Horst Seehofer hat schon mehr als eine Stunde geredet, da steht die Kanzlerin doch noch neben ihm auf der Bühne. Also nicht in echt, logisch, der CSU-Chef hat sie ja nicht einladen wollen zum Parteitag in München. Aber jetzt stellt er sich vor, sie stehe da neben ihm. Ein Spiel.

Trotz der Differenzen gemeinsam auf dieser Bühne zu stehen, sagt also Seehofer, das wäre doch ein grober politischer Fehler gewesen. Er schaut nach links, wo ja nur Luft ist, schaut von oben nach unten und von unten nach oben. Da stand Merkel vor ziemlich genau einem Jahr. Damals hielt er ihr eine öffentliche Standpauke, düpierte sie, blamierte sich.

„Ich habe da so meine Erfahrungen“, sagt er. Im Saal lachen ein paar Delegierte.

„Ist besser so“, dass Merkel diesmal nicht da sei, hatte er schon am Morgen gesagt. Seehofer steht ja bei diesem CSU-Parteitag vor einer komplexen Operation: Er will erstens im Flüchtlingsstreit nicht nachgeben, zweitens dennoch die Wiederannäherung an Merkel vorantreiben, drittens seine Macht gegen den Rivalen Markus Söder in der CSU absichern.

Und wie löst er das? Er hält mit zunehmend brüchiger Stimme eine Rede stoiberschen Ausmaßes jenseits der 100-Minuten-Schallmauer, in der er wie selten zuvor dem Eigenlob frönt, seinen Führungsanspruch formuliert und auf Abrüstung gegenüber Merkel setzt. Manchmal wirkt es wie ein Selbstgespräch.

Kein Hinweis, wie es mit der CSU weitergeht

Im Hintergrund werden übergroße Porträts des großen Vorsitzenden an die Wand projiziert, von oben rechts leuchtet stets strahlenförmig das Licht auf diese in monochromen Tönen gehaltenen Seehofers. Schon zuvor hatte ihn Generalsekretär Andreas Scheuer als „Ministerpräsident des gehaltenen Wortes, den erfolgreichsten Ministerpräsidenten Deutschlands“ auf die Bühne gelobt.

Was der CSU-Chef in diesen eineinhalb Stunden da oben nicht tut: Er gibt seinen Leuten keinen Hinweis, wie es mit ihm und der CSU weitergeht. Wird er den Parteivorsitz im nächsten Jahr vorzeitig abgeben? Oder wird er als Parteichef nach Berlin gehen? Wer soll denn nun Kanzlerkandidat werden?

Seehofer beantwortet all das nicht. Er will beruhigen, die Delegierten zusammenführen. Nicht weitere Unruhe in die Partei tragen. Dafür hat seine Rede dann allerdings durchaus sedierende Effekte auf die Zuhörer, die zentralen Sätze drohen unterzugehen.

Dies sind sie:

„Im Gegensatz zu anderen politischen Kräften, die die tektonischen Verschiebungen in der politischen Landschaft hinnehmen wollen, müht sich die CSU, verlorene Stimmen von Demokraten – nicht von Extremisten – zurückgewinnen.“

Es ist die Kampfansage an die AfD. In der CSU sorgt derzeit eine Sat.1-Umfrage für Aufregung, wonach sie nur noch auf 44 Prozent kommt, während sowohl Freie Wähler und FDP als auch die AfD in den Landtag einziehen würden. Die Aussicht auf den Verlust der absoluten Mehrheit ist alarmierend. Seehofer grenzt sich auf dem Parteitag mehrfach explizit gegen Rechtsradikale und Rechtsextreme ab.

„Unser Gegner ist nicht die CDU, unser Gegner ist Rot-Rot-Grün.“

In normalen Zeiten ein selbstverständlicher Satz, seit den Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik aber ist die Feststellung, die CDU sei nicht der Gegner der CSU, für den ein oder anderen eine hilfreiche Klarstellung.

„Wir konnten uns bisher mit unserer Schwester CDU nicht verständigen, aber die Gespräche laufen ganz vernünftig. … Wenn man sich nicht verständigt, dann ist es im Leben manchmal besser, dass man diese Dinge nebeneinanderstellt und mit der gebotenen Sachlichkeit vertritt.“

Mit dieser Aussage geht Seehofer einen weiteren Schritt auf dem Weg der Wiederannäherung an Merkel. Im Klartext: Wenn es bei der Obergrenze für Flüchtlinge keine Einigung geben wird – und die wird es wohl nicht geben – dann schreibt sie die CSU in ein eigenes Programm („nebeneinander stellen“) und fertig. Problem ausgelagert, man träfe sich erst in möglichen Koalitionsverhandlungen wieder.

„Ich gebe zu, dass nicht jede meiner Strategien sofort von jedem durchschaut worden ist. Aber jede meiner Strategien in großen Angelegenheiten war erfolgreich. Und die Herausforderungen waren nicht zu knapp.“

Seehofer hat auf diesem Parteitag eigentlich alles gelobt, was er in den letzten neun Jahren als Parteichef und Ministerpräsident gemacht hat. Er wollte damit die Delegierten nicht nur auf sich selbst einschwören, sondern ihnen in den kommenden Wahlkämpfen neuen Stolz einimpfen. Wirkte auf manche Delegierte aber etwas überzogen.

„Wenn ich heute Personen danke, dann bitte nicht gleich wieder daraus schließen, das seien neue Nachfolger. Ich fahre nachher in die Staatskanzlei und gucke, ob mein Stuhl noch frei ist.“

Das war der einzige Hinweis auf den Machtkampf mit Rivale Söder. Und wen nannte Seehofer prompt nach diesem Satz: den Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Söder kam in über 100 Minuten nicht vor.

Am Samstag übrigens steht noch eine Seehofer-Rede an: Der CSU-Chef redet einfach zwei Mal, weil ja Merkels Platz frei geworden ist. Es soll bei seinem nächsten Auftritt weniger um politische Grundsätze, sondern mehr um die Zukunft der Partei gehen. Söder und Co. werden genau hinhören.

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