„Wenn Sie noch weitergehen, werden die Grenzen geöffnet, merken Sie sich das“, so hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Ende November in Richtung EU gedroht. In europäischen Hauptstädten reagierte man zwar demonstrativ gelassen – blieb aber offenbar nicht untätig.

Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE plant die EU-Grenzschutzagentur Frontex, Beamte zur Überwachung der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien zu entsenden. Es wäre das erste Mal seit Beginn der Flüchtlingskrise, dass Frontex-Kräfte in dieser Funktion dort vor Ort sind. Vorgesehen ist demnach, dass zunächst geschätzte 60 Mitarbeiter entsandt werden. Der Einsatz ist bereits für Januar und Februar geplant.

Griechischen Sicherheitsbeamten zufolge ist dieser Schritt tatsächlich eine Reaktion der EU auf die wachsende Sorge, dass die Türken den Flüchtlingsdeal aufkündigen und erneut Zehntausende Migranten auf die Balkanroute drängen könnten.

Vorgesehen sind demnach zwei Missionen. Die erste, genannt „Operation Focal Point 2017“, wird sich auf Passkontrollen an offiziellen Grenzübergängen konzentrieren. Im Rahmen der zweiten Operation, „Flexible Operational Activities 2017“, soll verstärkt an der Grenze der beiden Länder patrouilliert werden, um illegale Übertritte zu verhindern. Zu den Überwachungsaufgaben könnte noch hinzukommen, dass aufgegriffene Migranten befragt werden, etwa nach ihrer Herkunft, den genommenen Routen oder Schmugglernetzwerken.

Hochrangige Vertreter von Frontex und der griechischen Polizei haben das Einsatzgebiet vergangene Woche inspiziert. Die EU-Grenzschützer werden mit zwei Teams vor Ort sein. Ein Hauptquartier wird sich in Kilkis befinden, 47 Kilometer von der mazedonischen Grenze entfernt. Das andere in dem Dorf Evzoni nahe eines offiziellen Grenzübergangs und des früheren Flüchtlingscamps Idomeni.

Offiziell bestätigen wollte die EU-Grenzschutzagentur die Entsendung nicht. „Frontex plant zurzeit die Einsätze von Beamten im kommenden Jahr“, hieß es auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Bevor die Mitgliedstaaten die Pläne nicht gebilligt hätten, könnten keine weiteren Informationen herausgeben werden. Griechische Behörden wollten sich zunächst nicht äußern.

Aus einem internen Polizeidokument geht hervor, dass der Einsatz von Frontex-Kräften auch auf die Grenze Griechenlands zu Albanien erweitert werden könnte. Bislang waren Frontex-Offiziere an der nördlichen griechischen Landgrenze nur im Einsatz, um Migranten zu registrieren.

2015 hatte Griechenland sich noch geweigert, Frontex-Beamte an der Grenze zu Mazedonien – und damit auch strengere Kontrollen – zuzulassen. Premierminister Alexis Tsipras warnte damals, sein Land wolle nicht „zum dauerhaften Auffanglager für Menschen“ werden.

Spannungen zwischen Türkei und EU nehmen zu

Im März 2016 hatten sich EU und Türkei auf ein Abkommen geeinigt, um die Flüchtlingsbewegungen über die Ägäis einzudämmen. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Türkei Grenzkontrollen verstärkt – unter anderem im Gegenzug für Visafreiheit für türkische Bürger in der EU und die Beschleunigung der Beitrittsgespräche zur Union.

Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei haben die Spannungen zwischen Ankara und westlichen Ländern deutlich zugenommen. Die EU-Staaten haben wiederholt Kritik am harten Vorgehen von Präsident Erdogan gegen seine Gegner geübt. Das EU-Parlament etwa fordert, die Beitrittsverhandlungen einzufrieren. Seit September hat es laut EU-Kommission beim Thema Visafreiheit keine bedeutenden Fortschritte in den Gesprächen gegeben. Die Beitrittsfrage sorgt mittlerweile für erhebliche Spannungen zwischen den EU-Ländern.

Die türkische Regierung hat ihrerseits mehrfach offen das Flüchtlingsabkommen infrage gestellt. Geschätzte 2,7 Millionen Syrer und 300.000 Iraker halten sich in dem Land auf.

Es gibt allerdings nicht nur das Szenario, dass die Türkei den Flüchtlingsdeal im großen Stil platzen lässt. Denkbar wäre stattdessen, dass Ankara die Kontrollen an den türkischen Küsten lediglich reduziert. Laschere Kontrollen könnten sich rasch herumsprechen. Stiegen dann die Flüchtlingszahlen an, wäre die Ursache eines solchen Anstiegs im Zweifel für die EU-Partner schwierig zu beweisen.

Die griechischen Behörden waren entsprechend alarmiert, als vergangene Woche innerhalb weniger Stunden 200 Migranten – die meisten aus afrikanischen Ländern – die Insel Lesbos erreichten. Ein Warnschuss von Erdogan, so wurde die Ankunft der Menschen bei einigen in Athen interpretiert.

Selbst wenn der Deal eingehalten wird: Griechenland hat bereits jetzt große Probleme mit den Flüchtlingen im Land. Mehr als 57.000 Menschen sind dort gestrandet, oft leben sie in unzureichenden Unterkünften. Auf den griechischen Inseln gibt es immer wieder Ausschreitungen, dort leben inzwischen mehr als 16.000 Migranten.

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