BERLIN – Der Dreikampf ums Kanzleramt ist ein Zweikampf geworden – diesen Eindruck jedenfalls erweckt der zweite große TV-Schlagabtausch der Kanzlerkandidaten vor der Bundestagswahl. Während sich Armin Laschet (Union) und Olaf Scholz (SPD) am Sonntagabend bei ARD und ZDF in die Haare kriegen, kämpft Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock zwischen den Streithähnen um Aufmerksamkeit. Es geht deutlich lebendiger zu als beim ersten sogenannten Triell: Man zofft sich, man redet sich rein. Es geht um viel: Schafft Laschet, der in den Umfragen zuletzt an Boden verlor, doch noch die Trendwende? Und wie stark schadet Scholz der neueste Skandal um die Geldwäsche-Aufsicht?
Vor allem der Finanzminister, dessen SPD die Umfragen seit mehreren Wochen überraschend anführt, gerät zu Beginn unter Druck. Das liegt zum einen daran, dass die Moderatoren seine wunden Punkte (Geldwäsche-Razzia, Wirecard) zuerst ansprechen – und erst später die der Konkurrenten. Das liegt aber auch daran, dass der Unionskandidat Laschet eine seiner letzten großen Chancen nutzen will und zur Attacke bläst.
Streit um Geldwäsche-Ermittlungen
Scholz trage als Finanzminister die Verantwortung für Verfehlungen der Geldwäsche-Aufsicht, wirft ihm Laschet energisch vor. Der Vizekanzler wehrt sich ebenfalls heftig und zusehends genervt, so sehr, dass er ganz rote Ohren bekommt. Er wirft Laschet bewusste Falschdarstellung vor, seine Fakten stimmten nicht – doch so richtig holt Scholz nicht zum Gegenangriff aus. In einer ARD-Umfrage zur Halbzeit schneidet der Vizekanzler trotzdem besser ab: überzeugender, kompetenter.
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Laschet scheint sich präzise auf seinen Angriff vorbereitet zu haben, anders als beim ersten Triell arbeitet er sich diesmal nicht an Baerbock, sondern vor allem an Scholz ab. Sein Ziel im Schlagabtausch lautet offenbar eher, die Gegner zu schwächen als sachlich Argumente auszutauschen. Das machen ihm die Moderatoren Maybrit Illner (ZDF) und Oliver Köhr (ARD) zu Beginn auch leicht. Sie geben den Kandidaten keine Gelegenheit zum Warmlaufen, steigen sofort mit Streitthemen ein.
Koalitionen und Skandale
Fast eine halbe Stunde lang geht es um Koalitionsoptionen und Skandale. Baerbock will sich nicht zwischen Linken und FDP entscheiden, Scholz schließt eine Koalition mit der Linken nicht aus, Laschet genauso wenig eine Juniorpartnerschaft unter SPD-Führung. Dann der Schlagabtausch zur Geldwäsche-Razzia, zu CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen und ein paar Worte zum von vielen Grünen verstoßenen Tübinger Bürgermeister Boris Palmer.
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Bis konkrete Sachthemen angesprochen werden, dauert es – was Zuschauer auf Twitter auch kritisieren und als „Schlammschlacht“ beschreiben. Erst zur Halbzeit des Triells werden Klimaschutz, Corona-Impfungen, Digitalisierung, die Zukunft der Krankenkassen oder die Rente angesprochen.
Alle drei Kandidaten, auffällig einheitlich in dunkles Blau gekleidet, stehen zwei Wochen vor der Wahl sichtbar unter Druck. In Umfragen liegen sie alle in Schlagdistanz, jeder der drei kann sich noch Hoffnungen machen, nach 16 Jahren Angela Merkel ins Kanzleramt einzuziehen.
Laschet muss attackieren
Laschet, derzeit in den Umfragen gegenüber Scholz deutlich im Hintertreffen, muss attackieren und landet auch Treffer. Doch teils wirkt er dünnhäutig, rutscht in seinen Formulierungen immer wieder ins Belehrende ab: „Wenn Sie richtig zugehört haben…“. Scholz dagegen muss verteidigen, das ist keine angenehme Position, vor allem, wenn man gerade wegen Ermittlungen gegen die Geldwäsche-Zentrale des Zolls in der Kritik steht.
