Reichelt-Affäre: Klage gegen „Bild“ wegen sexueller Belästigung

Reichelt-Affäre: Klage gegen „Bild“ wegen sexueller Belästigung

Dem Axel-Springer-Verlag droht infolge des Skandals um den geschassten Bild-Chef Julian Reichelt ein teurer Rechtsstreit in den USA. Eine ehemalige Mitarbeiterin der Bild-Zeitung, die zeitweilig eine Affäre mit Reichelt gehabt hatte und zunächst protegiert und dann fallen gelassen wurde, hat an einem kalifornischen Gericht Klage eingereicht. Die Klage, die sich gegen Bild sowie den US-amerikanischen Ableger Axel Springer Services mit Sitz in Delaware richtet, listet insgesamt elf Vorwürfe gegen Springer auf. Demnach soll sich der Verlag der sexuellen Belästigung, Vergeltungsmaßnahmen, unfairer Entlohnung sowie Beihilfe zu Belästigung schuldig gemacht haben. In der Klageschrift, die ZEIT ONLINE einsehen konnte, hat die Ex-Mitarbeiterin eine Verhandlung vor einer Jury in Los Angeles beantragt.

Für Springer birgt die Klage nicht nur erhebliche finanzielle, sondern auch unternehmerische Risiken: Erst im vergangenen Jahr hatte der Verlag das US-Medienunternehmen Politico für den geschätzten Kaufpreis von einer Milliarde Dollar übernommen. Bereits 2015 hatte Springer den Onlinedienst Business Insider für rund 300 Millionen Euro gekauft. In den USA gelten deutlich strengere Richtlinien beim Umgang zwischen Vorgesetzten und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Klage dürfte in eine hohe Schadensersatzforderung münden. In vergleichbaren Fällen haben Gerichte häufig den Frauen recht gegeben.      

In der Klage wird der Fall Reichelt detailliert aus Sicht der jungen Frau wiedergegeben. Demnach war die ehemalige Mitarbeiterin 2015 über ein Praktikum zur Bild gestoßen und hatte dort Reichelt kennengelernt. Im Herbst 2016 entwickelte sich eine sexuelle Beziehung zwischen den beiden, die Reichelt zunächst nach einigen Wochen beendet habe. Der damalige Bild-Chefredakteur habe sie geghostet und aufgefordert, alle Textbotschaften zu löschen, heißt es in der Klageschrift. Angeblich habe Reichelt gesagt, wenn man die beiden zusammen sehe, würden beide ihren Job verlieren. Reichelt bestreitet das auf Anfrage der ZEIT.

Einige Monate später, heißt es in der Klage, hätten Reichelt und sie allerdings die Affäre fortgesetzt. Gegenüber dem kalifornischen Gericht erklärt der Anwalt der ehemaligen Mitarbeiterin dies damit, seine Mandantin habe Angst vor einem Rausschmiss gehabt, wenn sie dem Drängen auf Sex nicht nachkomme. Sie habe deshalb keine Wahl gehabt. Reichelt habe sie manipuliert und für Sex benutzt. Von Sex auf Verlangen ist in der Klage die Rede („sex on demand„). Reichelt bestreitet auch das, es gebe umfangreiche Korrespondenz, die belege, dass die Frau ihrerseits den Kontakt und die Nähe gesucht habe. 

Irgendwann hielt die Frau es nicht mehr aus

Im Springer-Verlag war die Liaison zum damaligen Zeitpunkt offenbar ein offenes Geheimnis. Seine Mandantin sei wiederholt darauf angesprochen worden, verbunden mit der hämischen Bemerkung, sie habe ihren Job nur deshalb bekommen, weil sie mit dem Chefredakteur der Bild schlafe, argumentiert der US-Anwalt in der Klageschrift. Die Situation habe seiner Mandantin derart zugesetzt, dass sie sich im Herbst 2018 in medizinische Behandlung habe begeben müssen. Im Frühjahr 2019 hätten die Ärzte unter anderem Angstzustände und eine Depression diagnostiziert und sie für längere Zeit krankgeschrieben.

