Staatsanwaltschaft ermittelt

Berlin (dpa) – In der Affäre um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) der Bremer Außenstelle weitere Asylentscheide vorerst komplett verboten.

Das Ankunftszentrum werde bis zum Abschluss der Ermittlungen und Überprüfungen keine Asylentscheidungen mehr treffen, erklärte Seehofer in Berlin. Die Opposition forderte Seehofer zur Aufklärung der Affäre auf. Die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Seehofers Parteifreundin Andrea Lindholz (CSU), stellte die Zukunft von Bamf-Chefin Jutta Cordt infrage.

«Das Vertrauen in die Qualität der Asylverfahren und die Integrität des Ankunftszentrums Bremen ist massiv geschädigt worden», sagte Seehofer. Asylverfahren aus Bremen werden laut Ministerium von anderen Bamf-Außenstellen übernommen. In Bremen sollen zwischen 2013 und 2016 Mitarbeiter mindestens 1200 Menschen ohne ausreichende Grundlage Asyl gewährt haben. Gegen die damalige Bremer Bamf-Chefin und weitere Verdächtige ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Seehofer wies das Bamf zu weiteren Maßnahmen an, die die Qualität der Asylentscheidungen sichern sollen. So würden nach dem Zufallsprinzip zehn Prozent aller Asylentscheidungen überprüft. Dafür werde die Mitarbeiterzahl der Bamf-Qualitätssicherung verstärkt. Die Behörde prüft bereits zehn andere Außenstellen, die über- oder unterdurchschnittlich oft Schutz gewährt hatten. Weitere, etwa personelle Konsequenzen seien «zum jetzigen Zeitpunkt» nicht geplant, sagte eine Ministeriumssprecherin.

Die CSU-Politikerin Lindholz schließt Konsequenzen an der Spitze des Bamf allerdings nicht aus. «Der Vertrauensverlust ist enorm. Das sage ich ganz klar», sagte die Vorsitzende des Innenausschusses «Focus Online» auf die Frage, ob Bamf-Chefin Cordt noch tragbar sei. Aus ihrer Sicht hänge Vertrauen auch mit Personen zusammen. «Vertrauen muss über Personen erfolgen, die ganz oben an der Spitze sitzen.»

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth geht einer Strafanzeige gegen Cordt und weitere Mitarbeiter nach. Geprüft werde der in der Anzeige aufgeworfene Verdacht einer Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt im Bundesgebiet, sagte eine Sprecherin. Die Ministeriumssprecherin sagte, Strafanzeigen könne jeder stellen. «Das alleine ist kein Grund, eine andere Bewertung vorzunehmen.»

Als Grund für Seehofers Entscheidungsverbot für Bremen nannte das Ministerium, ein Bericht der internen Bamf-Revision zeige dort eine bewusste Missachtung von Gesetzesregeln und Dienstvorschriften. Das Vier-Augen-Prinzip sei mangelhaft beachtet worden.

Seehofer und Cordt sollen am nächsten Dienstag im Innenausschuss des Bundestages Rechenschaft ablegen. Sollte Seehofer dort keine Aufklärung leisten, «muss auch über einen Untersuchungsausschuss geredet werden», sagte die Linke-Fraktionsvize Sevim Dagdelen der Deutschen Presse-Agentur. Bisher fordern nur FDP und AfD einen solchen Ausschuss. Auch die Linken oder die Grünen müssten dafür votieren, damit so ein Gremium die nötigen Stimmen erhält. Die Grünen waren zuletzt skeptisch.

Ex-Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Behörde sei durch die hohe Zahl von Asylanträgen «überfordert» gewesen. «Es gab keine Strukturen, die dieser Belastung hätte gerecht werden können, keine funktionierende IT, keine Prozesskette.» Es habe «kaum Kontrollmechanismen» gegeben.

Die Anerkennungsquoten für Schutzsuchende hat sich deutlich nach unten bewegt. Bei den Entscheidungen von Januar bis Ende April habe nur jeder Dritte (32,5 Prozent) einen Schutztitel bekommen, so die Zeitung «Die Welt» unter Berufung auf das Bamf. 2017 endeten demnach noch 43,4 Prozent von 603 000 Asylentscheidungen positiv.

Die zwischenzeitliche Nachfolgerin der unter Verdacht stehenden ehemaligen Bremer-Bamf-Leiterin, Josefa Schmid, warf der eigenen Behörde laut einem Bericht der «Zeit» vor, sie «willkürlich» ins bayerische Deggendorf versetzt zu haben. Zu ihrer Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Bremen erhebe Schmid den Vorwurf, die Versetzung habe den «Charakter eines Racheakts». Die Geschichte sollte ihrer Ansicht nach nicht an die Öffentlichkeit. Das Gericht bestätigte den Eingang der schriftlichen Begründung von Schmid. «Das Bamf muss dazu jetzt Stellung nehmen», sagte ein Gerichtssprecher.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sieht sich immer wieder Kritik ausgesetzt. Schlamperei, mangelnde fachliche Qualifikation, Überlastung werden der Behörde und ihren Mitarbeitern vorgeworfen. Im Fall des im vergangenen Jahr aufgeflogenen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als Flüchtling aus Syrien ausgab, sprach das Bamf selbst von einer krassen Fehlentscheidung. Der terrorverdächtige Oberleutnant mit rechtsextremer Gesinnung hatte nach einer auf Französisch geführten Anhörung eingeschränkten Schutz erhalten.

Im April dieses Jahres wurde bekannt, dass das Flüchtlingsamt in den Jahren 2017 und 2018 insgesamt 2100 Dolmetscher vor allem wegen fachlicher Mängel von weiteren Einsätzen ausnahm. Von einzelnen Dolmetschern trennte sich das Bamf wegen Verletzung der Neutralitätspflicht. Beispielsweise glaubten türkische Asylbewerber nach Medienberichten im vergangenen Herbst, von türkischstämmigen Mitarbeitern des Bamf oder einer Ausländerbehörde in ihrer Heimat denunziert worden zu sein. Dem Bundesamt war damals nach eigenen Angaben allerdings kein solcher Fall bekannt.

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