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Doch Laschet lockt ihn aus der Reserve, Scholz zeigt, dass er auch streiten kann. Baerbock ihrerseits kann lächelnd in beide Richtungen austeilen – und bekommt Fairnesspunkte, als sie darauf hinweist, dass die Redezeit-Uhr falsch läuft.
Nummer drei am nächsten Sonntag
Am Ende hat jeder Kandidat Zeit für ein Schlusswort, es soll der dramaturgische Höhepunkt der Auseinandersetzung sein. Am Sonntag aber kommen alle drei Beiträge nicht gegen die zuvor lebhafte Diskussion an. Laschet wirbt für sich als „Bundeskanzler des Vertrauens“, der garantiert Bürokratie abschaffe, nicht gängele, und nicht vorschreibe, wie man zu denken oder zu leben habe. Scholz hebt Solidarität und Zusammenhalt als zentrale politische Ziele hervor und betont: „Ich möchte Ihnen dafür als Bundeskanzler dienen.“ Baerbock beschwört einen „echten Aufbruch“.
Schon in einer Woche dürfen sich die drei erneut fernsehöffentlich streiten: Sieben Tage vor der Wahl steigt das letzte große Triell. Das letzte Wort in diesem Streit haben die Wähler.
Und so wurden die Einzelthemen diskutiert
GELDWÄSCHE
Scholz wurde von den Moderatoren gefragt, wie gefährlich die Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück in seinem Ministerium im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen FIU-Verantwortliche sein könnten. Er antwortete, die Untersuchungen seien „zur Unterstützung dieser Erkenntnisgewinnung durchgeführt worden, und das hat gar nichts mit den Ministerien zu tun, wo das stattgefunden hat“. Die Ministerien hätten „alles gemacht, was in dieser Frage notwendig ist“.
Laschet warf Scholz umgehend Schönrednerei vor. „Sie haben die Aufsicht über (den Bereich) Geldwäsche“, hielt er ihm vor. Es sei unangemessen, wie der Minister im Zusammenhang mit den Durchsuchungen über die Justiz geredet habe. „Wenn die kommen, müssen Sie sagen hier, ich lege alles offen, und denen nicht vorschreiben, wie sie zu arbeiten haben.“
Laschet warf Scholz auch vor, Millionen Kleinanleger hätten im sogenannten Wirecard-Skandal viel Geld verloren, weil er als Minister die Finanzaufsicht nicht richtig ausgerichtet habe. Auch im sogenannten Cum-Ex-Skandal um Steuererlasse für die Hamburger Warburg-Bank in der Zeit von Scholz als Erstem Bürgermeister der Hansestadt attackierte Laschet den SPD-Konkurrenten.
Der Wahl-O-Mat ist online
Baerbock betonte zu den Durchsuchungen im Finanzministerium, sie könne von außen nicht sagen, was richtig oder falsch sei. Eines der größten Probleme auch mit Blick auf den Staatshaushalt sei aber, „dass dem Staat rund 50 Milliarden Euro jährlich durch Steuerbetrug, durch Geldwäsche, durch kriminelle Aktivitäten durch die Lappen gehen“.
KLIMASCHUTZ
Laschet und Scholz warfen sich im Zusammenhang mit dem Klimaschutz bei wichtigen Fragen gegenseitig eine Blockade vor. Scholz betonte, die Union habe lange bestritten, dass für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft mehr Strom nötig sei. Laschet monierte, die SPD habe Beschleunigungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren verhindert.
Baerbock machte deutlich, mit dem aktuellen Tempo der schwarz-roten Koalition würden Klimaziele deutlich verfehlt. Die nächste Bundesregierung müsse den Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorziehen. Bisher ist das Jahr 2038 vorgesehen.
Scholz sprach sich dafür aus, bei der CO2-Bepreisung im Verkehr moderat vorzugehen. Es kaufe sich niemand wegen eines steigenden Spritpreises am nächsten Tag ein neues Auto.
DIGITALISIERUNG
Baerbock, Scholz und Laschet benannten Fortschritte bei der Digitalisierung als dringliche Aufgabe der neuen Bundesregierung. „Wir haben viel gemacht, aber es reicht nicht“, sagte Laschet. Er bekräftigte seinen Plan, im Fall einer Kanzlerschaft ein Digitalministerium einzurichten. Beispielsweise ärgere es ihn „maßlos, dass wir immer noch selbst auf Autobahnen kein Netz haben“.