Im Oktober 2019 zog die Journalistin in die USA, nach San Francisco, um von dort für Bild zu berichten – eine Art Neuanfang. Doch auch in den USA hätten die Gerüchte nicht aufgehört. Sie sei von ihrem Chef in San Francisco gefragt worden, ob es stimme, dass sie den Job in den USA nur deshalb bekommen habe, weil sie eine Affäre mit Reichelt gehabt habe. Im Januar 2020 habe sie sich bei einer hochrangigen Managerin des Springer-Verlags in San Francisco über die anhaltenden Gerüchte beschwert und um Hilfe gebeten, sei aber abgewiesen worden. Im Gegenteil sei kurz darauf ihr Vertrag nicht verlängert worden. 

Die Ex-Mitarbeiterin zählt zu jenen Frauen, die im vergangenen Jahr im Rahmen einer Compliance-Untersuchung ihre Erfahrungen mit Julian Reichelt zu Protokoll gegeben hatten. Im März 2021 hatte Springer Reichelt zunächst freigestellt, wenig später aber wieder eingesetzt, da es „keine Anhaltspunkte für sexuelle Belästigung oder Nötigung“ gegeben habe – obwohl der für Compliance zuständigen Abteilung im Springer-Verlag die Schilderungen der jungen Frau bekannt waren. In einer Pressemitteilung hieß es damals: Der Vorstand sei zu dem Ergebnis gekommen, „dass es nicht gerechtfertigt wäre, Julian Reichelt aufgrund der in der Untersuchung festgestellten Fehler in der Amts- und Personalführung – die nicht strafrechtlicher Natur sind – von seinem Posten als Chefredakteur abzuberufen“.

In der Klage wird auch ein brisanter angeblicher Telefonanruf geschildert. Demnach habe ein Vertrauter Reichelts aus der Bild-Führung am 9. März 2021 beim Lebenspartner der Journalistin angerufen und darauf gedrungen, die Frau solle „mit niemandem reden“, Reichelt sei wegen der Sexvorwürfe „fucked„. Den Anruf habe sie als Bedrohung empfunden, argumentiert der US-Anwalt der Frau. Nachdem die New York Times ausführlich über den Fall Reichelt berichtet hatte, sei ihr deutscher Anwalt, Christian Schertz, zudem von Anwälten des Springer-Verlags beschuldigt worden, der New York Times eine Kopie der vertraulichen Aussage der Frau im Zuge des Compliance-Verfahrens zur Verfügung gestellt zu haben. Auch dieser Vorwurf der Springer-Anwälte sei als Drohung zu verstehen gewesen. Schertz hat stets dementiert, eine Kopie der Aussage an die New York Times gegeben zu haben.

Der Springer-Verlag prüft die Klage

Erst im Oktober 2021, kurz nach der Berichterstattung der New York Times, trennte sich der Verlag schließlich dauerhaft von Reichelt. Der Bild-Chef habe „auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt“, hieß es in der entsprechenden Mitteilung. 

Reichelt hat die Vorwürfe stets dementiert und wiederholte dies gegenüber der ZEIT. Die Schilderung der Frau sei „kompletter Unsinn und frei erfunden“, es gehe darum, ein „bestimmtes Narrativ“ durchzusetzen. 

Ein Unternehmenssprecher von Axel Springer sagte auf Anfrage: „Wir prüfen die Klage und werden zu gegebenem Zeitpunkt dazu Stellung nehmen.“ Die deutschen Anwälte der ehemaligen Bild-Mitarbeiterin, Christian Schertz und Anna Sophie Heuchemer, wollten sich ebenfalls nicht äußern. Sie könnten „schon aus Gründen des Mandatsgeheimnisses“ dazu „keinerlei Stellung nehmen“. 

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