Der russische Nationalist, Schriftsteller und Politiker Sachar Prilepin ist durch eine Explosion verletzt worden. Laut dem russischen Innenministerium wurde diese durch einen Sprengsatz an seinem Fahrzeug ausgelöst. Ein weiterer Mann sei durch die Detonation getötet worden, dabei handelt es sich offenbar um den Fahrer Prilepins.

Die Explosion ereignete sich den Angaben nach in der Region Nischni Nowgorod, die östlich der Hauptstadt Moskau
liegt. Das Ermittlungskomitee veröffentlichte ein Bild, das ein
stark beschädigtes, weißes Auto zeigt, das vor einem Krater in einem
Waldgebiet auf dem Dach liegt.

Russische Nachrichtenagenturen
berichteten unter Berufung auf anonyme medizinische und
Sicherheitsquellen, dass der Politiker und Autor an den Beinen verletzt
worden sei. Der Gouverneur der Region Nischni Nowgorod schrieb auf
Telegram, Prilepin habe „kleinere Brüche“ erlitten, aber es „besteht
keine Gefahr für sein Leben“.

Russische Justiz veröffentlicht angebliches Geständnisvideo

Das russische Ermittlungskomitee, die oberste Strafverfolgungsbehörde
des Landes, leitete eine Untersuchung wegen eines „terroristischen
Aktes“ ein. Die Behörden hätten bereits am Nachmittag einen Mann festgenommen, der möglicherweise mit dem Vorfall in Verbindung stünde, hieß es aus dem Ministerium.

Später berichtete die russische staatliche Nachrichtenagentur Ria unter Verweis auf Angaben des Ermittlungskomitees, dass der Verhaftete eine Tätigkeit für ukrainische Geheimdienste gestanden habe. Angeblich habe er zwei Panzerabwehrminen auf der Fahrbahn platziert und sie per Fernsteuerung gezündet.

Die Behörde veröffentlichte auf Telegram ein Video mit der Aussage des Verhafteten. In der etwa 30-sekündigen Aufnahme gibt er an, in der Ukraine geboren worden zu sein und 2022 nach Russland eingereist zu sein, mit der Aufgabe, Prilepin zu töten. Wann und unter welchen Umständen das Video aufgenommen wurde, ist unbekannt. 

Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa erhob kurz nach der Explosion Vorwürfe. Sie beschuldigte die USA, die Nato und die Ukraine, dafür verantwortlich zu sein: „Washington und die Nato haben eine weitere internationale Terrorzelle gefüttert – das Kiewer Regime“, behauptete sie auf Telegram. Die USA und Großbritannien trügen „die direkte Verantwortung“ für den aktuellen Vorfall. Beweise für ihre Anschuldigungen legte Sacharowa nicht vor.

Ukrainischer Geheimdienst droht Besatzern

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU teilte mit, er könne seine angebliche Beteiligung an dem mutmaßlichen Anschlag nicht bestätigen – aber auch nicht von sich weisen. Das verkündete der Pressedienst des SBU auf Anfrage des ukrainischen Nachrichtenportals RBK Ukrajina.

„Offiziell können wir eine Beteiligung des SBU an der einen oder anderen Explosion, die die Besatzer und ihre Helfer ereilt, weder bestätigen noch dementieren“, zitierte das Nachrichtenportal den Geheimdienst. Für die Besatzer habe das Feuer „gebrannt, brennt und wird brennen“, teilte der SBU demnach mit. „Deswegen ist der Tod die einzige Perspektive, die wir den Besatzern anbieten können.“ Wer „hinter diesem und jenem Fall“ stehe, könne man erst nach dem Sieg sagen, „der definitiv bald kommen wird.“

Noch kryptischer äußerte sich der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak: „Der Moloch ist immer vorhersehbar“, schrieb er auf Twitter. „Erst verschlingt er seine Feinde, dann verdaut er zufällige Menschen, und am Ende verdaut er seine eigenen.“ Den Namen Prilepins nannte er in der Mitteilung nicht, sprach aber ebenfalls eine Drohung aus: „Am Vorabend des Zusammenbruchs wird Moskau äußerst düster sein“, schrieb er. 

Angebliche Partisanen reklamieren Anschlag für sich

In sozialen Netzwerken meldete sich eine angebliche ukrainische Partisanengruppe zu Wort und deutete an, hinter dem Anschlag auf Prilepin zu stecken. Die Gruppe Atesch bezeichnet sich als Partisanenbewegung von ethnischen Ukrainern und Krimtataren. 

Sie hat in den vergangenen Monaten bereits mehrere Anschläge in von Russland besetzten ukrainischen Gebieten für sich beansprucht. „Die Bewegung Atesch jagte Prilepin schon seit Jahresbeginn“, heißt es in dem nun veröffentlichten Statement. „Wir hatten so ein Gefühl, dass er früher oder später in die Luft gesprengt wird.“

Die Glaubwürdigkeit der Mitteilung kann nur schwer überprüft werden. Die Gruppe hatte Ende Januar eine Mitteilung veröffentlicht, in der dazu aufgefordert wurde, Prilepin zu „finden und zu liquidieren“. Nach eigenen Angaben gründete sich die Gruppe im vergangenen September.

