von Angst spricht auch Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament. „Donald Trump hat einen Wahlkampf geführt, der auf Spaltung, Überlegenheit des weißen Mannes und Frauenfeindlichkeit gesetzt hat.“ Die „Angst vor den Konsequenzen“ dieses Wahlkampfs bleibe.
Der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer bezeichnet den Wahlausgang als „eine der bittersten Niederlagen, die die amerikanische Demokratie jemals erlitten hat“. Die Präsidentschaft Donald Trumps „verweist den Westen, wie wir ihn kennen, in das Reich der Vergangenheit“. Sollte Trump die Ankündigungen des Wahlkampfs wahrmachen, „wird dies die transatlantischen Beziehungen, die internationale Herrschaft des Rechts und die globale Stabilität untergraben“. Europa müsse nun „sehr schnell sehr viel enger zusammenrücken“, so Bütikofer. „Es geht darum, nicht zuzulassen, dass als Nebenwirkung der Trump-Präsidentschaft auch unsere europäische Zukunft unter die Räder gerät.“
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