Alabama ist ein Bundestaat, in dem Schulen mit Hitler-Zitaten werben. In Alabama gibt es einer dieser Mega-Kirchen, die eine eigene Polizei anschaffen will. Alabama hat früher einmal die Demokraten gewählt, bis die sich für die schwarze Bürgerrechtsbewegung stark gemacht haben. Seitdem ist das „Herz des Südens“ stramm konservativ. So konservativ, dass sich die Einwohner nicht scheuen, einen Mann zu wählen, der mit gezogener Pistole Wahlkampf macht und dem selbst der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen nichts anzuhaben scheint.
Moore soll sich an 14-Jähriger vergriffen haben
Beziehungsweise bislang nicht. In den meisten Umfragen für die Senatsnachwahl am 12. Dezember liegt der republikanische Kandidat Roy Moore noch immer vor seinem Konkurrenten. Obwohl vor wenigen Tagen gleich fünf Frauen den 70-Jährigen Moore beschuldigt haben, von ihm sexuell bedrängt worden zu sein. Eine von ihnen schilderte der „Washington Post“, wie sie als 14-Jährige von ihm an BH und Unterhose befingert worden sei. Wie er ihre Hand an seine Unterhose geführt habe. 1979 sei das gewesen, Moore war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt, und hätte sich, wenn die Vorwürfe zutreffen, strafbar gemacht.
Doch der Senatskandidat will von all dem nichts wissen. „Komplett falsch“, „Lügenmedien“, eine „Scharade seiner politischen Gegner“ nannte er die Enthüllungen. Die „Washington Post“ werde er verklagen, kündigte Moore an und an seiner Kandidatur festhalten. Interessant war in dem Zusammenhang die Einlassung eines hohen Finanzbeamten von Alabama, Jim Zeigler. Der verteidigte Moore öffentlich mit den Worten: „Nehmen Sie Josef und Maria. Maria war ein Teenager und Josef ein erwachsener Zimmermann. Sie wurden Eltern von Jesus. Da ist einfach nichts Unmoralisches oder Illegales dran. Vielleicht höchstens ein bisschen ungewöhnlich.“ In strenggläubigen Alabama gibt es nicht wenige Menschen, die solche Äußerungen mit Applaus begrüßen.
9/11-Anschläge waren eine Strafe Gottes
Auch Roy Moore könnte der Bibelbezug gefallen haben. Denn der Republikaner ist christlicher Fundamentalist. Jüngst hatte er sich hingestellt und die Anschläge vom 11. September 2001 als eine Strafe Gottes für ungehöriges Verhalten bezeichnet. Konkret nannte er die Legalisierung von „Sodomie“ und Abtreibung als Beispiele. Und nachdem er sich bei den Vorwahlen gegen seinen innerparteilichen Kontrahenten durchgesetzt hatte, kündigte er an, die säkulare Rechtsordnung durch das „Gesetz Gottes“ ersetzen zu wollen. Auf Twitter verbreitete er dazu das Bild zweier Steintafeln, auf denen die zehn Gebote eingemeißelt waren – in seiner Welt sollen sie die Grundlage amerikanischen Rechts werden. Moore war einst Oberster Richter in Alabama.
Genauer gesagt hatte er das Amt sogar zweimal inne. Beide Male verlor er es. Zum ersten Mal 2003, nachdem er sich geweigert hatte, eine Statue mit den zehn Geboten aus seinem Gericht entfernen zu lassen. In den USA sind Glaubensbezeugungen in staatlichen Einrichtungen tabu – ganz gleich von welcher Religion. 2013 wurde er dennoch als Oberster Richter wiedergewählt oder wohl eher genau deshalb. Im Frühling vergangenen Jahres dann hatte er sich geweigert, heiratswilligen Homosexuellen die nötigen Papiere auszustellen. Damit stellte er sich gegen ein Urteil des Obersten US-Gerichts. 2017 trat er deswegen zurück und kündigte an, für den Senat in Washington zu kandidieren. Dort sitzen die Abgesandten aus den Bundesstaaten, der US-Senat ist am ehesten mit dem deutschen Bundesrat vergleichbar.
Der Sitz, um den er sich bewirbt, war frei geworden, nachdem Vorgänger Jeff Sessions als Justizminister in Donald Trumps Kabinett gewechselt war. Auch Sessions ist Jurist, er war jahrelang als Staatsanwalt oberster Ankläger in Alabama. Auch Sessions ist ein erzkonservativer Christ. Als er mit rassistischen Bemerkungen aufgefallen war und unter anderem meinte, er halte den Ku-Klux-Klan für „ok“, wurde ihm die Berufung ans Oberste Gericht Alabamas versagt. Doch obwohl Sessions wie Moore mit Inbrunst gegen Homosexualität und Abtreibung wettern sowie Einwanderung stark reglementieren wollen, sind sich die beiden nicht sonderlich grün. In der Comedysendung „Saturday Night Live“ witzelte ein Jeff-Sessions-Darsteller: „Selbst für mich ist Roy Moore zu viel Alabama.“
Donald Trump wollte Moore nicht unterstützen
Auf die Unterstützung aus dem Weißen Haus konnte Roy Moore lange nicht setzen. Donald Trump bevorzugte den Gegenkandidaten Luther Strange, der als Mann des gemäßigten Republikaner-Flügels galt. Seine Niederlage bei den Vorwahlen feierten die Parteirechten als (weiteren) Schlag gegen das „Establishment“, was insoweit ironisch ist, da sich Trump als Kämpfer gegen die etablierten Konservativen versteht. Seitdem tingelt Moore durch den Bundesstaat, gerne auch mit Cowboy-Hut auf dem Kopf und einer Knarre in der Hand. Den direkten Schlagabtausch mit seinem Konkurrenten jedoch scheut er. Die in den USA üblichen Diskussionsrunden lehnte er mit der Begründung ab, sein Konkurrent Doug Jones habe „zu liberale Ansichten in der Transgenderpolitik im Allgemeinen sowie Transgender-Menschen beim Militär und deren Toiletten-Benutzung“. Damit spielt er auf einen Beschluss des damaligen Präsidenten Barack Obama an, der Transgender-Schülern die freie Toilettenwahl erlaubt hatte. Der Erlass wurde von Donald Trump wieder gekippt.
Dass die Missbrauchsvorwürfe gegen den Senatskandidaten gerade jetzt öffentlich werden, ist sicher kein Zufall. Der Skandal um Hollywood-Produzent Henry Weinstein hat eine ganze Welle ähnlicher Vorwürfe gegen Prominente losgetreten, nun hat sie die Politik erreicht. Führende Republikaner aus allen Lagern fordern, dass Roy Moore seine Kandidatur aufgibt. Zum einen, weil er selbst vielen erzkonservativen zu rechts ist, zum anderen weil sie um den Senatssitz fürchten. Die Konservativen haben in der Kammer nur zwei Sitze Vorsprung gegenüber den Demokraten. Sollte er dennoch gewinnen, wird Trump plötzlich selbst populistischen Gegenwind von rechts bekommen.
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