Mit ihrem Emmy-Gewinn hat sich Maria Schrader ganz nach oben katapultiert. Das zeigt auch ihr neuestes Projekt. Mit t-online spricht sie über Weinstein, Fake News und Verschwiegenheitsklauseln.Es ist ein edles Berliner Hotel, in dem Maria Schrader zum Interview empfängt. Doch von Extravaganz ist in dem Fünf-Sterne-Zimmer wenig zu spüren: Die Atmosphäre zwischen Zigaretten auf der Couch und einem unaufgeräumten Beistelltisch ist gelöst – das liegt vor allem an der gut gelaunten Filmemacherin.Angesprochen auf den Emmy-Award für ihre gefeierte Netflix-Serie „Unorthodox“ grinst die 57-Jährige. Doch als es um ihre Chancen geht, einen Oscar abzuräumen, weil ihr neuer Film „She Said“ das Potenzial hat, winkt sie ab. Diese Preisvergaben seien ein Spiel, das sie nicht beeinflussen könne. Schrader redet lieber über den Harvey-Weinstein-Skandal und über besorgniserregende Machtstrukturen – auch über die Filmbranche hinaus.t-online: Es passiert nicht alle Tage, dass eine deutsche Regisseurin Hollywoodstoff über den #MeToo-Skandal um den Produzenten Harvey Weinstein verfilmt. War Ihre Distanz zur US-Branche die Voraussetzung, um maximal kritisch vorgehen zu können?Maria Schrader: Die Distanz war sicherlich willkommen. Aber der ausschlaggebende Grund war eher „Unorthodox“. Diese Serie war extrem erfolgreich in Nordamerika und sie hat im Inneren eine gewisse Verwandtschaft mit diesem Projekt.Das müssen Sie genauer erklären. In „She Said“ dreht sich alles um die Enthüllungen des Harvey-Weinstein-Skandals, bei „Unorthodox“ um Zwänge einer ultraorthodoxen Religionsgemeinschaft.In „Unorthodox“ geht es um ein sehr intimes Problem von dysfunktionaler Sexualität, die auf einen hohen Erwartungsdruck der Gesellschaft trifft. Bei „She Said“ geht es um sexuelle Gewalt in einem Abhängigkeitsverhältnis.Der Vergleich liegt damit noch nicht auf der Hand …Es geht in beiden Filmen vor allem um die Kollision von Intimität und Öffentlichkeit. Es gibt sehr private Szenen in „She Said“, genauso wie in „Unorthodox“.Sie gehen allerdings sehr zurückhaltend mit den Intimszenen um. War es Ihnen ein besonderes Anliegen, gar keine expliziten Szenen zu zeigen?Keine explizite Gewaltanwendung, keine Vergewaltigungsszene, nein, das kam nicht infrage! Wir haben genug solcher Szenen gesehen, ich möchte nicht weitere hinzufügen.Das Maximum der Gefühle für Sie war also die Szene mit einer Frau, die nach einem Akt der Gewalt völlig verstört eine Straße entlangrennt? Dieser Prozess hat für mich schon bei „Unorthodox“ begonnen. Bei der Kombination von Intimität und Gewalt sollte man sich, finde ich, genaue Gedanken machen. Handelt es sich zum Beispiel um eine Sexszene, bei der eine Frau leidet, darf diese keinen erotisierenden Effekt fürs Publikum bekommen, sonst wird es extrem unsauber.Auch persönlich Betroffene wirken in Ihrem Film mit. Die Schauspielerin Ashley Judd spielt sich sogar selbst. Wen haben Sie im Vorfeld noch kontaktiert?Die Frauen, die Teil der „New York Times“-Recherche waren, die den Missbrauchsskandal damals aufgedeckt hatte, wurden eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Jede Person hat natürlich für sich entschieden, ob und wie sie sich beteiligen möchte. Ich habe auch ein langes Gespräch mit der Schauspielerin Rose McGowan geführt. Sie war eine sehr wichtige Informantin für die beiden Reporterinnen, und ich habe es mir gewünscht, dass sie mitspielt. Ich war sehr beeindruckt von ihr. Am Schluss ist es nicht dazu gekommen.Warum war das bei Ashley Judd anders?Ihr ist es ganz leicht gefallen, nachdem wir uns hier in Berlin getroffen haben. Wieso? Das kann ich nicht beantworten. Jede Person geht sehr unterschiedlich mit dem um, was ihr widerfahren ist. Ashley Judd ist zu einer öffentlichen Aktivistin geworden – lange vor den Dreharbeiten dieses Films. Das wird eine Rolle gespielt haben.Welche Details aus den Gesprächen mit den Frauen haben Sie am meisten