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„Kampf gegen Korruption“ blendete der staatliche Nachrichtensender Rossija 24 in großen gelben Buchstaben ein und zeigte dazu Bilder von Alexej Uljukajew in Endlosschleife. Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung wurde am frühen Dienstagmorgen festgenommen, ein Gericht verhängte einen zweimonatigen Hausarrest gegen ihn. Der Vorwurf: Er soll zwei Millionen US-Dollar (rund 1,85 Millionen Euro) Schmiergelder kassiert haben.
Russland wird vom größten Korruptionsskandal seit Jahren erschüttert. Ermittlungen wegen Bestechungen trafen in vergangenen Jahren vor allem in Ungnade gefallene Beamte oder Gouverneure. Mit Uljukajew trifft es nun einen Politiker der Moskauer Elite; der Liberale war seit dreieinhalb Jahren im Amt. Nach russischen Medienberichten ist er der hochrangigste Politiker, der seit 1991 festgenommen wurde.
Uljukajews Fall ist rätselhaft. Um 2.33 Uhr Moskauer Ortszeit veröffentlichte das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation eine Erklärung, nach der Uljukajew am Montagabend in Moskau von Beamten des Inlandsgeheimdienstes FSB festgenommen worden sei. Die Beamten stellten ihn, so die offizielle Version, als er von Vertretern des Ölriesen Rosneft Bestechungsgelder in Höhe von zwei Millionen US-Dollar in bar erpresst hatte. Eine Vertreterin des Staatlichen Ermittlungskomitees sprach in diesem Zusammenhang von „Bedrohungen“. Demzufolge setzte Uljukajew den Konzern unter Druck.
Als Gegenleistung soll der Minister dem Verkauf von 50 Prozent Staatsanteilen der sechstgrößten Ölfirma Baschneft mit Sitz im Süden Russlands in Baschkortostan an das ebenfalls staatlich kontrollierte Rosneft zugestimmt haben. Am 12. Oktober hatte der Ölkonzern Rosneft für 330 Milliarden Rubel, etwa fünf Milliarden Dollar, die Hälfte der Anteile an Baschneft übernommen. Der Teilverkauf sorgte für große Unruhe in Russland. Die Behörden von Baschkortostan fürchteten durch die Transaktion Nachteile für ihre Anteile an Baschneft. Die Zeitung „Kommersant“ berichtete, die Konzerne Rosneft und Lukoil hätten sich um die Anteile gestritten.
Viele Fragen zu der offiziellen Darstellung
Die offiziellen Angaben der Behörden scheinen kaum überzeugend: Warum kassiert der Minister, der allein für 2015 offizielle Einnahmen von rund 860.000 Euro und zehn Grundstücke deklarierte, erst Bestechungsgeld, nachdem der Deal schon abgeschlossen ist? Und wer sind die Vertreter von Rosneft, die angeblich das Bestechungsgeld gezahlt haben? Und wo sind die Beweise dafür, dass Uljukajew das Bargeld angenommen hat? Der Oppositionsführer Alexej Nawalny wies zu Recht daraufhin, dass die Behörden keine Bilder der Festnahme veröffentlichten.
Nach Angaben der Ermittlungsbeamten richten sich die Vorwürfe nicht gegen Rosneft, Vertreter des Ölkonzerns erstatteten Anzeige gegen den Minister. Das Unternehmen wird von Igor Setschin geführt, einem ehemaligen Weggefährten von Präsident Wladimir Putin. Er verhandelte intensiv um die Genehmigung für den Kauf der Baschneft-Anteile. Setschins Vize ist Oleg Feoktistow, der noch bis vor Kurzem beim FSB arbeitete. Gibt es einen Zusammenhang, war es Rache? Tatsächlich soll Minister Uljukajew eine Übernahme von Baschneft durch Rosneft kritisiert haben. Wirtschaftsliberale Kräfte in der Regierung hatten sich dafür ausgesprochen, die Baschneft-Anteile an einen privaten Investor abzugeben.
Doch russischen Medien zufolge begannen die Ermittlungen gegen Uljukajew vor über einem Jahr, also lange, bevor der Teilverkauf von Baschneft Thema war. Seit Sommer wurde der 60-Jährige telefonisch abgehört. Putin war über Ermittlungen gegen den Minister von Anfang an informiert, teilte der Kremlsprecher mit. Die Entscheidung fiel also auf höchster Ebene.
Kritischer Kopf
Was steckt dahinter? Uljukajews Name tauchte zwar im Zusammenhang mit einer Offshore-Firma auf, die offiziell auf den Namen seines Sohnes lief und zu einer Zeit, als er Vize-Zentralbankchef war. Der Minister hatte sich aber wiederholt gegen Korruption stark gemacht. Zudem gilt er als kluger Wirtschaftsexperte, als kritischer Kopf, der seine Meinung auch öffentlich kundtat. Zuletzt hatte er vor zu viel Euphorie in Russland nach der Wahl Donald Trumps gewarnt. Im Dezember widersprach der Minister Putin und gab der eigenen Regierung die Verantwortung für die wirtschaftliche Krise in Russland: „Wir haben den Sturm selbst verursacht“ sagte Uljukajew damals auch mit Blick auf verschleppte Reformen.
Ihm kam eine Schlüsselrolle zu, er musste die russische Wirtschaft trotz der eingebrochenen Öl- und Gaseinnahmen am Laufen halten. Russland braucht Milliarden Euro, um die Haushaltslöcher zu schließen. Uljukajew hatte Teilverkäufe unter anderem von der staatseigenen zweitgrößten Bank des Landes VTB und der Reederei Sovcomflot angekündigt. Für das kommende Jahr ist auch eine Privatisierung von 19,5 Prozent der gesamten Rosneft-Anteile geplant. War Uljukajew den „Silowiki“, was übersetzt so viel heißt wie „Männer der Stärke“, den Funktionären aus Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden, zu mächtig geworden?
Der Minister wurde am Dienstag stundenlang verhört, gegen ihn wurde Anklage erhoben. Ein Gericht sollte entscheiden, ob ein Haftbefehl erlassen oder etwa Hausarrest verhängt wird. Ihm drohen nun acht bis 15 Jahre Haft. Für den liberalen Flügel ist seine Festnahme ein Rückschlag. Russlands Ex-Finanzminister Alexej Kudrin spricht von einem merkwürdigen Fall, schrieb der liberale Politiker auf Twitter. „Eine objektive Untersuchung ist unabdingbar.“
Konservativ-patriotische Kreise feierten das Vorgehen als Erfolg. „Unberührbare gibt es auch in der Staatsmacht nicht“, kommentierte Wladimir Wassiljew, Fraktionsvorsitzender der Kremlpartei Jedinaja Rossija.
Auffällig ist, dass der FSB und das mächtige Ermittlungskomitee, das dem Präsidenten direkt unterstellt ist, die sonst konkurrieren, dieses Mal zusammenarbeiten. Ein Behördenvertreter nannte die Aktion ein „Ermittlungsexperiment“.
Zusammengefasst: Russlands Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Alexej Uljukajew, wurde angeklagt, weil er im Zusammenhang mit einem Ölgeschäft zwei Millionen Dollar kassiert haben soll. Das ist die offizielle Version der Behörden. Doch es gibt erhebliche Zweifel an der Darstellung.
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