Zitterpartie für Renzi
Rom (dpa) – Italien stimmt über eine historische Reform der Verfassung ab. Vom Ausgang des Referendums hängt auch die Zukunft der Regierung von Ministerpräsident Matteo Renzi ab.
Fast 47 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Spätentschlossene haben dazu noch bis 23.00 Uhr Gelegenheit. Es zeichnet sich eine relativ hohe Wahlbeteiligung ab. Das Ergebnis wird in der Nacht erwartet. Mit der Reform soll der Senat verkleinert und entmachtet und damit das Regieren leichter werden.
Renzi hat seinen Rücktritt für den Fall in Aussicht gestellt, dass die Bürger der von ihm betriebenen Reform eine Abfuhr erteilen. Der Ausgang ist ungewiss. Renzi hat nicht nur die Oppositionsparteien, sondern auch einige namhafte Politiker der sozialdemokratischen Regierungspartei PD gegen sich. Scheitert die Reform, werden eine Regierungskrise und Turbulenzen an den Finanzmärkten befürchtet. Bis 19.00 Uhr hatten mehr als 53 Prozent der dazu Berechtigten gewählt.
Aus verschiedenen Landesteilen kamen Klagen, dass in den Wahlkabinen einfache Bleistifte auslagen und die Kreuze ausradiert werden könnten. Wähler machten die Probe aus Exempel, reichten Beschwerden bei den Wahlvorständen ein und erstatteten in einigen Fällen Anzeige bei den Carabinieri. Der Schauspieler Giorgio Gobbi sagte der Nachrichtenagentur Ansa, er habe zur Kontrolle einen Radiergummi in die Wahlkabine in Rom mitgenommen und sein Kreuz ausradieren können.
Das Innenministerium reagierte und teilte mit, es habe dieses Jahr 130.000 nicht ausradierbare Stifte gekauft und davon 80.000 an die Präfekturen in den italienischen Provinzen für das Referendum verteilt. Der italienische Lieferant beziehe die Stifte von einem namhaften deutschen Hersteller. Das Ministerium gestand aber ein, dass die Präfekturen auch Stifte ausgeben könnten, die sie noch aus früheren Jahren auf Lager hätten.
Renzi stimmte am Morgen demonstrativ fröhlich mit seiner Frau Agnese Landini in seinem Wahllokal in Pontasieve bei Florenz ab. Seinen Personalausweis hatte der Florentiner anscheinend vergessen. «Ich habe kein Dokument dabei, hoffe aber, erkannt zu werden», sagte er laut Medienberichten.
Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi stimmte demonstrativ mit Nein. «#IchSageNein und Ihr?», schrieb die 38-jährige Politikerin der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung anschließend auf Facebook. Die Eurokritiker um ihren Anführer Beppe Grillo, die fremdenfeindliche Lega Nord und die konservative Partei Forza Italia des früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi hatten alle gegen die Reform mobil gemacht. Sie wollen Renzi fallen sehen.
Nach den Plänen der Regierung soll bei der weitreichendsten Reform seit dem Zweiten Weltkrieg unter anderem der Senat entmachtet werden, damit Gesetzesvorhaben künftig nicht mehr so leicht blockiert werden können. Mit den ständigen Regierungskrisen in Italien soll damit dann auch Schluss sein. Gegner befürchten jedoch eine Machtkonzentration und damit einen Demokratieverlust.
In letzten Umfragen – die nur bis zu zwei Wochen vor der Abstimmung veröffentlicht werden dürfen – lagen die Gegner der Reform sieben bis zehn Prozentpunkte vorne. Viele Menschen waren zum Zeitpunkt der Befragung aber noch unentschieden.
In der EU wird befürchtet, dass ein «Nein» die populistischen und euro-kritischen Kräfte im Land stärken wird. Aber auch die Finanzmärkten schauen mit Sorge auf Italien. Es hat die drittgrößte Volkswirtschaft im Euro-Raum und ist hoch verschuldet. Zudem bekommt das Land seine Bankenkrise nicht in den Griff. Politische Instabilität könnte die Krise noch verschärfen, was dann auch weit über Italien hinaus Auswirkungen auf die Euro-Zone hätte.
Zehn Fakten über die Reform:
– Eine Verfassungsänderung wird seit 30 Jahren diskutiert.
– Die Reform wurde bereits vom Senat und der Abgeordnetenkammer abgenickt.
– Sie soll ein in Europa einzigartiges System mit zwei gleichberechtigten Parlamentskammern abschaffen («perfekter Bikameralismus»).
– 47 Paragrafen sollen geändert werden.
– Der Senat soll von 315 auf 100 Mitglieder schrumpfen und ehrenamtlich arbeiten.
– Das Volk soll die Senatoren nicht mehr direkt wählen können, nur noch die Abgeordnetenkammer.
– Die Senatoren sollen nicht mehr über alle Gesetze abstimmen können, nur noch über Verfassungs- und EU-Fragen.
– Nur die Abgeordneten sollen der Regierung das Vertrauen entziehen können.
– Die Rechte der Regionen sollen beschnitten werden und der Staat künftig über Angelegenheiten wie Tourismus, Kulturgüter und Zivilschutz entscheiden.
– Mit der Reform soll der Staat 500 Millionen Euro sparen. Kritiker sprechen von maximal 100 bis 160 Millionen.
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