Wenig Zeit? Am Textende gibt’s eine Zusammenfassung.


Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi ist ein überzeugter Europäer. Wenn er sich aus seinem Arbeitszimmer via Fernsehkameras ans Volk wandte, standen bisher stets zwei Fahnen im Hintergrund: Die grün-weiß-rote Flagge Italiens und der Kranz aus zwölf goldenen Sternen auf blauem Grund, das Symbol Europas.

Jetzt sollen die Sterne lieber nicht mehr im Bild sein, beschloss Renzi. Dazu mäkelt er derzeit beinahe täglich lautstark über „die in Brüssel“. Nicht weil er über Nacht zum EU-Gegner geworden wäre. Sondern weil er ein sehr großes Problem hat und Europa ein Teil davon ist.

Dabei geht es eigentlich überhaupt nicht um das kränkelnde Europa, sondern um das kranke Italien. Dort sind nicht nur die Postwege und die Telefonnetze, die Justiz und die Verwaltung – ganz vorsichtig gesagt – wenig zufriedenstellend. Auch die Politik ist eine Plage. Mitunter dauert es „bis zu 866 Tage“, so Premier Renzi, bis ein Gesetz verabschiedet wird. Die politische „Kaste“, wie man in Italien sagt, lebt gut von den unendlichen Diskussionen und Finessen.

Das Land nicht.

Deshalb will Renzi die politischen Prozeduren verschlanken, beispielsweise den Senat, die zweite Kammer, drastisch verkleinern und faktisch entmachten. Nur seinem Volk hat er es nicht richtig erklären können. Deshalb sind jetzt viele dagegen, laut den jüngsten Umfragen, sogar die meisten. Und die Zahl derer, die bei der Volksabstimmung am 4. Dezember mit „Nein“ gegen Renzis Reform votieren wollen, wächst seit Wochen – langsam, aber stetig.

„Ich lasse mich nicht grillen“

Für Renzi wird es die wichtigste Abstimmung seiner zweijährigen Amtszeit. Denn, das hat er oft genug angekündigt, gelegentlich wieder zurückgenommen und dann aufs Neue erklärt: Verliert er, wird er wohl zurücktreten. Man bleibe nur an der Macht, „wenn man etwas ändern kann“, sagte er am Wochenende in einer TV-Show. „Ich lasse mich nicht grillen“, sagt er auch und meint damit: Ohne Mehrheit würde er nur zum Spielball seiner Gegner. Die stehen ganz weit rechts, ganz weit links und eng um ihn herum in seiner eigenen Partei. Gewinnt das „Nein“, rutscht Italien erst in eine politische und dann vermutlich in eine ökonomische Krise. Das könnte auch für Europa gravierende Folgen haben.

Deshalb haben beim EU-Außenministertreffen am Sonntag in Brüssel viele besorgte Kollegen den römischen Chefdiplomaten gefragt, was denn um Himmels willen bei ihm daheim los sei. Europa habe bereits genügend Probleme:

  • vom britischen EU-Ausstieg
  • bis zur Wahl des unberechenbaren Europa-Feindes Donald Trump zum Präsidenten der Weltmacht USA
  • vom Kampf gegen den Terrorismus
  • bis zum Management der Migration
  • vom Zoff mit dem Nachbarn Türkei
  • bis zum Ärger mit EU-Mitgliedern wie Ungarn und Polen.

Eine neue Italien-Krise könne Europa auf keinen Fall gebrauchen.

Genau die jedoch zeichnet sich ab, zumindest nach Meinung vieler Analysten bei Börsen und Banken. Der „Spread“, der Zins-Aufschlag, den der italienische Fiskus zahlen muss, damit die Anleger seine Anleihen kaufen, steigt: Von 138 Punkten am 14. Oktober auf 160 am 4. November und auf 176 am Dienstag dieser Woche. Ein klares Zeichen, dass die Geldverleiher nervös werden. Zu Recht.

