„Kinder sind wie Knete“, sagt Schuldirektor Wladimir Kologrejew. „Man muss sie formen!“ Stolz empfängt er uns in Uniform im Hof seiner Lehranstalt. Im vergangenen Jahr wurde die Einrichtung zum besten russischen Kosaken-Kadetten-Korpus mit Berufsbildung gekürt. Auch die Kinder laufen herum wie kleine Soldaten, nur im Kindergarten tragen alle noch zivil.
Im 18. Jahrhundert waren Kosaken noch Rebellen, die Aufmüpfigen, die sich dem Staat nicht unterordnen wollten. Viele waren geflohene Leibeigene, sie lebten in Reiterverbänden wie Räuber. Das wandelte sich jedoch schon bald. Der Zar bedachte die wilden Reiter mit Privilegien und schuf einen neuen Kriegerstand für sie. Die Kosaken dankten ihm mit Unterordnung. Mit dem russischen Heer kämpften sie gegen Napoleons Armee, dann gegen die Revolutionäre.
In Putins Russland gehören neue Kosaken zu den konservativen Kräften, die loyal für den Staat eintreten. Sie kämpfen in der Ost-Ukraine für die Separatisten und waren auch an der Annexion der Krim beteiligt. Während der jüngsten Anti-Putin-Proteste in Moskau fielen Kosaken dadurch auf, dass sie mit Peitschen auf Demonstranten losgingen. Landesweit sind etwa 650.000 Menschen in staatstreuen Kosakenverbänden organisiert, selbst dort, spottete kürzlich eine russische Zeitschrift, wo nie Kosaken gelebt hatten.
Der Staat fördert die patriotischen Verbände mit viel Geld: Allein die Gebietsverwaltung von Rostow gibt von 2017 bis 2019 umgerechnet knapp 30 Millionen Euro für die Kosaken aus. Am Don ist das Zentrum der Bewegung – allein in Rostow unterhält Russland elf Kadetten-Einrichtungen. Landesweit besuchen zehntausende Kinder und Jugendliche Kosaken-Schulen, selbst in Moskau gibt es hunderte Spezial-Klassen, denn die militärisch-patriotische Erziehung ist unter Putin wieder im Trend.
In Dimitrowgrad, einem Wolgastädtchen mit 120.000 Einwohnern, haben sich allein in den vergangenen Jahren vier Kosaken-Verbände herausgebildet. Ihre Aufgabe: „In der Not aufstehen, und die Interessen des Staates verteidigen!“, sagt Kosaken-Chef Ataman Sergej Dedjujew. Stolz ist er darauf, dass in der lokalen Bildungseinrichtung Kinder von Kindergarten bis College zu Kosaken erzogen werden. „Wir bilden keine Soldaten aus“, glaubt er, „sondern formen Persönlichkeiten“. Disziplin und Ordnung seien dabei wichtig, die Liebe zum Vaterland auch. Die Kinder wüssten über die amerikanische Kultur ja oft mehr als über die russische. „Sie sollen den Korpus als würdige Patrioten verlassen!“, sagt der Ataman.
„Was machen die Kosaken?“, ruft die Erzieherin im Kindergarten. „Sie sind Krieger!“, brüllen die Kinder im Chor. In der Friedenszeit, so rufen sie, verteidigt der Kosake sein Vaterland. Und was machen die Frauen? „Sie kochen!“, sagen alle. „Sie räumen auf!““ Die Kinder tanzen und singen und die Jungs dürfen ein bisschen mit Holzschwertern kämpfen. Ein Junge sagt ein Gedicht auf: „Russland und Kosaken gehören untrennbar zusammen!“ Am Ende posieren alle zum Gruppenbild. „Mädchen lächeln, Jungs ernst gucken!“, befiehlt der Chef.
Patrioten für Russland
Die Jugendlichen üben auf dem Schulhof Marschieren, in der Aula demonstrieren sie Kampftechniken zu Rockmusik und zielen mit ihren Kalaschnikow-Modellen ins Publikum als gelte es von der Bühne aus Lehrkörper und Mitschüler zu eliminieren. Zu den Lehrern und Erziehern im Kadetten-Korpus gehören auch ehemalige Offiziere.
Dem Direktor der Einrichtung wäre das vor acht Jahren beinahe zum Verhängnis geworden: Damals schaffte es ein Skandal über Misshandlungen und brutale Erziehungsmethoden im Wohnheim sogar in die landesweiten Abendnachrichten. Als Antwort entließ Kologrejew damals die rüden Erzieher. Aber auch jene, die die Teenager ermutigt hatten, ihre Peiniger anzuzeigen.
Zum Schluss lädt uns Pater Andrej zum Orthodoxen Religionsunterricht ein. „Ungerechtigkeit“, lautet das Thema. Ein Dutzend Teenager in Uniform sitzt mit gefalteten Händen hinter den Schulbänken und hört aufmerksam der Predigt zu. „Sollen wir uns dagegen auflehnen?“, fragt der Pater der Teenager. „Was ist, wenn ein Mann böse ist, aber reich? Ein anderer aber anständig und arm?“ Die Antwort gibt er selbst: „Lasst uns über das freuen, was uns das Leben gibt“, doziert er. Denn Strafen warten in der Hölle. Und im Himmel, nach dem Tod, wartet die Belohnung für den Schweigenden, der alles immer ausgehalten hat.
Lesen Sie morgen den achten Teil der Reportage.
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