Kommentar

Schock, Trauer, Mahnwachen: Das Trauma ist längst Routine. Selbst nach diesem jüngsten Massaker, bei dem am Mittwoch ein Teenager an einer Highschool in Florida 17 Menschen erschoss. Es war seit Silvester bereits das 18. Blutbad an einer US-Schule – doch auch dem hat Amerika bisher kaum mehr entgegenzusetzen als Floskeln, Tränen und Gebete.

Die politische wie moralische Apathie offenbarte sich vor allem in der Person des Präsidenten. Nach fast 24 Stunden Schweigen trat Donald Trump am Donnerstag sechs Minuten vor die Kameras. Er las Trauer- und Trostplattitüden vom Teleprompter, beschwor „Glaube und Gemeinschaft“ und verwies darauf, dass der 19-jährige Killer psychische Probleme gehabt habe.

Waffen? Dieses Wort nahm Trump kein einziges Mal in den Mund. Die lauten Fragen der Journalisten danach ignorierte er und verschwand schnell wieder.

Video: Donald Trump äußert sich zur Bluttat in Florida

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Denn eine Waffendebatte soll es auch jetzt nicht geben. Stattdessen diskutiert man über alles andere: private Hintergründe, ideologische Motive, Geisteszustand. Alles berechtigte Fragen, sicher. Doch dass der geständige Täter Nikolas Cruz in Florida völlig legal ein halbautomatisches AR-15-Schnellfeuergewehr kaufen konnte, obwohl er nicht mal alt genug war, um Alkohol trinken zu dürfen: nicht das Problem, heißt es im Weißen Haus.

Nur die Betroffenen reden Klartext

Ebenso rückgratlos agieren die Republikaner. Erst mal „Fakten sammeln“, bremst Paul Ryan, der Sprecher des Repräsentantenhauses. „Keine voreiligen Schlüsse ziehen“, warnt Senator Marco Rubio, der aus Miami kommt, eine Autostunde südlich von Parkland. Beim Trump-Haussender Fox News schoben sie die Schuld derweil auf Drogen, Antidepressiva und das „menschliche Befinden“.

Die einzigen, die die Dinge beim Namen nannten, waren die Betroffenen. „Wir sind Kinder“, flehte David Hogg, der die Schießerei überlebte, bei CNN. „Ihr seid die Erwachsenen. Arbeitet zusammen, überwindet eure Politik und tut etwas!“ Der 17-Jährige sagte damit unendlich mehr als sein Präsident.

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US-Bundesstaat Florida: Schüsse an der Marjory Stoneman Douglas High School

Cruz hatte zumindest lose Kontakte zu einer Rassistengruppe, die Florida in einen „weißen Ethnostaat“ verwandeln will. Erst vergangene Woche warnte das Southern Poverty Law Center vergeblich vor solchen Organisationen: „Die Alt-Right tötet.“ Wäre Cruz mit der mexikanischen Drogengang MS-13 verbunden, Trumps neuestem Symbol für die „bösen Migranten“, würden die Republikaner noch heute Schutzgesetze einbringen – Waffenverbot inklusive.

Die Spenden der NRA sägen kritische Stimmen ab

Die Demokraten sind kaum besser. Zwar rufen sie nun, wie immer, nach restriktiverem Waffenrecht, besseren Background-Checks und sogar nach einem Verbot von Pseudokriegsgeräten wie dem AR-15, wie es der Kongress 1994 nach mehreren Schießereien erlassen hatte. Es lief zehn Jahre später aus, doch selbst mit Präsident Barack Obama und einer kurzzeitigen Mehrheit in beiden Parlamentskammern wagten sich die Demokraten nicht mehr daran.

Der Hauptgrund: die Waffenlobby NRA. 2016 gab sie 55 Millionen Dollar – so viel wie noch nie – für Wahlwerbung zugunsten der Republikaner aus und hielt ihre Lieblingskandidaten zudem mit Spenden bei Laune, allen voran Trump, der mehr als 31 Millionen Dollar einsackte. Mit ihrer Macht über die Basis schlug sie kritische Parteistimmen sofort nieder. Davon profitierte auch Marco Rubio – kein Wunder, dass der jetzt keine „voreiligen Schlüsse“ zieht.

Doku „Kill Zone USA“ – Spurensuche in einer waffenverrückten Nation

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Hinter der NRA steckt womöglich noch mehr. Kürzlich enthüllten Reporter der Zeitungsgruppe McClatchy, dass das FBI bei seinen Russland-Ermittlungen auch die NRA ins Visier genommen habe: Man untersuche, ob die Gruppe illegale Gelder aus Moskau erhalten und in den Wahlkampf gesteckt habe.

Mit ihren Kampagnen, die gewaltverherrlichende Macho-Mythen und Agitprop verschmelzen, hebelt die NRA den Volkswillen aus: Die meisten US-Bürger wollen „vernünftige“ Waffenkontrolle und bessere Background-Checks – doch die laxen Gesetze dienen den drei Prozent, die die Hälfte aller Schusswaffen besitzen.

So kommt es, dass das AR-15 weiter das populärste, da am einfachsten zu beschaffende US-Waffenmodell ist – für Sportschützen wie für die schlimmsten Massenmörder der vergangenen Jahre, ob in Las Vegas, Texas, Orlando, Aurora, San Bernardino oder Newtown.

So kommt es, dass selbst nach dem Blutbad von Newtown, wo ein geistig Gestörter 2012 in der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut 20 Kinder, sechs Lehrerinnen und seine Mutter erschoss, das Waffenrecht sogar noch löchriger wurde. Wen sechs- und siebenjährige Todesopfer nicht zum Handeln bewegen, den bewegt gar nichts – außer NRA-Spenden.

Video: Täter für mit Uber zur Bluttat, danach zu McDonald’s

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So kommt es, dass Trump als eine seiner ersten Amtshandlungen eine Verordnung seines Vorgängers Barack Obama zurücknahm, die Background-Checks für Geisteskranke straffte. Der zweite Streich kam erst am Montag, als Trump seinen neuen Wunschhaushalt vorlegte: Der kürzt (!) die staatlichen Ausgaben zur Behandlung psychischer Leiden um mehr als eine Milliarde Dollar.

So kommt es, dass die USA heute das gefährlichste Wohlstandsland für Kinder sind, dass Worte wie „school shooting“ und „active shooter“ zum Kindervokabular gehören und Schulbezirke nach Zahl der Schießereien bewertet werden. Man habe ein eigenes Massaker-Einsatzteam, beruhigte eine New Yorker Schule alle Eltern am Donnerstag per E-Mail und erinnerte daran, dass die dritte von vier Schutzübungen des Schuljahres Ende Februar stattfinden werde: „Im Klassenzimmer verstecken, Türen verschließen.“

SPIEGEL TV: Blinde Wut – Die Anatomie des Amoks

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