Ähnlichkeiten zu weiteren Anschlägen auf Propagandisten

Der Anschlag auf Prilepin ist nicht der erste derartige Vorfall in Russland: Erst im
vergangenen Monat wurde bei einem mutmaßlichen Bombenanschlag in St.
Petersburg der russische Militärblogger Maxim Fomin getötet, der unter seinem Pseudonym Wladlen Tatarski bekannt war.
Ebenfalls durch eine mutmaßliche Autobombe starb im vergangenen Herbst
zudem die nationalistische Aktivistin Darja Dugina. Das Attentat galt aber vermutlich ihrem Vater, dem einflussreichen russischen Neofaschisten Alexander Dugin.

In
beiden Fällen legten russische Ermittlungsbehörden die Attentate der Ukraine zur Last, die eine Beteiligung dementiert. Eine weitere Parallele: Festgenommene Verdächtige wurden auch bei den Attacken auf Dugina und Tatarski binnen eines Tages präsentiert.

Ilja
Ponomarjow, ein russischer Ex-Abgeordneter, der mutmaßlich in der
Ukraine lebt und Kontakt zu russischen Partisanen haben will,
verbreitete nach dem Anschlag auf Dugina ein angebliches
Bekenntnisschreiben einer angeblichen russischen Partisanenorganisation, deren
Existenz allerdings bislang unbewiesen ist.

Auch die Explosion, die
Prilepin verletzt hat, wurde Ponomarjow zufolge von der russischen
Partisanengruppe verursacht, wie das exilrussische
Nachrichtenportal Meduza berichtet. Seine Angaben sind ebenfalls nicht überprüft.

Prilepin nahm am Donbass-Krieg teil

Prilepin trat als Autor in Erscheinung, bevor er im Jahr 2014 begann, den von Russland und russisch unterstützten Milizen geführten Krieg in der Ostukraine teilzunehmen. Wie das exilrussische Investigativportal Agentstwo berichtet, wurde Prilepin 2015 zum Berater des prorussischen Machthabers der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, Alexander Sartschenko, und bekleidete in den nachfolgenden Jahren einen hohen Offiziersposten bei den separatistischen Milizen.

Die von ihm geführte Einheit habe „Menschen in großer Zahl getötet“, sagte Prilepin 2019 in einem YouTube-Interview. „Es war ein unerhörtes Chaos, was wir dort gemacht haben (…) Kein einziger Feldkommandant hatte solche Ergebnisse wie ich.“

Publizist, Kriegsbefürworter und Politiker

Der Schriftsteller betätigt sich auch als Politiker: Prilepin ist Vizevorsitzender der Partei Gerechtes Russland – Patrioten für die Wahrheit (SR), die vom Kriegsunterstützer Sergei Mironow geführt wird.  

Die SR gehört mit der rechtsextremen LDPR und der kommunistischen KPRF zu den drei formellen Oppositionsparteien in der Staatsduma, gelten dabei aber als regierungstreu und unterstützen auch den Angriff auf die Ukraine. Mironow forderte nach dem Anschlag auf Prilepin, „unter Verwendung des gesamten Arsenals der Streitkräfte Russlands“ gegen die „Anführer der Terroristen“ vorzugehen. 

Seit dem Beginn der Invasion der Ukraine im Februar 2022 bekundete er immer wieder öffentlich seine Unterstützung für den Kriegskurs seines Landes. So sagte er im März 2022 über seine Rolle im Krieg: „Wir ‚unterstützen‘ die militärische Spezialoperation nicht, wir führen sie.“ Die EU sowie die USA und Kanada setzten ihn nach Kriegsbeginn auf ihre Sanktionslisten. Im Januar 2023 verpflichtete er sich nach eigenen Angaben für eine Teilnahme am Krieg. Am 3. Mai schrieb er auf Telegram, dass seine Einheit die Kampfzone wieder verlasse.

Prilepin soll Präsidentschaftskandidatur erwogen haben

Laut Berichten russischer Medien soll Prilepin eine Präsidentschaftskandidatur bei der Wahl 2024 erwogen haben. Bereits im Sommer 2022 soll er mehrere Wahlkampfbüros in Russland und den besetzten ukrainischen Gebieten eröffnet haben. Prilepin bestätigte die Spekulationen nicht.

Eine Kandidatur stünde nicht zwangsläufig in Konkurrenz zu Wladimir Putin. Bei vergangenen Wahlen kandidierten in der Regel auch die Parteichefs der LDPR und KPRF sowie weiterer Parteien der offiziell zugelassenen Opposition, was Putin nach Einschätzung von Experten dabei hilft, offene Wahlen vorzutäuschen.

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AP, AFP und Reuters.

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