Denn wenn Renzi sein Referendum verliert, bricht die Zeit der Populisten an. Der ganz rechten, etwa von der Lega Nord, die dabei sind, den altersschwachen Silvio Berlusconi zu enterben. Und vor allem der mal rechts-, mal linksradikalen „Fünf-Sterne-Bewegung“ des Ex-Kabarettisten Beppe Grillo. Er und seine Anhänger sind gegen alles, vor allem gegen die EU. Und sie liegen in Umfragen nur ganz knapp hinter Renzis Regierungspartei PD.

Fällt Renzi, dann kommt nach dem Referendum eine Volksabstimmung gegen den Euro. Das wird sehr ungemütlich – besonders für Europa. Denn die einst europabegeisterten Italiener sind heute durchweg sauer: Die Preise sind gestiegen, die Kaufkraft ist gesunken, die Verschuldung des Landes ist ebenso dramatisch gewachsen wie die Zahl der Arbeitslosen, vor allem der jungen. Eine ganze Generation hat fast zur Hälfte keinen Job. Schuld ist, das glauben ganz viele, die Globalisierung und die EU. Dass nach den Briten auch die Italiener sich von Europa verabschieden, ist nicht mehr undenkbar. Die Angst vor dem „Italexit“ wächst.

Schwerster ökonomischer Schock der jüngeren Geschichte

Die Wahrscheinlichkeit, dass Renzi das Referendum gewinnt, liege gerade noch bei 35 Prozent“, behauptet der Morgan-Stanley-Ökonom Daniele Antonucci. Sein Kollege von der Deutschen Bank, Abhishek Singhania, fürchtet, dass „die politische Instabilität und die größere Wahrscheinlichkeit eines Euro-Referendums eine Kapitalflucht“ auslösen könnte, die die ökonomischen Probleme der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone weiter anheizen und das Land in eine Abwärtsspirale bringen könnte.

In der ist sie ja fast schon. Schon seit zwei Jahrzehnten wächst Italiens Wirtschaft kaum noch. Die Ratingagentur Standard & Poor’s konstatiert, Italiens Ökonomie habe sich „weitgehend abgekoppelt vom Rest der Eurozone“. Die S&P-Gutachter verpassten „Bella Italia“ die Bonitätsnote BBB-, das liegt knapp über dem Verdikt: „Schrott“.

Geht das so weiter, sind die Folgen kaum absehbar. Nicht nur für Italien, auch für Europa. Schon im Sommer warnte Wolfgang Münchau in der „Financial Times“ vor dem „schwersten ökonomischen Schock“ der jüngeren Geschichte Europas.

Der Menschenfischer tingelt durch sein Land

Noch, so scheint es, ist Renzi guter Hoffnung. Gewinnt er das Referendum am Ende doch, hätte er alle Widersacher besiegt und eine Weile Ruhe vor ihnen. Er wäre der einzige in Europa, der in diesen Tagen eine Schlacht gegen die Populisten gewonnen hat. Das würde ihn auch jenseits der Landesgrenze zu einer Führungsfigur machen.

Also tingelt er durchs Land, durch Erdbebengebiete wie durch Talkshows, verspricht kleine Steuergeschenke und große Projekte, die Arbeitsplätze verheißen. Er posiert in Klatschblättern als Familienvater und doziert im „Rolling Stone“ über Rockstars. Er ist ein „Menschenfischer“ und er weiß es: Er kann es schaffen. Aber anders als früher geht heute viel daneben.

Vielleicht zu viel.


Zusammengefasst: Das letzte, was Europa gerade brauchen kann, ist eine neue Italien-Krise. Doch genau diese braut sich zusammen. Viele Menschen im Land sind sauer auf Premier Renzi. Der lässt nun bald das Volk über seine Reformpläne abstimmen – und hat das Votum an seine politische Zukunft geknüpft. Verliert er, haben die Populisten freie Bahn. Und diese könnten die Anti-Europa-Stimmung im Land noch weiter schüren.

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