Mama Italia vergisst ihre Kinder nicht. Ob sie in Brasilien oder den USA, in Deutschland oder in Australien leben. Viele von denen sprechen zwar kaum oder kein Italienisch. Viele waren auch noch nie, oder allenfalls mal im Urlaub, in dem Land, aus dem ihre Eltern oder Großeltern einst ausgewandert sind. Doch ein italienischer Vorfahr im Stammbaum reicht und die Kinder, Enkel, Urenkel sind Italiener. Für immer. Und damit natürlich wahlberechtigt.

Auch jetzt, beim Referendum über eine Verfassungsänderung am 4. Dezember, dürfen sie mitstimmen. Nach allen Prognosen könnte ihr Votum sogar darüber entscheiden, ob die Regierung über die Volksabstimmung stürzt oder gestärkt daraus hervorgeht.

Denn daheim, zwischen Bozen und Palermo, ist der Abstand zwischen dem „Si“ und dem „No“ zu Ministerpräsident Matteo Renzi und seinem Vorschlag zur Parlamentsreform denkbar knapp.

Deshalb kommt es ganz besonders auf die 4.128.497 wahlberechtigten Auslandsitaliener an. Sie stellen sieben Prozent aller Stimmberechtigten, einen Anteil wie in keinem anderen europäischen Land. Und natürlich werden diese Italo-Ausländer von den Kontrahenten heiß umworben.

Ein Druckfehler mit fatalen Folgen

Die Partei von Regierungschef Renzi hat ihnen allen einen Werbeprospekt geschickt, mit der Parole „Basta un Si“. Was meint, es reicht ein „Ja“, um Italien besser zu machen. Die Opposition macht gleichermaßen Werbung für das „No“, also das Kreuz im Nein-Kästchen. Beide haben eine Internetadresse daruntergesetzt, für alle, die noch mehr wissen wollen.

Genau dabei hat es beim Druck des Pro-Renzi-Flyers eine kleine Panne gegeben: Beim www.bastaunsi.it, wie es richtig heißen sollte, fehlt das „n“, so steht da nun www.bastausi.it. Das haben die Neinsager offenbar schneller gemerkt oder sie haben auch nur schneller geschaltet als die Renzi-Crew und sie haben sich die Internetdomäne für die ungewollte neue Wortkreation gesichert.

Die Folge ist fein für die Nein-Fraktion, in der haben sich die rechtsnationale „Lega Nord“, die Reste der Berlusconi-Partei und die Gegen-alles-Opposition der 5-Sterne-Bewegung des Ex-Kabarettisten Beppe Grillo zusammengetan.

Für die Regierung dagegen ist die Panne womöglich desaströs. Denn wer vom Renzi-Prospekt angetan ist und mehr Argumente lesen, Geld spenden oder sich sogar persönlich an der Kampagne für „Basta un Si“ beteiligen möchte, der kommt jetzt in die Fänge der Gegenseite. Er liest, warum das alles falsch ist und gefährlich und man das unbedingt verhindern muss. Und wenn er nicht merkt, dass er auf der falschen Seite gelandet ist, dann sagt sich der Renzi-Anhänger: „Ach so, ich muss das ‚No‘ ankreuzen.“

Den Renzianern ist die Sache offenbar so peinlich, dass sie nicht groß darüber reden wollen. Der Vorgang wird auf Nachfrage zwar offiziell bestätigt. Aber „was sollen wir tun?“, sagt einer, „bitte ohne Namen“, aus dem Komitee, „alle Auslandswahlberechtigte noch einmal anzuschreiben, wäre viel zu teuer, dafür fehlt das Geld“. Auch aus dem Vorhaben, auf rechtlichem Wege die n-lose Domäne zu stoppen, ist bislang nichts geworden.

„Gestohlen, verkauft oder abgepresst“

Vermutlich ist es auch klug von Renzi und Co., die Sache auf kleiner Flamme zu halten. Denn rund um die Auslandsstimmen gibt es schon genug erstaunliche Phänomene, die politische oder juristische Folgen haben könnten. Sollte Renzi dank der Fernwähler das Referendum gewinnen, wie er hofft, hat der Präsident des Nein-Komitees, der Juraprofessor Alessandro Pace, schon eine Klage annonciert. Die Stimmabgabe der Italiener im Ausland, sagt er, sei „weder frei noch geheim“.

So ganz unrecht hat er wohl nicht. Bei den vorigen Parlamentswahlen vor drei Jahren sind aus den 1361 Wahlbezirken außerhalb Italiens, laut der römischen Tageszeitung „La Repubblica“, Wahlzettel eingegangen, die in größerer Zahl von ein und derselben Hand ausgefüllt worden waren. Andere kamen vervielfacht aus dem Farbkopierer. Selbst von Verstorbenen gingen Wahlzettel ein. Auffallend war zudem der große Anteil – beinahe zehn Prozent – von Stimmen gewesen, die wegen formaler Fehler für ungültig erklärt wurden.

Die für Auslandsitaliener zuständige Abteilungsleiterin im römischen Außenministerium, Cristina Ravaglia, wird mit der Warnung zitiert, dass auch bei der jetzt anstehenden Abstimmung die Gefahr bestehe, dass Stimmen „gestohlen, verkauft oder abgepresst“ werden oder auch „in fremden Namen abgegeben“ werden.

Wahlstimmen vom Friedhof

Mitunter können längst Verstorbene sogar Wahlen entscheiden, wie beim Referendum im Jahr 1999. Da ging es darum, das Verhältnis- durch ein Mehrheitswahlrecht abzulösen. Das Referendum scheiterte wegen rund 150.000 Stimmen. Ausschlaggebend dabei waren die Voten aus dem Ausland. Von denen stammten, das stellte sich freilich erst mit gehöriger Verspätung heraus, 349.000 Stimmen von Wählern, die schon eine ganze Weile tot und begraben waren. Um Konsequenzen daraus zu ziehen, war es da rechtlich und politisch viel zu spät.


Zusammengefasst: Die Regierung von Matteo Renzi will auch Auslandsitaliener für die Verfassungsreform gewinnen. Ihre Stimmen könnten womöglich das Referendum entscheiden. Doch wurde auf einem Flyer eine Webadresse falsch geschrieben – interessierte Wähler gelangen nun auf eine Seite der No-Kampagne. Im schlimmsten Fall stolpert Renzi also über einen Rechtschreibfehler.

Read more on Source