überrascht, weil Ihnen das Ausmaß vorher nicht bewusst war?Diese Mechaniken rund um das Schweigegeld, das gezahlt wurde, haben mich tatsächlich schockiert. Dass diese Vereinbarungen immer wieder getroffen wurden und was die alles enthielten, wie sehr sie die betreffende Person isolierten, dieses Ausmaß ist mir nicht klar gewesen.Haben Sie persönlich Vergleichbares erlebt, Verschwiegenheitsklauseln ähnlicher Art mal gesehen oder davon in Ihrem Umfeld gehört?Also ich kenne niemanden in meinem Umkreis, der so ein Papier unterzeichnet hat. Ich habe das in unserer Welt hier zumindest noch nicht erlebt. Eine Sache darf man dabei nicht vergessen: Auch unabhängige Anwälte haben ihren Klientinnen in den USA dazu geraten. Die jungen Frauen, ob Assistentinnen oder Schauspielerinnen, haben diese Verträge als Schuldeingeständnis interpretiert. Für sie war es eine Art Triumph: Das Geld, das gezahlt wurde, hat für sie das Verbrechen bewiesen.Ein fataler Vorgang, wie sich auch in den Recherchen zeigte, denn viele Frauen waren zum Schweigen verdammt.Ja, es hat sie in eine absolute Isolation manövriert. Sie durften keinen Therapeuten aufsuchen, nicht mit ihrer Familie darüber sprechen, keine anderen Frauen kontaktieren. Sie haben sich verpflichtet, niemals mit der Presse oder der Polizei zu sprechen, selbst wenn die Polizei sie aufforderte, auszusagen. Das alles ist ein Albtraum. Und die Anwälte, die dieses Verfahren befürworten, sind mit 40 Prozent des Schweigegeldes beteiligt. Diese Vorgänge finde ich skandalös.Verschwiegenheitsklauseln gibt es immer noch, auch in anderen Bereichen. Wir brauchen gar nicht nur in die USA blicken: Hierzulande wurden im Prozess gegen den Ex-Nationalspieler Jérôme Boateng ähnliche Vorgänge bekannt.Es ist sicherlich nicht nur auf die Filmbranche beschränkt, Machtmissbrauch gibt es überall. Aber es gibt, zumindest beim Film, große Bemühungen, die Gesetzeslagen zu ändern. Zelda Perkins, Harvey Weinsteins ehemalige Assistentin, zum Beispiel hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht. Sie hat eine Hilfsorganisation gegründet und zumindest die Gesetzeslage in Kanada damit verändert.Was haben Sie durch Ihre Arbeit über Machtmissbrauch gelernt?Dass Machtmissbrauch ganz eng mit steilen Hierarchien zusammenhängt, die Angst verbreiten und die Abhängigkeiten schaffen.Ihr Film ist neben der Missbrauchsthematik auch ein Plädoyer für unabhängigen Qualitätsjournalismus.Das stimmt, ich habe viel über Journalismus gelernt und es ist beeindruckend, was alles notwendig ist, um eine Geschichte zu veröffentlichen. Mein Vertrauen und meine Wertschätzung für diese Arbeit sind enorm gestiegen. Vor allem in einer Zeit, in der die Medien von allen Seiten unter Beschuss stehen.Stichwort: Fake News und Lügenpresse?Ja. Dass Fake News verbreitet werden, ist gefährlich, weil das Vertrauen schwindet. Guter Journalismus ist extrem wichtig für unsere Demokratie und es gibt sie tatsächlich: die Leute, die nach der Wahrheit suchen und nicht locker lassen, bis sie sie aufdecken und beweisen können. Jodi und Megan gehören dazu.Was wurde Ihnen durch die Arbeit an „She Said“ noch über Journalismus klar?Die Institutionen und ihre Ressourcen sind ebenso wichtig. Denn welcher Freiberufler kann mal eben über Monate hinweg eine Geschichte recherchieren? Es braucht Ausdauer und ein Team, damit eine solche Enthüllung gelingt wie im Fall von Harvey Weinstein.Ihre Filmhelden wirken allerdings nicht wie schillernde Medien-Koryphäen, sondern vielmehr wie hart arbeitende, ganz normale Leute mit alltäglichen Problemen.Weil es genauso ist. Diese Leute sind leidenschaftliche Profis und würden ihre Arbeit vielleicht als Berufung bezeichnen, nehmen aber gleichzeitig jeden Tag die U-Bahn und kommen verschwitzt und zu spät zu irgendwelchen Terminen. Sie müssen ihr Familienleben und diese Art von Arbeit unter einen Hut kriegen.
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