Harte Vorwürfe fliegen beim Streit um die geplante Hartz-IV-Reform hin und her. Zugleich werden aber auch mögliche Kompromisslinien deutlich. Dabei rückt ein Urteil aus Karlsruhe in den Fokus.
Im Streit um das Bürgergeld haben Spitzen von CDU und Ampelkoalition Kompromisssignale gesendet. Gleichzeitig attackierten sich beide Seiten aber auch mit Vorwürfen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf der Union bei einem Parteitag der baden-württembergischen SPD Abgehobenheit vor. Die FDP betonte die geplanten Leistungsanreize bei der Sozialreform, mit der SPD, Grüne und Liberale Hartz IV in seiner heutigen Form überwinden wollen.
CDU-Chef Friedrich Merz sagte beim Deutschlandtag der Jungen Union in Fulda: „Wenn wir in diesen Tagen insbesondere mit den Sozialdemokraten darüber diskutieren, ob man aus dieser verkorksten Reform noch etwas machen kann, dann ist für uns eine Botschaft klar: Wir müssen die Anreize setzen, schnell wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.“
SPD-Chefin Saskia Esken sagte dem „Tagesspiegel“: „Es wird im Vermittlungsausschuss einen guten Kompromiss geben.“ FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: „Ich bin zuversichtlich, dass eine rasche Einigung beim Bürgergeld gelingen kann, wenn sich die Union sachlich und ergebnisorientiert an der gemeinsamen Lösungsfindung beteiligt.“
CDU-Chef fordert Zugeständnisse
Merz rief die Regierung dazu auf, „einen großen Schritt“ auf die Union zuzugehen, wenn „in den nächsten Tagen und Wochen“ eine Lösung gefunden werden solle. Vor einer Woche hatte Merz in einem Interview Kompromisse als „schwierig“ eingestuft.
Scholz griff die Union beim Konvent der Südwest-SPD in Friedrichshafen an. Es sei abgehoben und hochnäsig gewesen, dass CDU und CSU bei der Abstimmung für einen höheren Mindestlohn nicht „ein ganz klein wenig“ die Hand gehoben hätten. „Das hat mit „Leistung muss sich lohnen“ überhaupt nichts zu tun.“ Die Mindestlohnerhöhung und das Bürgergeld zählten zu den zentralen SPD-Versprechen vor der jüngsten Bundestagswahl.
Aus Unionssicht sollen Betroffene durch die Reform zu viel Vermögen behalten dürfen und zu wenige Sanktionsmöglichkeiten fürchten müssen, wenn sie Vorgaben des Jobcenters nicht befolgen. Auch vor dem CDU/CSU-Nachwuchs bekräftigte Merz, dass keine Karenzzeiten geben solle und – „wenn notwendig“ – Sanktionen geben müsse. Er räumte aber ein: „Das Bundesverfassungsgericht hat uns hier als Gesetzgeber einen sehr engen Spielraum gegeben.“
Verfassungsgericht hatte Kürzungen eingeschränkt
Im Jahr 2019 hatte das Gericht die damalige Sanktionspraxis der Jobcenter nach jahrelanger Kritik etwa aus der SPD und von den Linken stark eingeschränkt. Es entschied, dass monatelange Minderungen um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar sind und die monatlichen Leistungen nur noch um bis zu 30 Prozent gekürzt werden dürfen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen.
Merz sagte: „Diesen engen Spielraum auszunutzen, (…) ist doch ein Gebot des Sozialstaats auch allen denen gegenüber, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen.“
Vogel: Betroffene sollen mehr als heute hinzuverdienen können
Der FDP-Vizechef Johannes Vogel betonte geplante Leistungsanreize. „Das Bürgergeld hat einen starken liberalen Kern – und das ist der stärkere Arbeits- und Leistungsanreiz für die Betroffenen“, sagte Vogel der Deutschen Presse-Agentur. Vogel erläuterte: „Mit dem Bürgergeld wollen wir den Betroffenen ermöglichen, mehr als heute hinzuzuverdienen.“ Das vergrößere ihre Aufstiegschancen. Ihre Anstrengung lohne sich dadurch mehr. Falsch sei es, „nur die Regelsätze anzuheben und alles andere so zu lassen, wie es heute bei Hartz IV ist“. Dies hatte die Union zuvor erneut ins Spiel gebracht.
An diesem Mittwoch soll der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag einen Kompromiss zum Bürgergeld festzurren. In der Länderkammer hatte der Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) keine Mehrheit bekommen. Wie aus der Koalition zu hören war, laufen informelle Gespräche auf Hochtouren. Djir-Sarai sagte, die FDP sei für Unionsvorschläge etwa bei Sanktionen, Schonvermögen oder noch leistungsfreundlichere Zuverdienstregeln offen. Esken sagte: „Die SPD ist gesprächsbereit, und deshalb bin ich optimistisch.“
In Friedrichshafen warf Esken der Union indes auch Desinformation und „ein abgründiges Menschenbild“ vor. So seien es „Fake News“, wenn die Union behaupte, bei höheren Regelsätzen lohne sich Arbeit nicht mehr. Der Vizechef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Christian Bäumler, sagte daraufhin der dpa, Esken torpediere mit ihren Aussagen einen Kompromiss.
Der Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer, kritisierte in der „Rheinischen Post“ die geplante „Vertrauenszeit“. Diese sende ein Signal aus, dass sich Arbeitslose bei der Jobsuche Zeit lassen könnten. In der „Vertrauenszeit“, den ersten sechs Monaten des Bezugs der Leistungen, sollen keine Leistungen mehr gekürzt werden können, wenn jemand vereinbarungswidrig etwa keine Bewerbungen geschrieben oder Schulungen besucht hat. Sanktionen bei mehrfachem Nichterscheinen bei Jobcenter-Terminen soll es dagegen auch am Anfang geben können.
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