Schneefall in Moskau, Hochwasser in Paris und eine Fitness-App, die die Jogging-Routen der US-Soldaten in Afghanistan verrät: Das sind die Meldungen, die am Montagmorgen die Titelseiten der großen kremltreuen Zeitungen und Startseiten der Online-Medien befüllen. Auch der Erste Kanal, die wichtigste Informationsquelle der Russen, zeigt den steigenden Wasserpegel der Seine oder den russischen Pianisten, der in New York einen Grammy gewonnen hat. Von den Demonstrationen, die am Vortag durch 118 Städte zogen, kein Wort.
Am Sonntag protestieren mehrere tausend Menschen gegen die Putin-Regierung. Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hatte zum Boykott der Präsidentenwahl am 18. März aufgerufen. Er stellt die Legitimität der kommenden Wahl in Frage, nachdem ihm die Behörden untersagt hatten, bei den Wahlen anzutreten.
Seine Anhänger folgten seinem Aufruf. Während in den meisten Orten die Kundgebungen erlaubt waren, hatte die Polizei unter anderem in Sankt Petersburg und Moskau die Proteste nicht gestattet. Allerdings ließen sich die Demonstranten davon nicht abhalten. „Boykott, Boykott“ und „Putin verschwinde!“ skandierte die Menge vielerorts. Im Laufe des Tages wurden bei Nawalnys „Wählerstreik“ im ganzen Land 257 Demonstranten festgenommen, einschließlich Nawalny selbst.
Schweigen oder Kleinreden lautet die Devise
„Unser wichtigstes Ziel ist die Informierung der Bürger“, erklärte der Leiter von Nawalnys Stab, Leonid Wolkow, das Ziel der Aktion. „Auf Youtube verzeichnet unser Stream 1,2 Millionen Aufrufe, morgen werden es zwei oder drei Millionen sein. Junge Menschen werden zu unseren Botschaftern und so werden wir auch ältere Generationen erreichen“, sagte er im Gespräch mit der kremlunabhängigen Zeitung „Wedomosti“.
Doch genau diese Strategie versuchen die staatlichen Medienhäuser zu unterlaufen. Wer „Rossiskaja Gazeta“, das offizielle Verlautbarungsorgan des Kremls, aufschlägt, die großen Nachrichtensender einschaltet oder ihre Internet-Auftritte aufruft, wird nichts über die Proteste vom Sonntag erfahren.
Während die einen Medien die altbewährte Methode der Informationsblockade bevorzugen, greifen andere zu einer anderen Strategie: Sie reden die Proteste klein. „Warum es so erbärmlich war“, titelte etwa die Nachrichtenagentur Ria über die Demos. „Das Schauspiel war so armselig, dass selbst die eifrigsten Nawalny-Sympathisanten es vorgezogen haben, einen Schleier des Mitleids über diese erstaunliche Szenerie auszubreiten“, hieß es im Text.
Tatsächlich erreichten die Boykott-Kundgebungen am Sonntag nicht die Dimension der Protestwelle vom letzten Jahr. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl in Moskau auf rund 1000, Beobachter hielten 2000 bis 3000 Demonstranten für möglich. Ähnlich fiel die Schätzung für St. Petersburg aus. Landesweit sprach das Innenministerium von 3500 Demonstranten. Auch diese Zahl liegt wohl höher, aber von Massenprotesten kann bei weitem noch keine Rede sein.
Bloß keine Aufmerksamkeit
Auch die Behörden gaben sich Mühe, keine zusätzliche Aufmerksamkeit auf die Kundgebungen zu ziehen. Große Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten blieben aus. Auch Massenfestnahmen wie im Jahr 2017 gab es dieses Mal nicht. Die meisten Festnahmen wurden in weitgehend unbedeutenden Provinzstädten wie Tscheboksary an der Wolga und Ufa am Ural-Gebirge verzeichnet. Nawaly selbst wurde nach einigen Stunden wieder freigelassen.
So ganz auf Restriktionsmaßnahmen kann man offenbar trotzdem nicht verzichten. So versuchten die Strafverfolgungsbehörden die Live-Übertragung der Demonstrationen im Internet zu verhindern. Sicherheitskräfte durchsuchten am Sonntagmorgen Nawalnys Moskauer Büro, beschlagnahmten Material, schalteten den Strom ab und nahmen mehrere Mitarbeiter fest – unter dem Vorwand nach einer Bombe zu suchen. Die Übertragung fand trotzdem statt.
Seit Mitte Januar hatten die Behörden den Druck auf Nawalny erhöht, berichtete Wolkow der unabhängigen Zeitung „Nowaja Gazeta“. „Ihr Ziel ist es, uns Organisatoren zu stören. Beim harten Kern unserer Freiwilligen heizt das aber nur die Stimmung an.“ Die Mehrheit der russischen Bürger wird aber wohl davon nichts erfahren – zumindest vorerst.
Read more on Source