Baerbock griff Laschet an und sprach sich gegen ein Ministerium aus, das Zukunftsthema Digitalisierung müsse in den Aufgabenbereich des Kanzlerinnenamtes, forderte sie. „Digitalisierung ist oder war, muss man deutlich sagen, die Aufgabe unserer Zeit“, so Baerbock. Beim Glasfaserausbau müsse man staatlich mit eingreifen.
Scholz betonte, dass für die Breitbandinfrastruktur schon viel Geld zur Verfügung gestellt worden sei. „Ich glaube, es liegt schon längst nicht mehr am Geld.“ Es müsse sichergestellt werden, dass mit finanzieller Hilfe des Bundes die Länder und Gemeinden dafür sorgten, dass alle Schulen an das Netz angebunden seien.
MIETEN
Scholz und Baerbock sprachen sich dafür aus, Schranken gegen steigende Mieten zu errichten. Für Städte mit explodierenden Mieten müsse man es auf Bundesebene ermöglichen, Obergrenzen einzuziehen, sagte Baerbock. Scholz erläuterte, neben dem Bau von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr strebe die SPD ein „Mietmoratorium“ an, damit bei Neuvermietungen Mieten nicht mehr so stark steigen könnten.
Laschet legte den Fokus auf Anreize für Investitionen in zusätzliche Wohnungen. Nötig sei „mehr und schnelleres Bauen“. Man müsse etwas machen beim Bauland und die Bauordnung vereinfachen.
KRANKENVERSICHERUNG
Scholz und Baerbock zogen bei Plänen für eine Bürgerversicherung an einem Strang. Die Einführung einer solchen Versicherung, in die alle einzahlen, sei für ihn „eine Herzensangelegenheit schon seit langer Zeit“, sagte Scholz. Besonders werde im Bereich der Pflege deutlich, dass eine solche Versicherung Sinn habe. Auf die Nachfrage, ob er als Kanzler eine Bürgerversicherung zur Bedingung für eine Koalition machen werde, sagte Scholz: „Alles, was in meinem Wahlprogramm steht, ist eine Bedingung. Und dann gucken wir mal, wie weit wir kommen.“
Baerbock betonte: „Ja, ich will den Weg zu einer Bürgerversicherung gehen, die bedeutet, dass viel mehr Menschen einzahlen.“ Der erste Schritt sei, „dafür zu sorgen, dass Menschen, die jetzt privat versichert sind, in die Gesetzliche wechseln können.“
Laschet konterte, er lehne eine Bürgerversicherung ab. „Hier unterscheiden wir uns fundamental.“ Ihn wundere, dass Scholz als Finanzminister angesichts der Erfahrungen in Europa einen solchen Vorschlag mache. Die Einheitsversicherung habe in Dänemark oder Großbritannien ein schlechteres Gesundheitssystem zur Folge.
KOALITIONSFRAGE
Laschet schloss eine Juniorrolle der Union in einer SPD-geführten Bundesregierung nicht generell aus. „Demokraten untereinander müssen nach der Wahl miteinander reden“, sagte er. Zugleich betonte er: „Wir kämpfen um Platz 1.“ Laschet wich der Frage aber insgesamt aus. Man sei momentan nicht bei der Regierungsbildung, sondern „beim Werben um den richtigen Weg für unser Land“.
Scholz legte sich erneut nicht eindeutig fest, ob er eine Koalition zusammen mit der Linken ausschließt. Er betonte aber: „Wer in Deutschland regieren will, muss klare Positionen haben, er muss sich bekennen zur transatlantischen Zusammenarbeit, er muss klar sagen, dass die Nato für unsere Sicherheit unverzichtbar ist, und dass wir unsere Verpflichtungen im Bündnis erfüllen müssen. Er muss sich klar zu einer starken, souveränen Europäischen Union bekennen.“
Baerbock betonte, sie kämpfe mit aller Kraft für einen Aufbruch in Deutschland. „Das geht nur mit Grünen in führender Rolle.“ Sie sagte ebenfalls, nach der Wahl müssten alle demokratischen Parteien miteinander reden. Dabei schloss sie die Linke mit ein. Sie warnte vor einer Gleichsetzung der Linken mit der AfD. Das sei „brandgefährlich“.
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