In Paris ist es ein schlechtgehütetes Geheimnis: Marine Le Pen drängt zurück auf die politische Bühne. „Im Präsidentschaftswahlkampf haben alle gesagt: Mit Marine Le Pen wird das Chaos regieren. Heute sehen die Leute ein, dass Macron das Chaos gebracht hat“, sagt die Vorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National (RN) im Interview mit dem Pariser „Causeur“-Magazin.
Hintergrund sind die seit Monaten anhaltenden Gelbwesten-Proteste in Frankreich. Le Pen unterstützt zwar viele Forderungen des Straßenprotests, macht sich mit ihm aber nicht gemein. Stattdessen präsentiert sie der rechts-intellektuelle „Causeur“ auf seiner neuesten Ausgabe als nachdenkliche Cover-Frau mit blond gefärbten Haaren und dunklem Sakko.
Den neuen Parteinamen hat sie im vergangenen Jahr so gewählt, dass er weniger aggressiv erscheint: Sammlungsbewegung (rassemblement) statt Front – wie in Front National, wie früher. Dazu stellt sie sich für die Europawahlen den erst 23-jährigen Spitzenkandidaten Jordan Bardella zur Seite. Bardella wirkt jung, elegant und ernsthaft, aber nicht radikal.
Noch immer hat Le Pen ein großes Handicap: Viele Franzosen glauben, sie und ihren Vater Jean-Marie als politische Chaoten nur allzu gut zu kennen. Beim Vater erinnert man sich an seine Aussagen über Nazi-Gaskammern als „Detail der Geschichte“. Der Tochter hängt ihr Eintreten für den in Frankreich unbeliebten Frexit nach, also eine Abkehr von der EU.
Spätestens nach der für sie so missratenen Fernsehdebatte mit Emmanuel Macron vor dem entscheidenden Wahlgang der letzten Präsidentschaftswahlen schien ihr politisches Schicksal besiegelt. Sie wirkte damals wie ihr Vater: radikal und unberechenbar.
Doch das politische Gedächtnis der Franzosen ist offenbar löchrig: Plötzlich steht Marine Le Pen wieder richtig gut da. 38 Prozent der Franzosen sehen laut der neuesten Umfrage des IFOP-Instituts in Le Pen als führende Figur der französischen Opposition. Während sie auf einem vom Pariser Cevipof-Institut geführten Vertrauens-Barometer des Gesamtjahres 2018 acht Prozentpunkte dazugewann, verlor Macron 16 Punkte. Jüngste Umfragen im Februar sehen den RN bei den Europawahlen an erster Stelle mit 22 Prozent, gefolgt von der Macron-Partei LREM mit 20 Prozent.
„Macron hat sich als pures Produkt des Pariser Regierungsapparats entpuppt“
Michel Guiniot hat bis vor wenigen Jahren die nationalen Wahlkämpfe für Le Pen koordiniert. Er sieht, wenig überraschend, Versagen bei den etablierten Kräften als eine der Hauptursachen für den Aufschwung: „Macron hat sich als pures Produkt des Pariser Regierungsapparats entpuppt. Die alten Parteien, Konservative und Sozialisten, bleiben unter sich zerstritten. Das alles hilft uns“, behauptet er.
Dabei schien Le Pens Partei nach der Wahl Macrons im Frühjahr 2017 noch am Boden. Bei der anschließenden Parlamentswahl holte sie nur eine Handvoll Sitze und bekam deshalb keinen Fraktionsstatus. Schon eingeplante Millioneneinnahmen entfielen. Hinzu kamen Prozesse wegen des Missbrauchs von Geldern des Europaparlaments, die Abgeordnete der Partei, darunter Le Pen, zweckentfremdet hatten. Hohe Rückzahlungen waren fällig, zugleich verlor die Partei viele Mitglieder.
Die Stimmung änderte sich erst im vergangenen Herbst. Seitdem ziehen die Mitgliederzahlen des RN Monat für Monat wieder leicht an. Lokale Parteitreffen, die lange Zeit überhaupt niemand mehr interessierten, finden erneut Zulauf.
Le Pens Kurs: Europa und Protest
Der entscheidende neue Impuls aber ging vom Protest der Gelbwesten aus. Beim RN machte man nicht den Fehler, die neue soziale Bewegung platt zu vereinnahmen. Wo Le-Pen-Anhänger mitmarschierten, was häufig genug der Fall war, blieben sie meist unerkannt. Das ersparte Le Pen bisher den öffentlichen Vorwurf, die Gelbwesten zu unterwandern.
Emmanuel Macron mit Marine Le Pen
Trotzdem kann sie im anlaufenden Europa-Wahlkampf nun Macron für die Unruhe im Land verantwortlich machen. Und sie setzt auf einen europäischen Kurs. „Der Sieg unserer Verbündeten in mehreren europäischen Ländern eröffnet uns eine neue Möglichkeit: Europa von innen verändern“, erklärt sie ihre Abkehr vom Frexit in Anspielung auf die Regierungsbeteiligung rechtsextremer Parteien in Italien und Österreich.
Noch hoffen viele Gelbwesten, mit einer eigenen Partei Le Pen Konkurrenz machen zu können. Doch RN-Stratege Guiniot fürchtet das nicht: „Am Ende des Protests kehrt jeder in seine politische Heimat zurück, entweder rechts oder links.“ Le Pen aber arbeitet daran, dass es rechts außer bei ihr keine politische Heimat in Frankreich mehr gibt.
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